Polen - © Foto: Pixabay

Bronislaw Geremek: "Sie wollten mein Wunder zerstören!"

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Ein Gespräch mit dem früheren polnischen Außenminister und heutigen liberalen EU-Abgeordneten Bronislaw Geremek über die Wahlen in Polen, Historiker in der Politik und ponisch-deutsche Verständigung.

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Ein Gespräch mit dem früheren polnischen Außenminister und heutigen liberalen EU-Abgeordneten Bronislaw Geremek über die Wahlen in Polen, Historiker in der Politik und ponisch-deutsche Verständigung.

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"Hast du einen Opa, schick ihn nach Europa!" Erhard Busek poltert regelmäßig mit diesem Spruch gegen die Praxis, altgediente Politiker ins EU-Ausgedinge zu schicken. Beim früheren polnischen Außenminister und heutigen liberalen EU-Abgeordneten Bronislaw Geremek würde aber wohl auch Busek reimen: "Hast du einen Weisen, lass ihn nach Brüssel reisen!"

Die Furche: Herr Professor, Sie haben Ihren Abgeordnetensitz im EU-Parlament riskiert, als Sie sich weigerten dem "Lustrationsgesetz" der Kaczyński-Regierung nachzukommen und eine Erklärung über Ihre Kontakte zum früheren kommunistischen Polen abzugeben. Warum? Sie mussten sich davor ja nicht fürchten.

Bronislaw Geremek: Das Problem war auch nicht Herr Kaczyński , sondern meine Entscheidung. Gegen dieses schlechte Gesetz wollte ich eine symbolische Geste setzen. Ich hoffte, wenn ich mit meiner persönlichen Geschichte ein solches Zeichen setze, würde man dieses Symbol verstehen und dieses Zeichen wird Konsequenzen zeigen.

Die Furche: Die Wahlen im Polen vergangenes Monat haben Sie bestätigt: Sie haben noch Ihr Europamandat, die Kaczyński-Regierung ist abgewählt - eine persönliche Genugtuung?

Geremek: Ich bin einfach sehr zufrieden, dass eine schlechte Regierung abgewählt wurde. Und ich bin zufrieden, dass ich meinen Kampf gewonnen habe, ohne in den politischen Kategorien des Machterhalts um jeden Preis gehandelt zu haben.

Die Furche: Und wenn es schief gegangen wäre?

Geremek: Ich hatte keine Angst. Ich war darauf vorbereitet, das EU-Parlament zu verlassen und zurück in meine Welt der Bücher zu gehen. Von meiner Persönlichkeit her bin ich kein professioneller Politiker. Meine Welt ist, Bücher zu lesen, Bücher zu schreiben. Ich bin Historiker, ich bin Professor, ich unterrichte …

Die Furche: … als Politiker?

Geremek: Ja, sonst hätte ich nicht dieses symbolische Zeichen gesetzt. Ich will mir auch in der Politik meine Freiheit des Denkens bewahren.

Die Furche: Sollte es mehr Historiker in der Politik geben?

Geremek: Manchmal denke ich mir, es wäre besser, wenn wir in der Politik mehr Menschen mit einem größeren Abstand zu politischen Karrieren hätten. Aber dann erinnere ich mich an den Spruch (zitiert diesen Satz auf Deutsch, das Gespräch findet ansonsten auf Englisch statt): "100 Professoren und das Vaterland ist verloren!" (lacht)

Die Furche: Ihnen und anderen Persönlichkeiten der polnisch-deutschen Verständigung wurde ja auch eine Art Vaterlandsverrat vorgeworfen und man hat Sie beschuldigt, zu Deutschland-freundlich zu sein.

Geremek: Ich bin stolz darauf, heute höflich und freundlich gegenüber unseren deutschen Nachbarn zu sein, denn ich musste in meinen Leben viel von Deutschen verursachtes Leid ertragen. Für mich war die Versöhnung mit den Deutschen nicht nur ein politisches, sondern zuerst ein persönliches Problem. Das war ein langer Prozess und ich bin froh und stolz, dass ich, dass wir, dass Polen diesen Prozess unternommen hat. Das ist der Hauptgrund, warum ich mich gegen die Kaczi´nskis gestellt habe: Sie waren dabei, eines der Wunder meines Lebens zu zerstören: die deutsch-polnische Annäherung. Das wäre nicht ohne gravierende Auswirkungen auf Europa geblieben, denn Europa ist gegründet auf Versöhnung.

Die Furche: Heute schaut es so aus, als entscheide sich die Zukunft der EU an der Fähigkeit, eine Versöhnung zwischen dem EU-Volk und "denen in Brüssel" zustande zu bringen.

