Bootsflüchtlinge sind kein Giftmüll

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Exklusiv in der FURCHE: Die UN-Menschenrechtskommissarin verurteilt jene Staaten, die Bootsflüchtlingen den sicheren Hafen verwehren und Hilfesteller vor Gericht stellen.

Menschen, die auf hoher See treiben, sind keine toxische Fracht. Seit Menschengedenken war es menschlicher Instinkt, Menschen in Seenot zu retten. Dagegen fahren heute Schiffe in der Annahme, dass Boote in Seenot Migranten und Flüchtlinge an Bord haben, vorbei und ignorieren deren Bitten um Hilfe. Hafenbehörden zwingen sie zurück auf die hohe See und nehmen dabei Notlagen, Gefahren, wenn nicht sogar den Tod von Menschen in Kauf, als ob sie Schiffe mit Giftmüll abweisen würden. Bei einem beschämenden Zwischenfall im August sind viele Migranten verhungert oder verdurstet, als sie versuchten, von Libyen über das Mittelmeer nach Italien zu gelangen. Berichten zufolge haben maltesische Behörden das Boot in Seenot ausgemacht. Sie versorgten die Migranten mit Nahrungsmitteln, Wasser, Treibstoff sowie Rettungswesten und alarmierten ihre italienischen Kollegen. Die ausgezehrten Passagiere wurden zurückgelassen und setzten ihre Fahrt fort. Nur fünf von ihnen überlebten die Tortur und wurden schließlich von der italienischen Küstenwache gerettet. Die maltesische Regierung behauptet, dass ihre Beamten internationale Abkommen eingehalten hätten. Aber ihr Handeln blieb kläglich hinter internationalen Menschenrechtsverpflichtungen und Verhaltensstandards auf See zurück.

In diesen verkehrsreichen und stark überwachten Gewässern zwischen Nordafrika und Italien hielt nur ein einziges Schiff an und versorgte die Schiffbrüchigen mit dem Lebensnotwendigen. Andere Seefahrer schienen 20 Tage lang keine Notiz von einem 12-Meter-Boot mit verzweifelten Menschen an Bord genommen zu haben.

Die Sicherheit von Personen ist erstes Gebot

Menschenrechtsaktivisten haben einmal mehr ihre Stimme in Abscheu und Protest erhoben und haben die Staaten und Bürger daran erinnert, dass die Rettung von Menschen in Seenot nicht nur eine Verpflichtung nach internationalem Seerecht, sondern auch ein humanitäres Gebot ist – unabhängig von Stellung der Reisenden und den Beweggründen für die Reise.

Die Gesetze zum Schutz der Menschenrechte sind von vorrangiger Bedeutung. In erster Linie muss die Sicherheit von Personen aufrechterhalten werden, zum Beispiel durch die Versorgung mit Lebensmitteln, Wasser und allen notwendigen Zuwendung und Schutz für Bedürftige, die verzweifelt zu überleben versuchen. Insbesondere das Seerechtsübereinkommen der Vereinten Nationen und jüngste Novellierungen zum Schutz des menschlichen Lebens auf See ebenso wie Übereinkommen über den Such- und Rettungsdienst auf See und die Umsetzung der Leitlinien, die von der Internationalen Seeschifffahrts-Organisation ausgegeben wurden, verankern die Verhaltensregeln, die man erwarten kann und die nötig sind.

Es ist nur ein Teil des Problems, dass die Regierungen ihren internationalen Verpflichtungen nicht nachkommen. Ohne Zweifel sind skrupellose Menschenschmuggler größtenteils daran schuld, dass jedes Jahr tausende Menschen im Mittelmeer, dem Golf von Aden, der Karibik, dem Indischen Ozean und anderswo ums Leben kommen. Es ist entscheidend, dass die Flaggenstaaten ihre Schiffe effektiv kontrollieren und sich strikt an die internationalen Sicherheitsstandards halten, damit die für die See untauglichen Boote an Land bleiben. Sie müssen auch den Schmuggel und Handel von Migranten verhindern und verbieten. Außerdem müssen Staaten, die verdächtige Schiffe kontrollieren, die Passagiere menschlich behandeln, egal welchen Status sie besitzen. Die Menschen auf überfüllten Booten werden manchmal in Gefahr gebracht, wenn sie durch die Behörden abgefangen und wieder zurückgeschickt werden sollen.

Es muss allgemein akzeptiert werden, dass niemand – Asylbewerber und Migranten eingeschlossen – eine Einschränkung seiner Menschenrechte hinnehmen muss. Weder während einer Reise noch beim Erreichen seines Ziels, das außerhalb seines Heimatlandes liegt.

Wenn die Menschenrechte von Migranten nicht ausreichend geschützt werden, ermutigt das Kapitäne und Reedereien dazu, die Kosten für die Rettung Schiffbrüchiger über ihre Pflicht zur Hilfeleistung zu stellen. Jedes Mal, wenn ein Staat es verbietet, die Geretteten im nächsten Hafen oder am Endziel aussteigen zu lassen, erhöht er den Druck auf Kapitäne und Reedereien. Sie werden künftig eher wegsehen, wenn sie ein Flüchtlingsboot in Schwierigkeiten entdecken. Denn Reedereien kann es Millionen kosten, wenn die Behörden sie daran hindern, in einen Hafen einzulaufen oder ihre Ladung zu löschen, weil Migranten an Bord sind. Es wurde deutlich, wie verantwortliches Handeln und eine Pflicht, die im Völkerrecht festgeschrieben ist, zur Entmutigung führt, als Fischer Menschen in Seenot halfen und daraufhin selbst angeklagt wurden.

Millionen Menschen riskieren ihr Leben, wenn sie auf der Suche nach einem besseren Leben Grenzen überwinden. Dabei handelt es sich um eines der größten Menschenrechtsprobleme unserer Zeit. Die Staaten müssen schneller und entschlossener handeln, damit internationale Verhaltensregeln und Standards beachtet werden und so Leben auf See gerettet werden können. Vor allem aber müssen diejenigen, die keine Hilfe leisten, zur Verantwortung gezogen werden.

* Die Autorin ist Hohe Kommissarin der Vereinten Nationen für Menschenrechte

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