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Brandts Versuchung

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Sieger und Besiegte verlassen den Ring. Sieger und Besiegte setzen sieh zusammen, um nach einem Wählerauftrag zu suchen, der auch nicht annähernd Märend für Deutschlands Innenpolitik der nächsten vier Jahre ist.

Daß Rechtsradikale und Linksextremisten chancenlos geblieben sind, lobt just die gleiche Welt, die noch ein wenig vorher das Auseinanderbrechen der Bundesrepublik in die Anarchie gerne prophezeit hätte. Wie lächerlich die Minderheiten — vor allem links — sind, hat dieses Land eines Dutschke an der Nahtstelle Europas zwischen West und Ost deutlich gemacht.

Was bleibt, ist eine offene Schere, die sich nicht allzu schnell schließen dürfte.

Der Wählerauftrag für „links” ist ebenso fragwürdig wie der für „rechts”. Waren SPD und FDP als präsumtive Kleine Koalition durch den Wahlkampf gezogen, brachten sie es auf Grund der abgegebenen Stimmen nur auf 48 Prozent.

Was davon „rechts” steht, ist mit 51 Prozent zwar nach Stimmen stärker; aber nur die CDU/CSU sitzt im Bundestag. Und ihr fehlt eben die absolute Mehrheit der Sitze.

Was also ist der Wählerauftrag? Dachte der Wähler wirklich an mögliche Koalitionen, als er seine Stimme ahgab? Wählte er Kombinationen, die die Parteien offerierten? Eigentlich sind nur SPD und FDP als mögliche Partner einigermaßen deklariert in den Kampf gezogen. Die CDU ließ alles offen.

Die FDP muß jetzt dafür die Zeche bezahlen. Scheels Kopf ist wackeliger als je zuvor; wackeliger, als ihm der rechtsstehende Kern dieser liberalen Honoratiorenpartei nur widerwillig zum Flirt mit der SPD folgte und als erste Morgengabe im Frühjahr 1969 den Sozialdemokraten Heinemann zum Bundespräsidenten wählte.

Jetzt droht die FDP endgültig aus- einanderzuf allen.

Und darauf spekuliert auch die CDU. Man wird — so meinten sowohl Kanzler Kiesinger wie CSU-Chef Strauss in der Wahlnacht — doch in der FDP zu prüfen haben, woher die Niederlage kommt. Und bei dieser Analyse wird das Ausflugswetter nach links nicht allzu günstig sein. Denn auch für die SPD ist die FDP nunmehr ein unsicherer Kantonist. Setzt sich Brandt der (theoretisch möglichen) Stxapaz einer Kanzlerschaft aus, dann würde er jeden Tag der Gnade und Laune einer über ihren Kurs dissidenten Partei ausgeliefert sein.

Zugegeben, für Brandt muß es schwer sein, nach seinem dritten Anlauf wiederum einem anderen die Kanzlerschaft zu überlassen. Und sicherlich hat es auch Wirtschaftsminister Schiller satt, neben sich den bayrischen Finanzminister Strauss zu haben und sich von Kiesinger Richtlinien seiner Politik geben zu lassen. Zu oft und zu bereitwillig hat gerade Schiller seine Meinung über die Qualität seiner Rivalen auf wirtschaftspölitischem Gebiet ausgesprochen.

Bundespräsident Heinemann, der seine Wahl der Linkskoalition aus SPD und FDP verdankt, wird sich seine Schritte genau überlegen müssen. Die Formalargumentation der SPD, daß die CDU eine von der CSU völlig getrennte Partei sei, scheint doch zu durchsichtig. Jedermann weiß um die lokale Farbdiffe- renz, die nicht einmal im entscheidenden Bundestag sichtbar wird.

Aber es mag im Prinzip ja auch gleichgültig sein, wer zuerst die Ambition zum Bundeskanzleramt anträgt und zuerst Verhandlungseinladungen ausschickt.

Heinemann sollte auch nicht zu oberflächlich die publizistische Schnellfeuerung einer linken Journalistenfront überschätzen: Man weiß um die Schützenhilfe, die etwa der „Spiegel”, aber auch einzelne Fernsehkommentatoren einem Kanzler Brandt und einem Vizekanzler Scheel zugesagt haben. Denn in dieser schreibenden Linksfront eilt der Wunsch als Vater des Gedankens der Realität zu oft voraus. Man braucht nur an die Prognosen von Meinungsforschern und Publizisten der Linken vor der Wahl zu denken, die den deutschen Wähler einfach nicht richtig einzuschätzen wußten. Denn die Stabilität ist schwer in Gefahr, zieht eine Kleine Koalition in die Regierungspaläste Bonns ein. Ein Überhang von zwölf Abgeordneten bedeutet für die außenpolitisch und durch eine aktive maoi- stisch-anarchistische Linke auf der Straße sowieso nicht allzu stabile Ordnung zwischen Nordsee und Alpen einfach ein latentes Risiko. Denn wenn nur fünf von 30 Freidemokraten im Bundestag dein Kurs ihres Chefs einmal nicht mitmachen wollen, fällt das Gebäude zusammen. Schon haben drei bayrische FDP-Abgeordnete kundgetan, daß sie eine linke Koalition nicht mitzumachen wünschen. Von etwaigen Grippeepidemien und Verkehrsbehinderungen abgesehen, kann man ein großes Land nur mit äußerster Mühe bei solchen Mehrheitsverhältnissen regieren.

Freilich, so mag man anführen, ist auch in Österreich das kleine Wunder gelungen: Hier balanciert die Volkspartei seit drei Jahren mit drei Mandaten Vorsprung ohne Parlamentsniederlage die Alleinregierung aus. Allerdings: im deutschen Bundestag sitzen dreimal so viel Abgeordnete.

Bleibt also doch nur die große Koalition als Stabilisator?

Allerdings muß sich die CDU ebenso fragen wie die SPD, was die Partei von dieser Stilform der Regierung zu erwarten hat. Denn offensichtlich — Kiesinger sprach es schon aus — hat die Große Koalition die Christdemokraten abgenützt und die Sozialdemokraten als Regierungspartei honorig und führungswürdig gemacht. So mag wohl auch Minister Wehner denken, wenn es die Früchte weiterer Regierungsjahre im großen Boot sowieso als automatische Evolution zur Spitze bezeichnet.

Gerade darin allerdings liegt die Herausforderung an die Partei eines Adenauer, Erhard und Kiesinger. Ändert die CDU nicht sehr bald ihr Gesicht und Image, räumt sie nicht auf mit dem Zopf von Doktrinen und Thesen aus den Nachkriegstagen, hat sie trotz eines blauen Auges am 28. September 1969 die nächsten Wahlen bereits jetzt verloren. Die Testergebnisse bei Jungwählern lassen die SPD ganz klar als Partei der tüchtigen, modernen Männer im Team der Zukunft erkennen.

Was die CDU an Image bot, war antiquiert. Und im Wahlkampf führte sie oft den legendären Holzhammer, weil die feine Klinge schon längst den anderen Parteien gehörte. Was bleibt, ist die Hoffnung auf Stabilität. Die Bundesrepublik braucht sie mehr denn je. Gerade die Bundesrepublik.

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