Geremek: Der Raum für die Bürgerinnen und Bürger in der EU ist sehr klein. Europas Bürger haben nach wie vor einen sehr limitierten Zugang zu politischen Gestaltungsprozessen, und der europäische Bürger ist so wie die europäische Zivilgesellschaft vor allem ein rhetorisches Konstrukt. Doch was sind die Rechte und Pflichten der europäischen Bürger?

Die Furche: Diese Frage sollte der EU-Verfassungsvertrag inklusive Grundrechtscharta beantworten.

Geremek: Ich hätte mir vom Verfassungs-Prozess erwartet, nicht nur einen EU-Gesetzesrahmen, sondern auch mehr Raum für die Bürger zu schaffen. Im EU-Vertrag wird der europäische Bürger allein in juristischen und politischen Kategorien beschrieben: EU-Bürger ist, wer Bürger eines EU-Mitgliedsstaates ist. Doch wo bleibt da unser gemeinsames Gefühl, zu Europa zu gehören

Die Furche: Sie reden mehr wie ein ATTAC-Mitglied und weniger wie ein EU-Abgeordneter. ATTAC fordert ein Referendum über den EU-Vertrag - und Sie?

Geremek: Diese Frage bringt mich in ein Dilemma: Einerseits bin ich für ein Referendum - für ein europaweites Referendum an einem Tag und mit einem europaweiten und nicht nationalen Ergebnis. Andererseits bin ich gegen ein Referendum, denn es kann sehr leicht ein Instrument für Populisten werden.

Die Furche: Klingt mehr nach Kneifen …

Geremek: Wir müssen die Menschen fragen, damit sie antworten können. Doch wir haben in der EU keinen - wie Jürgen Habermas sagt - öffentlichen Raum. Und der EU-Vertrag ist unbekannt. Außerdem kann man nicht erwarten, dass die Bürger 400 Seiten Gesetzestexte lesen.

Die Furche: Was tun?

Geremek: Ich schlage vor, eine Volksbefragung zu initiieren, die nicht bindend ist. Wir müssen den Menschen konkrete Fragen stellen: Willst du soziale Mindeststandards in der EU? Willst du eine europäische Armee? Willst du einen Außenminister? Mit konkreten Fragen erreicht man konkrete Antworten. Zudem fragen wir die Polen, die Deutschen, die Österreicher usw. in ihrer Rolle als europäische Bürger.

Die Furche: Was sollen dann diese die EU-Politiker nicht bindenden Abstimmungsergebnisse bringen?

Geremek: Mit diesen Befragungen wäre eine direkte Verbindung zwischen den EU-Bürgern und ihren Politikern geschaffen. Was war die Demokratie im antiken Athen anderes? Die Bürger hatten das Recht und die Pflicht, sich zu beteiligen, etwas zu sagen.

Das Gespräch führte Wolfgang Machreich.

75 Jahre polnische Geschichte in einer Person

"Viel Glück für das Gespräch!", wünschte mir der Pressesprecher von Bronislaw Geremek, als er mich in einem Besprechungszimmer im Straßburger Europaparlament zurückließ, in dem ich auf den "Herrn Professor" warten sollte. "Glück", lachte ich still in mich hinein, "das brauch' ich jetzt nicht mehr, Glück hab ich mit diesem Interviewtermin ausreichend gehabt." - Einen Menschen treffen zu dürfen, der wie kaum ein anderer alle Facetten der polnischen Geschichte des letzten Jahrhunderts, die Tragödien wie die Glanzstunden, in seiner Biografie vereinigt:

Geremek wurde 1932 in Warschau geboren. Sein Vater und Großvater waren Rabbiner und wurden in Auschwitz ermordet. Geremek, katholisch erzogen, konnte mit seiner Mutter dem Warschauer Ghetto entkommen, Als 18-Jähriger trat er in die kommunistische Partei ein. 1968, nach der Niederschlagung des Prager Frühlings und der antisemitischen Kampagne in Polen, brach er mit dem Kommunismus. Im Untergrund hielt er als Mitgründer der "fliegenden Universitäten" Vorlesungen über solche Themen aus der Geschichte, die offiziell tabu waren. Mit dem Streik auf der Danziger Leninwerft trat Geremek ins politische Rampenlicht, wurde zum Berater von Lech Wal¸esa. Während des Kriegsrechts interniert, anschließend bespitzelt und als Dozent entlassen, hätte er in den Westen emigrieren können, lehnte das aber ab. Stattdessen suchte Geremek seit den späten 80er Jahren den Dialog mit der kommunistischen Staatsführung und gehörte zu den "Vätern" des Runden Tisches, an dem 1989 Kommunisten und Bürgerrechtler den friedlichen Wandel in Polen einleiteten. WM

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