Bittere Befreiung im Süden des Libanon

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Nach dem Machtwechsel in Israel hat sich auch die Situation im Südlibanon verändert. Ein Lokalaugenschein in der von Katholiken bewohnten Stadt Jezinne zeigt die Dramatik der neuen Lage.

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Nach dem Machtwechsel in Israel hat sich auch die Situation im Südlibanon verändert. Ein Lokalaugenschein in der von Katholiken bewohnten Stadt Jezinne zeigt die Dramatik der neuen Lage.

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Jezzine 30 Kilometer", steht auf einem Abzweigungsschild an derlibanesischen Küstenstraße an der Stadtgrenze von Saida, dem biblischen Sidon. Eine massive Straßensperre der libanesischen Armee signalisiert, daß man sich nicht mehr im befriedeten Teil des Libanon befindet, sondern in einem Krisengebiet. Die Fahrt nach Jezzine führt zunächst durch Hochhausviertel am Rande der Großstadt, die sich weit auf die Hänge des Libanongebirges hinaufziehen. Die Gegend ist dicht besiedelt, in den Dörfern herrscht reges Treiben, überall wird gebaut. Neun Jahre nach Ende des Bürgerkriegs scheint der Libanon wieder wohlhabend wie eh und je.

Nach einer weiteren Straßensperre, an der die Soldaten die Liste derPassagiere unseres Busses genau kontrollieren, ändert sich die Szenerie jäh. Es gibt kaum mehr Häuser, die Hügel sind mit Föhrenwald bestanden, den es sonst im Libanon kaum noch wo gibt. Immer steiler werden die Berge, enger das Tal, das schmale Asphaltbahn der Straße verläuft auf einer breiten Trasse, die offenkundig dafür angelegt wurde, daß auch schwere Militärtransporte durchkommen.

Trügerische Ruhe Wir befinden uns bereits in jenem Gebiet, das bis vor kurzem von der Südlibanesischen Armee beherrscht und vom übrigen Libanon abgetrennt war. Der Bus fährt um eine Felsnase herum und wir stehen in Jezzine.

Es bietet sich ein fast idyllisches Bild: Das Städtchen liegt an einer Geländekante, dort, wo sich das enge Bergtal zu einer kleinen fruchtbaren Ebene weitet. Alles schaut auf den ersten Blick friedlich aus. An den Wänden der Häuser sind frisch aufgeklebte Plakate mit dem Bild des libanesischen Staatspräsidenten zu sehen. Auf einem Hügel vor dem Ortseingang steht eine große Marienstatue, auf der anderen Seite desTales überragt die große die umliegenden Häuser.

Die Stadt ist fast ausschließlich von maronitischen Katholiken bewohnt. Aber die Ruhe ist trügerisch, hat etwas Bedrohliches. Erst vor drei Wochen ist ohne Vorankündigung die Südlibanesische Armee (SLA), die Jezzine und die umliegenden Dörfer seit 14 Jahren besetzt gehalten hatte, abgezogen. Die letzten SLA-Leute verließen samt ihren Familien mit etwa 30 Kampfpanzern, gepanzerten Mannschaftswagen und Lastwagen das Gebiet und zogen sich in die von Israel gehaltene 15 Kilometer breite Sicherheitszone zurück. Eingezogen war die SLA 1984 mit Zustimmung der libanesischen Staatsführung, um die Christen der Region gegen die schiitische Amal-Miliz zu schützen. Später verbündete sich ihr Kommandant, General Antoine Lahad mit den Israelis.

Nach dem Wahlsieg von Ehud Barak in Israel hat sich die Lage für die SLA geändert. Der künftige israelische Ministerpräsident möchte die Sicherheitszone überhaupt räumen, an Jezzine, das weit nördlich der Zone liegt, hat er überhaupt kein Interesse mehr.

Die SLA selbst war dort unter immer größeren Druck durch die schiitische Hisbollah-Miliz geraten. Der bekannte Geistliche aus Beirut, der den Bus mit ausländischen Journalisten nach Jezzine begleitet, hatte auf der ganzen Fahrt über die "Befreiung" Jezzines gejubelt, der nun bald die Breiung des gesamten Südlibanon folgen werde. Der Besuch der Ausländer werde in der Stadt mit Freude als ein Zeichen der Solidarität verstanden werden. Aber nichts davon ist zu spüren.

