6710354-1964_18_01.jpg
Digital In Arbeit

Broda und Olah

Werbung
Werbung
Werbung

Österreich besaß in den letzten Jahren keine regierungsfähige Regierung mehr: Dies in einer Zeit, in der große, nicht nur wirtschaftspolitische Entscheidungen fällig sind. Um nicht mißverstanden zu werden: Dies ist nicht die „Schuld“ von Männern wie Dr. Gorbach und etwa Dr. Drimmel. Die schweren Auseinandersetzungen in der ÖVP und um die ÖVP wurden nicht zuletzt provoziert durch die Rolle von „Verzichtspolitikern“, in die man ihre führenden Vertreter in der Regierung gedrängt sah: durch eine SPÖ, die ihre schwere innere Krise durch Aggressivitäten nach außen und — sprechen wir es offen aus — in besonderen Krisenmomenten durch demagogische Eskapaden abschirmte.

Der Konflikt Broda-Olah ist auf diesem Hintergrund zu sehen. „Wenn sich zwei streiten, freut sich der dritte.“ Dieser alte Satz gilt nur für sehr beschränkte Spielverhältnisse, nicht jedoch für eine Gesellschaft und einen Staat, in dem jeder von jedem abhängt; in dem der Ausfall echter Partnerschaft ernste, ja katastrophale Folgen gerade für den „anderen“, für die Andersdenkenden haben kann. Ein weiteres Auseitern des Konfliktes Broda-Olah, weiter verdeckt durch Auftrumpfen, durch Vorspiegelung falscher Tatsachen — nämlich durch Vortäuschung einer „einen“ und „einheitlichen“ Parteiführung und „zielbewußten“ Parteipolitik der SPÖ —, würde nicht nur die ÖVP in Mitleidenschaft ziehen und den begonnenen Prozeß innerer Gesundung gefährden, sondern ganz Österreich schwer treffen.

Ein zweites Mißverständnis soll hier eingangs gleich ausgeräumt werden. Es steht uns hier nicht zu, und wir haben dies auch nicht im Sinn, etwa zu bitten: „Seid nett zueinander.“ „Seid wieder nett zueinander.“ „Nun gehts hin und seids fein brave Kinder.“ Das konnte der mit großer persönlicher und amtlicher Autorität ausgestattete kaiserliche Gesandte auf dem Friedenskongreß in Münster und Osnabrück, Maximilian Graf von Trauttmans-dorff, zu einem protestantischen Gesandten sagen.

Wir aber hier sprechen nicht mit der Autorität eines kaiserlichen Vertreters. Wir alle aber wissen — In Österreich —, daß das Hochspielen der Habsburgerfrage mit den Kämpfen um Führung und um ein neues Gesicht, ja um eine neue Strukturierung der SPÖ zusammenhängt. Es war ein Parteitag der SPÖ in Wien, in dem der Justizminister Dr. Broda, sehr zur Überraschung von Freunden und Gegnern, selbst ein neues Gesicht zu zeigen schien: ein verhärtetes Gesicht.

„Seid nett zueinander“: Weder die in unserer Zeit fällige neue Strukturierung der Volkspartei, ihr Umbau und Aufbau zu einer auf innerparteilicher Demokratie ruhenden pluralen Großpartei in einer plura-len Gesellschaft, die nicht durch Paschas, Satrapen und Satrapien „regiert“ werden kann, noch auch die fällige neue Strukturierung der Sozialistischen Partei kann durch diesen Slogan angesprochen, erreicht werden.

Der schöpferische Kompromiß, die Maxime konstruktiver demokratischer Zusammenarbeit, ist etwas anderes: Es setzt die notwendige Auseinandersetzung in den Parteien und zwischen den Parteien voraus.

Die wahre Größe des Konfliktes Broda-Olah ist ja — mag dies gegenwärtig vielleicht sogar von den Protagonisten dieses Kampfes selbst nicht ganz eingesehen werden — eben darin begründet: Die österreichische sozialistische Bewegung (und sie ist mehr als die SPÖ im engeren Sinn) befindet sich wie der Sozialismus in Europa (und alle seine größeren Partner und Gegner) in einer Lage, die einen „Umbau“, ja mehr: eine Neubesinnung, eine Reform an Haupt und Gliedern fordert. Wer mit den Waffen und Worten und Programmen von gestern auf den Kampfplätzen von gestern weiterficht, vergiftet sich selbst und die Verhältnisse und wird — bei gegebenen Umständen — zum Töter von guter Hoffnung und Zukunft.

