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Bezirksräte: einpolitischesTabu?

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Die Demokratisierung der Bezirkshauptmannschaften ist heute kein politisches Tabu mehr, über das man nicht sprechen kann. Sie wird in keinem politischen Lager und in keiner Sparte der Bürokratie als eine bloß utopische Angelegenheit mehr abgetan, wobei freilich die Frage, wie weit ihre Grenzen gehen sollten, umstritten bleibt; denn „leicht beieinander wohnen die Gedanken, doch hart im Räume stoßen sich die Sachen“.

So taucht zum Beispiel da und dort der Gedanke auf, zwischen die direkt gewählten Körperschaften des Gemeinderates, der Landtage und des Nationalrates einen Bezirksrat einzubauen. Rechtliche wie praktische Bedenken können freilich einer solchen Konzeption leicht entgegengestellt werden. Unsere politischen Bezirke haben nach der Verfassung keine regionale Autonomie, wie etwa die Gemeinden, denen sie schon stark beschnitten ist, oder die Bundesländer, die in den Landtagen ihre gesetzgebenden Körperschaften besitzen. Zu diesen verfassungsrechtlichen Bedenken kommt das schwerwiegende Gegenargument aus der Praxis, da ja direkte Wahlen in einen „Bezirksrat“ oder „Bezirkstag“ keine anderen politischen Gewichtsverhältnisse ergeben, als sie schon aus den Gemeinderatswahlen wie aus den Landtagswahleri ablesbar sind. Auch würde die Bezirksverwaltung nur schwieriger, wenn an Stelle eines beamteten Bezirkshauptmannes ein politischer Mandatar träte, der erst wieder einen Juristen für die Bewältigung seiner Aufgaben zur Seite gestellt bekommen müßte und primär nach parteipolitischen Überlegungen entscheiden würde, ja entscheiden müßte.

Entlastung der Landtagsabgeordneten

Freilich gibt es auch Gründe, welche dafür sprechen und gleichfalls aus der

Praxis stammen. Es ist eine unbestreitbare Tatsache, daß sich heute das Aufgabenfeld unserer Abgeordneten, seien sie nun solche zum Landtag, zum Nationalrat oder zum Bundesrat, auf ein ursprünglich nicht vorgesehenes Feld verschoben hat. Es ist nicht mehr sosehr die Gesetzgebung, welche den Abgeordneten beansprucht, sondern die Interessenvertretung seines Wahlvolkes in seinem Wahlkreis beziehungsweise in seinem Bezirk. Diese Interessenvertretung kann heute kein Abgeordneter mehr links liegen lassen, ohne sich im lokalen Bereich den schwersten Angriffen auszusetzen und ohne Gefahr zu laufen, als ein schlechter Vertreter seines Gebietes eingestuft und politisch bekämpft zu werden; sie wird überdies immer umfangreicher und erstreckt sich nicht bloß auf den Einsatz für den Straßen-und Schulbau. Wenn es hier möglich wäre, den Abgeordneten zu entlasten, so wären zwei Fliegen mit einem Schlag erreicht: der Abgeordnete in die gesetzgebenden Körperschaften hätte mehr Zeit für sein ureigenstes Aufgabengebiet gewonnen;, er könnte weit gründlicher die Gesetzentwürfe studieren und mitbestimmen; er wäre für viele, echte politische Aufgaben, nicht zuletzt auch für die Kontakt-nahme mit der Bevölkerung und für ihre politische Aufklärung und Erziehung freigeworden. Überdies könnte so manches brachliegende Potential an fähigen Köpfen zum nutzbringenden Einsatz geführt werden, der Kreis jener Männer und Frauen, die sich verantwortlich für das Gemeinwohl betätigen könnten und möchten, würde erweitert und somit das Interesse an der Demokratie stärker geweckt, die Demokratie selbst auf breitere Basis gestellt werden. Hierbei geht es durchaus nicht darum, neue Funktionen und Posten zu schaffen, welche infolge einer guten Honorierung nun als Belohnung an treue politische Mitkämpfer in den Parteiorganisationen verteilt werden könnten. Einem solchen rein materiellen Aspekt des Drängens nach einer Demokratisierung der Bezirkshauptmannschaften könnte ja in einfachster Weise vorgebeugt werden.

Gesunde Ansätze

Es kommt schließlich und endlich alles auf die Frage an, wie eine solche Demokratisierung erfolgen sollte und könnte. Es sei zunächst darauf hingewiesen, daß durchaus gesunde Ansätze in Österreich vor 1938 bereits vorhanden waren, die es nur auszubauen gälte: die Bezirksstraßenausschüsse, die Bezirksfürsorgeausschüsse und die Bezirksschulräte, die allesamt heute nicht oder wenigstens nicht demokratisch, sondern rein bürokratisch konstruiert sind. Unbestritten ist freilich das große Geschick der meisten Beamten bei der Verwaltung der ihnen zugewiesenen Aufgaben in all den erwähnten Sektoren. Aber es ist doch nur zu natürlich, daß die Gemeinden ein starkes Interesse an der Mitsprache bei den alle Gemeinden des Bezirkes betreffenden Agenden haben müssen. An welcher Stelle eine Hauptschule, ein Altersheim gebaut oder eine Verkehrsverbindung ausgebaut werden soll, berührt weiteste Kreise der Bevölkerung — und es kommt nicht selten vor, daß sich eine Gemeinde nach getroffener Entscheidung benachteiligt fühlt, was natürlich nie ganz zu vermeiden ist, aber doch gemildert wird, wenn die Gemeinden eine Gelegenheit zum Mitreden erhalten. Die finanzielle Situation sämtlicher Spitäler, welche nicht in Landesverwaltung stehen, läßt sich nach der Meinung vieler Kommunalpolitiker überhaupt nur bessern, wenn vom Einzugsgebiet, vom Bezirk her, eine Stützung erfolgt. Hier das demokratische Prinzip anzuwenden, bringt auf alle Fälle den Vorteil, aus der Mitverantwortung für ein gemeinsames Anliegen zur größeren Aufgeschlossenheit dafür zu führen. In dieser Hinsicht hat sich ja auch das vielgelästerte Schulerhaltungsgesetz des Landes Niederösterreich bewährt, wenn es auch Lücken aufweist. Die in den Schulgemeinden und deren Ausschüssen zusammengefaßten Gemeinden sehen in der Schulerhaltung nicht mehr das bloße Anliegen der Schulsitzgemeinde, der sie widerwillig einen Tribut zu leisten haben, sondern es ist nunmehr auch ihre Schule geworden, für deren Erhaltung und deren Auslagen sie stimmberechtigt mitentscheiden können. Das Gefühl, sich einer fremden Geldforderung, die von der Schulsitzgemeinde her an sie herangetragen wird, machtlos gegenüberzusehen, ist einem anderen, positiveren Gefühl gewichen: dem Wissen, nicht mehr ausgeliefert zu sein, sondern mit dem Stimmrecht mitentscheiden und mitverantworten zu können.

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