Aus dem ehemaligen pulsierenden Zentrum der Region, das 60.000 Einwohner hatte, ist nahe zu eine Geisterstadt geworden. Ganze 5.000 Menschen leben hier. Die wenigen Menschen auf den Straßen sind fast ausschließlich Frauen, Kinder und alte Männer. In ihren Gesichtern ist nicht Freude über die angebliche Befreiung, sondern nur Angst und Mißtrauen zu lesen.

Verminte Straßen In der großen, liebevoll geschmückten Kirche ist eine kleine Begrüßungsfeier inszeniert. Der Kirchenchor singt, aber außer dem Pfarrer, dem Generalvikar von Sidon und den Gästen sind nur zwei alte Männer da. "Mit Freude und zugleich Schmerz" erlebten die Bewohner von Jezzine die Befreiung, sagt Monsignore Raymond Eid, Pfarrer der Hauptkirche Saint Maron nach dem Gottesdienst und zerstört damit gleich die Euphorie, dies ein Freund und Studienkollege am Seminar aus Beirut zu verbreiten gesucht hatte. Eid spricht für seine Leute, es ist, als ob er alle ihre Leiden auf seinen Schultern trüge: Auch nach dem Ende des Bürgerkriegs vor neun Jahren habe Jezzine weiter im Krieg gelebt. "Die Straßen in der Umgebung sind vermint. 200 Menschen sind in diesen Jahren schuldlose Opfer geworden und ums Leben gekommen. Wir haben 100 junge Witwen in der Stadt, Dutzende von Waisenkindern, Verletzte, Kranke, Alte, die alle keine Versorgung haben. Die Menschen sind ausgeplündert und geängstigt."

Auf die bitterste Folge der Wiedereingliederung von Jezzine in den libanesischen Staat kommt Monsignore Eid nur zögernd zu sprechen: 200 Soldaten der südlibanesischen Armee haben sich den Regierungstruppen gestellt. Sie sind sofort verhaftet worden und warten in Sidon auf das Gerichtsverfahren. Sie haben kein Verständnis zu erwarten und werden als Verräter verurteilt werden. Das hatte uns Ministerpräsident Selim Hoss einige Tage zuvor unmißverständlich gesagt.

Auch der Generalvikar von Sidon, der mit nach Jezzine gekommen ist, denkt vor allem politisch und hat kein Wort der Gnade für diese Männer. Aber Pfarrer Eid ist auf der Seite der ihm anvertrauten Menschen. Er widerspricht leise, aber mit Nachdruck: "Was hätten denn die jungen Männer machen sollen? Arbeit gibt es hier keine. Die südlibanesische Armee war für sie die einzige Möglichkeit zum Überleben. Viele wurden auch gezwungen, sich der SLA anzuschließen."

Der Pfarrer sagt auch etwas, was noch weniger gern gehört wird, "aber es ist die Wahrheit: Die Leute von der SLA glaubten, ihrem Land, dem Libanon, zu dienen. Sie sind Patrioten, auch General Lahad ist ein libanesischer Patriot." Dazu muß man wissen, daß Lahad von einem libanesischen Gericht als Hochverräter in Abwesenheit zum Tode verurteilt wurde.

Die Stadt leert sich Monsignore Eid fürchtet, daß der Leidensweg der Menschen in Jezzine noch lange nicht zu Ende ist. Mit der SLA sind rund 100 Männer und viele ihrer Angehörigen abgezogen, die Stadt ist noch einmal leerer geworden. Sie ist auch noch gefährdeter geworden, eine Art Niemandsland, denn die ohnehin schwache libanesische Armee hat die Stadt nicht übernommen. "Wir bitten die Welt um Hilfe. Sie als Journalisten können dafür sorgen, daß wir nicht vergessen werden. Wenn man sich überall um Frieden bemüht, dann verdienen auch wir Frieden und Gerechtigkeit. Jezzine ist nur der Libanon im kleinen."

Eid sagt das nicht von ungefähr. Jetzt droht Jezzine nämlich die Gefahr, daß die schiitische Hisbollah, die in der Gegend operiert und durch ihre ständigen Angriffe die SLA zum Rückzug gewzungen hat, womöglich in der Stadt die Herrschaft übernimmt. "Ich hoffe, daß es nicht dazu kommt. Die Regierung hat uns versprochen, das zu verhindern und uns zu schützen ..."

Als wir die Stadt verlassen, kommen wir wieder an den Plakaten mit dem strahlend lächelnden Staatspräsidenten, einem ehemaligen General, vorbei. Aber Beirut, kaum 100 Kilometer entfernt, ist doch unendlich fern.

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