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Digital In Arbeit

Bewahren und ausbauen

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• Der 1. Mai als Staatsfeiertag, als „Tag der Arbeit?', hat in den Augen mancher Österreicher viel von seinem ursprünglichen Sinn eingebüßt. Die wichtigsten Ziele der Gewerkschaftsbewegung scheinen erreicht zu sein, die vor einigen Jahrzehnten noch so scharfe Frontstellung zwischen Arbeitnehmern und Arbeitgebern hat sich wesentlich, gemildert. Wie sehen Sie, Herr Präsident, die gegenwärtige Bedeutung des 1. Mai?

In Österreich wird der 1. Mai von der Arbeiterschaft seit mehr als 75 Jahren als Tag der Arbeit gefeiert, nach und nach 'wurde der 1. Mai zum Weltfeiertag der Arbeit. Bei uns sind die Träger dieser Feiern die politischen Parteien, anderswo die Gewerkschaften oder die Regierung. Der österreichische Gewerkschaftsbund bekennt sich zu den Ideen des 1. Mai, seine Mitglieder beteiligen sich ihrer politischen Gesinnung entsprechend an den verschiedenen Maifeiern.

Wenn auch viele von den vor Jahrzehnten aufgestellten Forderungen, für die man am 1. Mai demonstrierte, erfüllt sind, wie zum Beispiel der Achtstundentag, Schutz vor Krankheit, Sicherung des Arbeitsplatzes und damit Schutz vor Not und ein gesichertes Alter, hat sich, glaube ich, der 1. Mai nicht überlebt. Ich teile nicht die Meinung jener, die glauben, es bestünde kein Anlaß mehr, diesen Tag zu feiern. Der 1. Mai hat auch heute noch seine Bedeutung, das beweist gerade die Tatsache, daß ihn heute nicht nur die Organisationen der Arbeiterschaft feiern, sondern auch die Kirche und andere gesellschaftliche Gruppen würdigen; feiern und würdigen als Tag der arbeitenden Menschen, als Tag, an dem erinnert werden soll, welch ein harter Weg gegangen werden mußte und welcher Anstrengungen es bedurfte, um den arbeitenden Menschen Anerkennung in Staat und Wirtschaft zu bringen, als Tag, an dem ermahnt werden soll, daß sich alle bemühen müssen, das so schwer Erkämpfte zu erhalten und zu verbessern.

• Ist eine Form denkbar, in der der 1. Mai in ferner Zukunft, etwa im Jahr 2000, begangen werden könnte?

Wie der 1. Mai in ferner Zukunft begangen werden könnte, ist schwer vorauszusagen. Eines ist sicher: Die Welt wird auch noch in den nächsten Jahren nicht ohne Probleme sein. In vielen Teilen der Welt herrscht Hunger, gibt es Unfreiheit und Rassenhaß, das heißt, für eine menschlichere Welt einzutreten, wird eine der Parolen des 1. Mai in der Zukunft sein.

• Der österreichische Gewerkschaftsbund war in der Zweiten Republik gerade durch seine Überparteilichkeit ein allgemein anerkannter Stabilisierungsfaktor der österreichischen Demokratie. Sehen Sie irgendeine konkrete Gefahr, die diese für Österreich so bedeutende Funktion des ÖGB bedrohen könnte?

Ich sehe zur Zeit keine konkrete Gefahr, die die Tätigkeit des Gewerkschaftsbundes bedrohen könnte. Der ÖGB hat viel für die Sicherung der sozialen Rechte getan. Er ist heute mehr als eine bloße Interessenvertretungsorganisation. Seine Tätigkeit wird allgemein anerkannt. Die führenden Funktionäre sind entschlossen, die Uberparteilichkeit und Einhelligkeit des österreichischen Gewerkschaftsbundes zu erhalten. Mögen jene Arbeiter, Angestellten und Beamte, die dem ÖGB noch nicht angehören, erkennen, daß es auch weiterhin einen starken ÖGB geben muß, um die erworbenen Rechte zu bewahren und sie, wenn notwendig, auszubauen.

• Könnten Sie sich vorstellen, Herr Präsident, daß die geänderte politische und wirtschaftliche Situation in Österreich — der Übergang von der Koalitionsregierung zu einer Einparteiregierung, die sich abzeichnende Verschlechterung dier wirtschaftlichen Lage — alte, zum Teil schon begrabene Gegensätze Wiederaufleben läßt?

Die Gewerkschaften werden ohne Grund sicher nicht schon begrabene Gegensätze Wiederaufleben oder in den Beziehungen zu den Partnern einen schärferen Ton anklingen lassen, solange man sie nicht hindert, im Interesse ihrer Mitglieder zu wirken. Die Gewerkschaften haben mehr als einmal ihre Verantwortung gegenüber dem Staat und seiner Wirtschaft bewiesen; sie werden jedoch auch immer die im Interesse ihrer Mitglieder und deren Familien gelegenen Forderungen anmelden und versuchen, sie mit allen legalen Mitteln durchzusetzen. Keinesfalls spekulieren die Gewerkschaften mit einer Verschlechterung der wirtschaftlichen Lage, im Gegenteil, Arbeitslosigkeit zu verhindern, erachten sie als ihre wichtigste Aufgabe.

Wenn alle positiven Kräfte in Österreich sich um eine Weiterentwicklung der Wirtschaft, um die Vollbeschäftigung, die Erhaltung der sozialen Sicherheit und die Hebung des Lebensstandards aller bemühen, wird der soziale Friede, den dieses Land und seine Wirtschaft brauchen, erhalten werden können.

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