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Botschaftertreffen am Rande des Balkankrieges

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Die diesjährige Botschafterkonferenz in Wien hatte „Bosnien“ zum Zentralthema. Zwei Balkanexperten, Christine von Kohl und der gebürtige Mostarer Smail Balic, nahmen die Konferenz für die FURCHE unter die Lupe.

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Die diesjährige Botschafterkonferenz in Wien hatte „Bosnien“ zum Zentralthema. Zwei Balkanexperten, Christine von Kohl und der gebürtige Mostarer Smail Balic, nahmen die Konferenz für die FURCHE unter die Lupe.

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Lebhaft waren die Diskutanten am Podium und lebhaft war das Auditorium. Es ging um Bosnien-Herzegowina heute, um die Tragödie der Menschen und - zumindest als Hintergrund - um die Tragödie der westlichen Uneinigkeit und Konzeptlosigkeit, wenn Lösungen des blutigen Konfliktes gesucht wurden und immer noch erfolglos gesucht werden.

Außenminister Alois Mock, der zugleich Teilnehmer war an der Podiumsdiskussion über das Bosnien- Problem und als Hausherr der Botschafterkonferenz sowohl auf Österreichs Außenpolitik als auch auf die materiellen Notwendigkeiten für ihre Durchführung hinwies, fand wie stets „undiplomatisch“ klare Worte in beiden Bereichen.

Er sprach von der „Inflation der, Resolutionen des Sicherheitsrates“, die oft nur bedrucktes Papier blieben, vom „eklatanten Abbau der Glaubwürdigkeit der internationalen Institutionen“, von „Lippenbekenntnissen zu internationaler Gerechtigkeit“.

Alois Mock ist tatsächlich heute ein einsamer Rufer in der internationalen Wüste, weil er nicht bereit ist, wie seine Kollegen den Kopf in den Sand zu stecken, sondern an die Folgen denkt, wenn moralische Mindestnormen in der Politik außer acht gelassen werden.

Die ehemalige Magnifizenz der Universität Sarajewo, der Agronom Mulic (siehe Beitrag unten), sprach mit leicht verständlicher Emotionalität von dem furchtbaren Aderlaß der akademischen Elite Bosnien- Herzegowinas. Wer nur irgend konnte, hat das Land schon vor dem Krieg oder so schnell wie möglich verlassen.

Hunderte von jungen Akademikern wurden zum Kriegsdienst ein- gezogen, viele starben. Dazu die hemmungslose Kulturvernichtungswut der serbischen Belagerer, der unersetzliches Archivmaterial, Dokumente und Bücher in der bosnischen Hauptstadt zum Opfer fielen, schufen eine Situation für Wissenschaft und Bildung, die ohne Hilfe des Auslandes nicht überwunden werden kann. Unbegreiflich, daß bisher fremde Universitäten - mit Ausnahme von Mannheim, Graz und Wien - auf entsprechende Hilferufe aus Sarajewo nicht reagiert haben. Auch nicht die internationalen Rektoren- und Universitätsvereinigungen.

RIGOROSE APARTHEID

Dieses Verhalten ist zwar unverständlich, aber nicht unbedingt überraschend; denn auch gegenüber den Kollegen in Not im Kosovo gaben diese Institutionen vor einigen Jahren keinerlei Solidaritätssignale.

In ganz anderer Form — auch aus ganz anderer Position heraus - schilderte der deutsche Spitzenpolitiker Hans Koschnick, Vorsitzender des außenpolitischen Ausschusses im Bundestag und Bürgermeister von Bremen die außerordentlich komplizierte Aufgabe, die er im Auftrag der EU übernommen hat, nämlich die Stadt Mostar zur urbanen Normalität zurückzuführen.

Sehr nüchterp zählte er auf, was schon erreicht werden konnte — zum Beispiel Wasser- und Stromversorgung wieder herzustellen, Administration aufzubauen - und wo die Zusammenarbeit in der notorisch geteilten Stadt zwischen Moslems und Kroaten zu funktionieren scheint, und wo dies gar nicht der Fall ist.

Grundsätzlich ist offensichtlich die Bereitschaft, die Tradition des Miteinanderlebens trotz allem versuchen zu wollen, auf moslemischer Seite vorhanden, während die Kroaten eine rigorose Apartheid zum Beispiel in den für die Zukunft so wesentlichen Bereichen von Schule und Universität verlangen.

Koschnick ist ein guter Kenner der „jugoslawischen Entwicklung“ - und doch blieb der Eindruck, auch der so vieler westliche Politiker, der „Haß“ in diesem Krieg entspreche den Gefühlen zwischen den Menschen im Vielvölkerstaat Bosnien- Herzegowina.

Eine solche Meinung läßt die gezielte Propaganda der verantwortlichen Politiker in Serbien und Kroatien außer acht, die zwar mit vorhandenen Emotionen manipulierten, aber erst damit das Zusammenleben zerschlagen haben.

Österreichische Boschafter aus vielen Ländern stellten Fragen an das Podium - aus ihren Formulierungen war erkennbar, daß ihre Einschätzung des Problems außerordentlich unterschiedlich ist, von einer ganz direkt pro-serbischen Terminologie bis zu dem Bemühen, aus der kritischen Haltung zur serbischen Politik keine kollektive Schuldzuweisung dem Volk gegenüber zu artikulieren.

Generell blieb der Eindruck, daß es zweifellos nützlich war, das Thema Bosnien vor und mit den Diplomaten zu diskutieren — daß aber auch in diesem Kreis Außenminister Mock bei weitem die deutlichste Sprache spricht.

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