Die Schwierigkeiten, denen sich unser mitteleuropäischer Sozialismus ausgesetzt sieht, zeigen drastisch die Vorgänge in der deutschen Bruderpartei — in der SPD — auf. Hier hat das Ringen um eine Anpassung an den adenauerschen Bürgerstaat zuerst zum Godesberger-Programm, zu einer straffen zentralistischen Parteiführung „geführt“, die bedeutende Menschenopfer und den Verzicht auf eine eigene konstruktive Außenpolitik gefordert hat. Für den Gewinn einiger tausend und hunderttausend Stimmen hat die SPD bis heute bereits geopfert: ihre wachste eigene sozialistische Jugend (in Teilen der Gewerkschaften und der Sozialistischen Studentenschaft), ihre wachste politische Intelligenz (an den Universitäten und Hochschulen).

Die vor kurzem bekanntgewordene Entlassung des Chefredakteurs eines der bedeutendsten ihr nahestehenden Organe, der Monatsschrift, die vom Deutschen Gewerkschaftebund herausgegeben wurde, Dr. Fabian, reiht sich lückenlos in diese Kette. In fataler Nachfolge des unseligen Lassalle, der eben vor kurzem hoch gefeiert wurde — er wollte gern kaiserliche deutsche Soldatenregimenter am Bosporus stehen sehen —, hat die SPD durch ihre autoritäre, zentra-listische Führung weithin Züge einer NSVP, einer nationalsozialistischen Volkspartei, angenommen. Und sich unfähig erwiesen, die Bundesrepublik aus der Sackgasse herauszuführen.

Die Beachtung dieser innendeutschen Verhältnisse ist für Österreich mehrfach von Bedeutung: nicht zuletzt deshalb, da in der Emigration 1938 bis 1945 es auch deshalb zu keiner österreichischen Regierungsbildung kam, wie von katholischer und konservativer Seite erarbeitet und erwünscht wurde, weil prominente Köpfe der alten österreichischen Sozialdemokratie am Anschluß — an Deutschland — bis 1945 festhielten.

Die alte österreichische Sozialdemokratie besaß Köpfe, politische Denker, die in beiden Lagern des Weltsozialismus, im Weltkommunismus und in den sozialdemokratischen und sozialistischen Parteien, größtes Ansehen gerade auch als bekämpfte Gegner genossen. Diese Partei schuf in der Ersten Republik eine Parteiorganisation, eine politische Erziehung der Massen und Aufbauleistungen, die in der Zeit des christlichen Ständestaates der Prince of Wales sich vom Wiener Bürgermeister Richard Schmitz zeigen ließ; alle Welt kannte das Kommunalwesen eines Seite, Tandler und Genossen.

In dieser mächtigen, gefürchteten und weit über Europa hinaus angesehenen österreichischen Sozialdemokratischen Partei wurde dennoch nicht mit der notwendigen Härte (Härte nach innen, in die eigene Partei, in die eigene Brust hinein — nicht Härte nach außen!) der große Konflikt ausgetragen, der durch Namen wie „Otto Bauer“ und „Karl Renner“ nicht voll erfaßt, aber angezeigt werden kann. Die Tragödie Österreichs und das Drama der sozialistischen Bewegung 1934 hängt auch damit zusammen: Man war sich innerparteilich nicht klar geworden, 1918 bis 1934, ob man Weltrevolution in Österreich machen und revolutionär, auch auf der Straße, um die Machtübernahme kämpfen sollte und wollte oder ob man andere Wege gehen sollte. Der Schreiber dieser Zeilen hat so oft sich gegen jede Zuschiebung einer Alleinschuld an die Adresse des Weltsozialismus und der österreichischen Sozialdemokratie für die fatale Verwicklung 1938 bis 1945 ausgesprochen, daß hier nicht nach der roten Katze oder dem Schwarzen Peter geschielt werden sollte.

Dr. Christian Broda, der österreichische Justizminister, ist nicht Dr. Otto Bauer, und Franz Olah, der Innenminister, ist nicht Dr. Karl Renner. Dennoch fallen ihnen — ob sie es wissen und wollen mögen, ist sekundär — Rollen, besser Funktionen zu, die in der Neugestaltung der sozialistischen Bewegung und der SPÖ sich geltend machen werden. Der Konflikt Broda-Olah ist ja gerade als ein Personenkonflikt ein struktureller Konflikt. Niemand kann sagen, wie er „ausgeht“, weil niemand sagen kann, wie der Sozialismus von morgen aussehen wird.

Es geht gerade auch deshalb nicht an, Dr. Christian Broda als einen Linksradikalen zu denunzieren, der die Eierschalen der großen Französischen Revolution und der Oktoberrevolution nicht ganz abwerfen kann. Und es geht nicht an, Franz Olah einfach zu einem potentiellen Napoleoniden, zumindest zu einem Amokläufer und vom Größenwahn verzehrten Demagogen abzustempeln.

