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Bonn und die Angelsachsen

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Die deutsche Bundesrepublik geht In eine ernste Auseinandersetzung mit Großbritannien und den Vereinigten Staaten hinein. Im Vordergrund steht der Streit um die deutschen Devisenleistungen für die Stationierung britischer und amerikanischer Truppen in Deutschland. Im Hintergrund verbirgt sich das zähe

Ringen um die Disengagementpolitik, die nach deutscher Auffassung sowohl in England wie in den USA immer mehr um sich greift.

Die Bundesregierung befindet sich dabei in einer schwachen Position. Diese Schwäche ist in der jüngsten Bundestagsdebatte offen zutage getreten. Die sozialdemokratische Opposition war zwar nicht stark genug, der CDU eine wirkliche Niederlage beizubringen, obwohl die in sich zerrissene CDU von ihrer besten Verfassung weit entfernt war. Aber in der Debatte ist hervorgetreten, mit welcher Zwangslage die deutsche Politik fertig werden muß, gleichviel, ob sie von der CDU mit den Freien Demokraten oder ob sie von der SPD initiiert wird.

Die Sozialdemokraten haben nämlich im Bundestag immer wieder darauf insistiert, die Bundesrepublik müsse ihr Wort halten, sie dürfe sich weder in London noch in Washington als zahlungsunfähig hinstellen. Mit anderen Worten, die Sozialdemokraten redeten der vollen Erfüllung jener Zahlungsverpflichtungen das Wort, welche die Bundesregierung in den letzten Jahren eingegangen ist. Auch die Bundesregierung möchte im Prinzip zu ihrem Wort stehen, aber sie sieht sich gleichzeitig der wachsenden Finanzmisere gegenüber. In ihrem Haus halt für 1967 — das hat ihr die Opposition vorgeworfen — hat sie nicht alle Mittel eingesetzt, die England und Amerika zum Ausgleich der Kosten für die Stationierung ihrer Truppen in Deutschland fordern. Woher die Mittel nehmen? Die Sachverständigen in Bonn wissen hierauf noch keine bündige Antwort.

Selbst wenn die Bundesbank der Bundesregierung im gewünschten Umfang beispringt — was noch nicht ganz sicher ist —, bleibt eine Milliarde ungedeckt, die wahrscheinlich nur durch Steuererhöhungen oder eine gut ausgestattete Bundesanleihe aufgebracht werden kann.

Der umstrittene Staltus quo Unter normalen Verhältnissen wäre die Haltung der Bundesregierung klar vorgezeichnet: sie könnte nur so viel anbieten, als sie aufzubringen imstande ist, und diese Haltung bis zum äußersten verteidigen. Ein solches Vorgehen ist jedoch unter den gegebenen Umständen über die Maßen problematisch. In Großbritannien wie in den USA warten einflußreiche Strömungen nur darauf, daß Bonn von seinem Non possumus nicht abgeht beziehungsweise daß es eine volle Erfüllung der britischen und amerikanischen Devisenforderungen ablehnt. In diesem Augenblick wäre nämlich der Vorwand gegeben, die britischen Truppen aus Deutschland abzuziehen, ohne daß das Motiv der Disengagementpolitik in die Erscheinung träte. Dies ist der Hintergrund der Gespräche, zu denen der britische Europaminister Thompson und der britische Schatzkanzler Callaghan dieser Tage in Bonn erschienen sind.

zu der Annahme, daß Außenminister Schröder der Auffassung zuneigt, es müsse in vollem Umfang gezahlt werden, um nicht eine politische Escalation im Westen auszulösen, deren Ende nicht abzusehen wäre und deren Ablauf in erster Linie zum Schaden Deutschlands geraten würde. Aber andere Gruppen teilen diese Auffassung nur bedingt. Sie meinen, die Amerikaner seien gute Pokerspieler und würden demgemäß jetzt über die Devisenzahlungen mit äußerster Härte verhandeln, doch befänden auch sie sich in der Zwangslage, daß sie ihr Gesicht verlieren würden, wenn sie ihre Truppen in Deutschland zu sehr reduzieren und dadurch dem Gerede Vorschub leisten würden, daß sie anfingen, Europa aufzugeben. Jedenfalls hat der CDU-Vorsitzende Franz- Josef Strauß bereits in einem vielbeachteten Zeitungsartikel mit einem deutlichen Seitenblick auf Schröder erklärt, die Politik Bonns dürfe nicht darin bestehen, daß es den Amerikanern jeden Wunsch von den Augen ablese und möglichst schon erfülle, bevor er ausgesprochen sei.

Der Blick nach Paris

Nichts liegt näher, als daß sich die deutschen Augen immer wieder nach Frankreich richten, wenn von dem unbefriedigenden Verhältnis zu den USA und zu Großbritannien die Rede ist. Aber aus Paris kommt so gut wie keine Ermunterung. Die deutsch-französischen Konsultationen gehen zwar weiter, doch erstrecken sie sich ausschließlich auf Nebenfragen. Statt dessen wird in Bonn immer klarer erkannt, mit welcher Konsequenz und Entschiedenheit de Gaulle auf jedem denkbaren Gebiet die politische Vorherrschaft der USA in Europa zerstören will, um Europa dadurch zum gleichberechtigten Partner der USA zu erheben. Das ist ein Vorhaben, das selbst von den sogenannten Gaullisten in der Bundesrepublik, die gar keine sind, nicht mit vollzogen werden kann. Soweit ist ihr Denken noch nicht, soweit wird es, wenn nicht alles täuscht, auch in absehbarer Zeit nicht gedeihen. Jedermann in Bonn kehrt, was immer er über das deutsche Verhältnis zu seinen Verbündeten sagen mag, zu dem allgemeinen Kehrreim zurück, die USA seien und blieben der Verbündete

Nummer eins, und ohne sie sei die Sicherheit Europas dahin.

Immerhin zeigt sich im politischen Spiel Bonns mit den wenigen Bällen, die es überhaupt verfügbar hat, eine unverkennbare Lücke. Es hat nie ein Gespräch mit Paris darüber stattgefunden, wie die Disengagementpolitik, die auf angelsächsischer Seite so viele Wortführer hat, durch die deutsche und französische Politik in vertrauensvoller und konstruktiver Zusammenarbeit aufgefangen werden könnte. Bisher hat sich jedenfalls de Gaulle — zuletzt in Moskau — stärker als jeder andere für die deutsche Wiedervereinigung engagiert (natürlich nur bis zur Oder-Neiße-Linie). Was sich daraus für die deutsche Politik gewinnen ließe — in Moskau oder in London und Washington —, das ist deutscherseits noch nicht ausgelotet worden. Auf diesen Punkt konzentrieren sich die Vorhaltungen, die Erhard und Schröder von ihren Kritikern gemacht werden. Wohl nicht zuletzt deshalb hat Strauß eine Zusammenkunft Erhards mit de Gaulle gefordert. Um so mehr Beachtung verdient es, daß das Auswärtige Amt durchblicken läßt, möglicherweise komme es demnächst zu einer Begegnung Schröders mit seinem Kollegen Couve de Murville.

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