Bunkerstimmung in der Union

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Schlägertrupps und politische Querschläger haben die EU aus dem Tritt gebracht. Mit Bunkern zu reagieren, ist zuwenig.

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Schlägertrupps und politische Querschläger haben die EU aus dem Tritt gebracht. Mit Bunkern zu reagieren, ist zuwenig.

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Mehr Bürgernähe sei jetzt unbedingt vonnöten, lautete die einhellige Forderung der EU-Politiker an sich selbst nach dem Abstimmungsdebakel beim irischen Referendum. Kaum eine Woche später, am vergangenen Wochenende, waren die selben Staats- und Regierungschefs beim EU-Gipfel von Göteborg jedoch schon wieder gezwungen, sich noch mehr als vorher in ihren Konferenzburgen einzubunkern und vom Rest Europas abzuschotten.

Der Grund: rabiate EU-Hooligans, die mit Pflastersteinen und Holzknüppeln den europäischen Einigungsprozess - für sie nur ein Teilabschnitt in der Globalisierungsfront - zu stoppen versuchen. Jetzt kann mit Recht eingewandt werden, dass es sich hier bloß um wenige herumreisende Randalierer handelt, denen jede politische Zusammenkunft größeren Zuschnitts gelegen kommt, ihrer Chaoten-Welttournee einen neuen Auftritt hinzuzufügen. Und Göteborg setze nur die traurige Tradition dieser he-rumziehenden Krawallmacher, beginnend mit Seattle über Prag und Davos, fort. Wenig Grund zu größerer Aufregung, das ist halt mittlerweile so, und: "Ich fürchte, wir werden sie wieder sehen", meint in diesem Sinne auch Schwedens Premierminister Göran Persson.

Wer so denkt und redet, vergisst, dass die Göteborger Steinewerfer sehr wohl auch ein Ausdruck des tiefen Unbehagens weiter Bevölkerungsschichten mit der Europäischen Union sind. Sicher, kaum jemand wird sagen, die Gewaltexzesse seien akzeptabel oder entschuldbar. Doch wer ein wenig nachbohrt, wird sehr schnell und erstaunlich oft die Meinung hören, dass es doch ganz gut sei, wenn "die da oben" sich nicht gar so sicher fühlen, wenn "denen da oben" nicht alles durchgeht.

Die, das sind die EU-Repräsentanten; oben, das sind die EU-Institutionen, die zwar alle demokratisch legitimiert sind, aber doch bei vielen den Eindruck erwecken, es werde in Europa über ihre Köpfe hinweg entschieden. EU-Schlägertrupps rechtfertigen sich als Manifestation dieses latenten Unmuts in der Bevölkerung, genauso wie EU-Querschlägerparteien von diesem Misstrauen zu profitieren versuchen und den Ruf nach mehr direkter Einflussnahme des Volkes nur allzu gern in ihr politisches Vokabular übernehmen. Damit ist der Sprung von Göteborg nach Österreich getan, statt den Schlachtgesängen der Chaoten ertönt hierzulande die FPÖ-Forderung nach einer Volksabstimmung zur EU-Erweiterung.

Die Reaktion ist aber in beiden Fällen die gleiche: bunkern! Europaweit werden die FP-Sager mit dem bereits zitierten fatalistischen Sager Göran Perssons kommentiert: Mit solchen Ansagen muss man aus Österreich halt rechnen. "Ich fürchte, wir werden sie wiederhören." Und in Österreich wird von der ÖVP das Regierungsübereinkommen hochgehalten, um den Koalitionspartner an seinen einmal getätigten proeuropäischen Schwenk zu erinnern.

Nun ist es nicht so, dass man unmittelbare, direkte Demokratie gleich wie Franz Josef Strauß selig als "vox populi - vox Rindvieh" diskriminieren muss. Mehr Demokratie gefährde die Demokratie, ein anderes Schlagwort, das in dieser Diskussion gern eingesetzt wird, entbehrt ebenfalls jeder Plausibilität. Denn wer auf die konstruktive Kraft der Zivilgesellschaft in anderen Zusammenhängen vertraut (siehe das Loblied auf die Zivilgesellschaft beim österreichischen Regierungswechsel!), der kann eigentlich nicht davon ausgehen, dass diese Kraft bei Abstimmungen destruktiv genutzt wird. Hinzu kommt, dass ja gerade die Einführung des Plebiszits die rechtliche Anerkennung der Zivilgesellschaft wäre. Weiters ist es noch nicht lange her, da hat der für die Erweiterung zuständige EU-Kommissar Günter Verheugen, ein deutscher Sozialdemokrat, einen Volksentscheid in Deutschland über die Erweiterung gefordert. Seine Begründung: Die Menschen seien bei der EU-Erweiterung mitzunehmen, und die Eliten sollten gezwungen sein, aus ihrem Elfenbeinturm herauszukommen und für dieses Jahrhundertprojekt zu werben.

Was ist demnach so schlecht am FPÖ-Begehren? Nur dass es - wie die FPÖ weinerlich unterstellt - von der FPÖ kommt? Und ist der Vorwurf nicht berechtigt, dass sich hier nur Regierende vom Volk beim Regieren gestört fühlen? Die Antwort ist einfach, ihre Umsetzung und die dazu nötige Unterscheidungskraft sind mitunter sehr schwierig: Klug und sorgfältig eingesetzt, können Plebiszite die Rückkoppelung der Politik an die Bürger verstärken. Populistisch und opportunistisch verwendet, drohen sie die repräsentative Demokratie mit ihren Zwischengewalten - und damit das erfolgreichste und gescheiteste Muster aller bisherigen Verfassungspolitik - zu untergraben.

Die Kritik an der konkreten Gestalt der repräsentativen Demokratie ist legitim, solange sie nicht in die Verachtung des Prinzips umschlägt und der falsche, naive und gefährliche Eindruck entsteht, die direkte sei der repräsentativen Demokratie grundsätzlich vorzuziehen. Aus Basisdemokratie kann sehr schnell Betroffenheitsdemokratie werden, geschickt ausgenutzt von denen, die zwar uneingeschränkte Mitgestaltungsmöglichkeiten vortäuschen, damit aber nicht der perfekten direkten Demokratie, sondern der perfekt verschleierten Diktatur den Weg bereiten. Unmittelbare Demokratie (möglichst ohne lästige Politiker, Parteien und Parlamente) ist nämlich nur die plebiszitäre Variante des populis-tischen Rufs nach dem "starken Mann".

Allerdings lässt sich die repräsentative Demokratie nicht verteidigen, wenn die Repräsentanten in ihrer Rolle versagen. Die Krise der Institutionen kommt aus ihrem Mangel an Selbstbewusstsein und Stehvermögen. Die Repräsentanten müssen vor den Wah-len sagen, was sie wollen und nach den Wahlen dazu stehen. Wenn Wahlen nur mehr als störende Termine angesehen werden, die es mit Versprechungen und schönen Worten zu überstehen gilt, wird der schleichende Legitimationsverlust der Repräsentanten nicht aufzuhalten sein. Und dann hilft als Ausweg wirklich nur mehr bunkern.

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