In den schweren Zeiten, die dem Ende der Ersten Republik unmittelbar vorangingen, haben beide sich als Österreicher, die für den Gesamtstaat zu kämpfen bereit waren, legitimiert. Dies allein sollte heute schon Denunzianten aller Couleurs, nicht zuletzt einer braun-roten Provenienz, die Rede verschlagen. Franz Olah ging den schweren Weg zu Schuschnigg, wollte in Wien die sozialistische Arbeiterschaft mobilisieren. Damals wagte es der frühere Vizekanzler, Unterrichtsminister und damalige Bürgermeister von Wien, Richard Schmitz, dessen zehnjähri-gen Todestages am 27. April sich die „Furche“ und der Verlag „Herold“ dankbar erinnern (Schmitz war der erste Generaldirektor nach 1945, er begann den Wiederaufbau), Verbindungen mit sozialistischen Kreisen aufzunehmen, um mit der Waffe für Österreich zu kämpfen. Die Nationalsozialisten erkannten sofort diese Gefahr einer „Volksfront“ — es war eine wahrhafte Volksfront als Front Österreichs — und schickten Richard Schmitz sofort als ihren vielleicht gefährlichsten Feind nach Dachau.

Damals, als Franz Olah um Wege zu Schuschnigg rang, fand der junge Akademiker Christian Broda den Weg zu Richard Schmitz und organisierte mit ihm den Einsatz von Jungarbeitern für Österreichs letzten Kampf.

Und heute stehen sie einander gegenüber: Doktor Broda, als Vertreter einer westlich gebildeten sozialistischen Intelligenz, einer hochbürgerlichen Familie entstammend. Weit über Österreich hinaussehend, hat der junge Broda früh bereits in Westeuropa und Amerika die Probleme des Sozialismus in allen seinen brudermörderischen Fiktionen und Parteiungen im Zusammenhang mit dem Weltbürgerkrieg und der globalen Menschengesellschaft gesehen. Sein Weg durch den Kommunismus hindurch entspricht genau den Wegen der politisch wachen linken Intelligenz in Amerika, England. Frankreich, Italien durch den Kommunismus stalinischer Prägung hindurch. Die Angst vor einer monolithischen Strukturierung der eigenen Sozialistischen Partei hat ihn nicht zuletzt gegen Franz Olah mobilisiert. Wir glauben nicht — hier —, daß Olah ein neuer Robespierre werden möchte. Wir müssen aber eine weitverbreitete Angst in sozialistischen Kreisen vor dem abschreckenden Beispiel des großen roten Bruders in Moskau, vor einer Notzüchtigung durch diesen, respektieren. Und wir sollen dies — gerade am bundesdeutschen Modell zeigt es sich fatal — nicht übersehen: Gerade in Übergangszeiten, in denen ein neues Gesicht und eine neue Struktur einer sozialistischen Volkspartei noch nicht gewonnen sind, liegt die Versuchung nahe, eine Art Einmannregime mit einem „starken Führer“ (mit oder ohne Charisma) den zuinnerst um Orientierung suchenden alteigenen Massen, den zu gewinnenden Neuwählern und dem Gegner vorzustellen.

Franz Olah seinerseits. mag In Broda die in Österreich immer verdächtige mobile Intelligenz (auf ÖVP-Seite hat Dr. Drimmel, Brodas Gegenpol, ähnlichen Schrecken in eigenen Kreisen erregt), eine Geringschätzung innerösterreichischer Belange, erspüren zu können glauben. Alarmierend ist heute dies: Die unter anderem in der sozialistischen Führungszeitschrift „Zukunft“ begonnene Auseinandersetzung wurde abgebrochen, als beendet erklärt: in einem Moment, wo sie bedeutsam für die Zukunft Österreichs und die Zukunft des Sozialismus in Österreich eben erst richtig begonnen hat. Folgt man hier dem deutschen Beispiel?

Da wir in dem Konflikt Broda-Olah nicht eine private Querelle, sondern — im Ansatz und Hintergrund — den Beginn der großen, längst fälligen innersozialistischen Auseinandersetzung über Wege und Ziele eines Sozialismus als Partner in einer pluralen Gesellschaft sehen, müssen wir darauf bestehen: Die SPÖ legitimiert ihre politische Glaubwürdigkeit und staatsverantwortende Verläßlichkeit heute und morgen durch die Offenheit, Sauberkeit und innere Härte (nochmals: Härte nach innen, in die eigene Person hinein, in die eigene Partei hinein, nicht aggressive Härte nach außen), mit der sie um Einwurzelung in einer im Wandel befindlichen Zeit und Gesellschaft durch Selbstkritik ringt.

Was natürlich auch für den Partner, die Volkspartei, gilt.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung