"Brauchen dringend eine Lösung"

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Die übergroße Mehrheit, mindestens 90 Prozent, sieht Bosnien als Transitland. Wir schätzen, dass heute noch 1500 bis 3000 Migranten im Land sind. Es gibt keine offizielle Unterbringung.

Ich mache mir Sorgen, dass es in Bosnien-Herzegowina sehr kurzfristig zu einer humanitären Krise kommt. (Peter Van der Auweraert)

Peter Van der Auweraert im Gespräch über Bosnien als Transitland, die Nationalitäten der Migranten, Dynamiken der Fluchtrouten und Szenarien für den bevorstehenden Sommer -wie auch den Winter danach.

DIE FURCHE: Wieviele Geflüchtete sind aktuell in Bosnien, und wo halten sie sich auf?

Peter Van der Auweraert: Seit Jahresbeginn sind es offiziell fast 5000. Sie haben sich bei den bosnischen Autoritäten gemeldet und bei der Registrierung angegeben, um Asyl zu fragen. Dann können sie 15 Tage legal im Land bleiben. Sonst sind sie illegal und könnten in einem Abschiebezentrum untergebracht werden. Die übergroße Mehrheit, mindestens 90 Prozent, sieht Bosnien als Transitland. Wir schätzen, dass heute noch 1500 bis 3000 Migranten im Land sind. Es gibt keine offizielle Unterbringung, abgesehen von einem Asylzentrum mit 120 Betten und seit letzter Woche einem anderen in Salakovac mit 220. Die meisten Migranten sind in Sarajevo (etwa 1000) sowie in Bihac´ und Velika Kladusˇa, von wo sie probieren, nach Kroatien zu kommen.

DIE FURCHE: Woher stammen die Menschen?

Van der Auweraert: Anzumerken ist, dass die Nationalität in 95 Prozent der Fälle abhängig davon ist, was Migranten selbst erklären. Die allermeisten haben keine offiziellen Dokumente. Laut Statistiken kommen 23 Prozent aus Syrien, 20 Prozent aus Pakistan, 14 aus Afghanistan, zehn aus Iran, acht aus Irak, vier aus Palästina, 3,5 Prozent aus Algerien und 1,4 aus Marokko.

DIE FURCHE: Wie kommen sie nach Bosnien?

Die erste Route führt über Griechenland, Albanien und Montenegro hierhin. Aktuell gilt das für etwa 30 Prozent der Migranten. Die zweite Route mit den restlichen 70 Prozent kommt aus Serbien. Das betrifft Menschen, die sich dort schon lange aufhielten, und Iraner, die direkt per Flugzeug aus Teheran nach Belgrad kommen. (Anmerkung: Serbien hat im Frühjahr die Visumpflicht für Iraner aufgehoben, T. M.)

DIE FURCHE: Und warum entsteht auf diesen Routen gerade nun so eine Dynamik ?

Van der Auweraert: Da gibt es verschiedene Erklärungen. Die erste Route wurde Ende letzten Jahres schon benutzt. Es ging um Menschen, die in Griechenland, wo sie schon eine ganze Zeitlang waren, keine Zukunft sahen. Sie wussten, dass es sehr mühsam würde, West-Europa über Serbien zu erreichen. Also waren sie bereit, das schwierigere geographische Terrain über Bosnien zu probieren. Als sich zeigte, dass man über diese Route tatsächlich nach Kroatien kommen konnte, wurde diese Route offiziell "offen", durch Informationsaustausch unter Migranten (auf Social Media, Anm.), und mit Schleusern, die ihre Dienste anboten.

DIE FURCHE: Und die Route aus Serbien ?

Van der Auweraert: Deren zunehmende Bedeutung hat mit einer Gesetzesänderung in Serbien zu tun. Migranten müssen nun um Asyl fragen oder einen "humanitären Aufenthalt" von maximal 90 Tagen beantragen. In den Augen der Migranten ist das schlecht für sie, daher kommen sie nach Bosnien. Man sieht, wie sich die Unterkünfte in Serbien leeren und die gleiche Zahl an Menschen in Bosnien auftaucht. Kombiniert mit der Perspektive, dass sich von Bosnien die EU leichter erreichen lässt als von Serbien aus. Der Frühling und die Visa-Freiheit für Iraner in Serbien spielen natürlich auch eine Rolle.

DIE FURCHE: Unlängst wurden zwei Parks geräumt, in Velika Kladusˇa und Sarajevo. Hat sich die Situation der Menschen, die dort campierten, dadurch verbessert?

Van der Auweraert: Übernachten im Öffentlichen Raum ist schlecht für die Migranten und die lokale Bevölkerung -wegen Hygiene, Gesundheit, Ernährung, Schutz usw. Für diejenigen Migranten in Sarajevo, die nun in einem offenen Zentrum in Salakovac untergebracht sind, hat sich die Situation deutlich verbessert. In Velika Kladusˇa ist es weiterhin problematisch, weil man die Menschen dort zu einem Ort mit nur minimalen Einrichtungen gebracht hat. Wir arbeiten weiter daran, zusammen mit der Regierung und den lokalen Behörden eine humanere Lösung zu erreichen.

DIE FURCHE: Welche Perspektiven erwarten Sie für den kommenden Sommer? Wie wird die EU, wie Kroatien reagieren?

Van der Auweraert: Zur Zeit gehen wir vom Szenario aus, dass etwa 450 Menschen pro Woche ankommen. Dabei gibt es zwei Unsicherheiten: Zum einen den Effekt der stärkeren Grenz-Bewachung seitens der Bosnier, zweitens die Frage, wieviele Menschen tatsächlich weiterhin nach Kroatien gelangen können. Dies ist der Pull-Faktor. Wenn es quasi unmöglich wird, wird die Anzahl der Neuankömmlinge sinken. Es scheint mir auch wahrscheinlich, dass etwa 1500 Migranten in Bosnien stranden werden.

DIE FURCHE: Was müsste Ihrer Meinung nach jetzt geschehen?

Van der Auweraert: Ich mache mir Sorgen, dass es in Sarajevo, Bihac´ und Velika Kladusˇa sehr kurzfristig zu einer humanitären Krise kommt. Mit sehr kurzfristig meine ich nicht in zwei Monaten, sondern in zwei Wochen, und nicht nur für jene, die schon hier sind, sondern auch für die, die noch kommen. Es gibt inzwischen einen entsprechenden Plan, aber der muss schnell ausgeführt werden -gerade im Hinblick auf den Winter, wenn tatsächlich Migranten hier festsitzen werden.

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