Proteste der Kurden  - Syrische Kurden demonstrieren in der Stadt Jandairis, nahe dertürkischen Grenze. Grund ist die im Jänner von der Türkei gestartete Millitäroffensive „Olivenzweig“. - © Foto: AFP / Delil Souleiman

Cengiz Günay: "Erdogan ist Pragmatiker und Populist"

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Der Wissenschaftler und Lektor an der Universität Wien Cengiz Günay über den Fall Deniz Yücel, die Rolle Erdo˘gans in der regierenden AKP und das Verhältnis zwischen der Türkei und Israel.

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Der Wissenschaftler und Lektor an der Universität Wien Cengiz Günay über den Fall Deniz Yücel, die Rolle Erdo˘gans in der regierenden AKP und das Verhältnis zwischen der Türkei und Israel.

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Der Tag seiner Freilassung war ein großer Tag für Deniz Yücel. Vielleicht auch für die deutsche Politik. Aber ein großer Tag für die Freiheit der türkischen Journalisten war es nicht.

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DIE FURCHE: Letzte Woche wurde der in der Türkei inhaftierte Journalist Yücel, nach einem Jahr Untersuchungshaft, freigelassen. Was halten Sie von der Causa Yücel?
Cengiz Günay: Ich bin mit den Details der Anklageschrift nicht so vertraut. Soweit ich informiert bin, wird ihm vorgeworfen, Propaganda für die PKK gemacht zu haben. Das türkische Gesetz ist in Bezug auf die Definition von Terrorismus und seinem Ausmaß sehr vage. Was der Justiz auch immer wieder ermöglicht, Leute unter Terrorverdacht festzunehmen. Das ist ein grundsätzliches Problem, das am Beispiel von Deniz Yücel international sichtbar wurde. Der Fall hat die europäische Öffentlichkeit aufgerüttelt.

DIE FURCHE: Die deutsche Bundesregierung ist der Meinung, dass dieses Ereignis wichtig für die Verbesserung der schwer belasteten Beziehung zwischen Deutschland und der Türkei sei. Sigmar Gabriel dazu: "Das ist ein guter Tag für uns alle." Handelt es sich hierbei um einen Tropfen auf den heißen Stein?
Günay: Es ist ein großer Tag für Deniz Yücel. Und vielleicht auch für die deutsche Politik. Es ist zu einem Politikum geworden, das sehr stark die Beziehung zur Türkei geprägt hat. Aber ein großer Tag für die Freiheit türkischer Journalisten ist es nicht. Zeitgleich wurden sechs Journalisten zu lebenslänglich verurteilt. Einer ist auch ein bekannter Autor. Er zählt dem Liberalen Lager zu, das lange Zeit auch der Regierung von Erdogan zugetan war. Das ist schon ironisch.

DIE FURCHE: Gegenwärtig läuft in der Türkei ein Verfahren gegen Yücel. Glauben Sie, dass es auch in seinem Fall zu einer lebenslangen Haftstrafe kommen kann?
Günay: Soweit ich es gelesen habe, steht das auf relativ schwachen Füßen. Was er gemacht hat, ist ein Interview mit PKK-Führern und -Kämpfern zu führen. Ob das schon als Terrorpropaganda einzustufen ist? Jedoch befindet sich die Türkei nicht nur im juristischen Sinne in einem Ausnahmezustand, sondern auch in einem psychischen. Damit meine ich, dass seit diesem Putschversuch im Sommer 2016 die Suche nach "faulen Äpfeln" im Staatsapparat diskursiv betrieben wird. Nach dem Wiederaufflammen der Kämpfe hat die Suche nach Unterstützern der PKK und ähnlichen Organisationen ein Ausmaß erlangt, das die Gesellschaft auf Trab hält. Es herrscht eine dauernde Unruhe, was natürlich Auswirkungen auf die Psyche der Menschen hat. Und das wirkt sich auch auf das Justizwesen aus.

Der Tag seiner Freilassung war ein großer Tag für Deniz Yücel. Vielleicht auch für die deutsche Politik. Aber ein großer Tag für die Freiheit der türkischen Journalisten war es nicht.

DIE FURCHE: Sie haben vormals von ehemaligen Sympathisanten Erdogans gesprochen. Anfang dieses Jahres äußerte sich der ehemalige Präsident und Mitbegründer der AKP, Abdullah Gül, öffentlich gegen Erdogan. Glauben Sie, dass es zu einem innerparteilichen Tauziehen zwischen den beiden kommen kann?
Günay: Innerhalb der AKP ist die Vormachtstellung Erdogans nicht gefährdet. Der Wandel dieser Partei sagt viel aus. Sie ist als eine Reformbewegung angetreten, die weit über die klassisch-konservativen Kreise hinaus auch Liberale anziehen konnte. Das hat sich verändert. Sie hat sich in eine Kaderpartei verwandelt, die vor allem dadurch geprägt ist, dass man Erdogan nahe ist. Es gibt viele junge Karriereleute, die in dieser Zeit groß geworden sind. Die Partei hat in sich einen enormen Wandel erlebt und alte Größen wie Abdullah Gül sind draußen geblieben. Das birgt eine gewisse Gefahr für die Partei, weil sie an Strahlkraft verliert -es geht nur mehr um das Bewahren von Macht. Rhetorisch natürlich schon, real allerdings geht es nur mehr um das Bewahren des Status quo und den Machterhalt Erdogans. Dadurch gibt es viele Unzufriedene. Sie wissen nicht, wo sie hingehen sollen und es gibt noch keine richtige Alternative. Gül wird immer wieder genannt, aber ich glaube nicht, dass er sich traut, aus diesem Schatten zu treten. Jedoch sitzt Erdogan nicht mehr so fest im Sattel wie vor einiger Zeit.

DIE FURCHE: Versucht Erdogan mit seiner Anti-Israel-Rhetorik dem entgegenzuwirken, indem er seinen Stammwählern den Beschützer der Muslime mimt?
Günay: Er hat sehr stark gegen Israel polarisiert. Meiner Meinung nach ist Erdogan nicht als Ideologe einzustufen, sondern als Pragmatiker und Populist. Gerade die Außenpolitik sagt sehr viel über diesen Pragmatismus und die Flexibilität aus. Israel ist ein schönes Beispiel hierfür. In den ersten Jahren war er sehr eng mit Israel. Dann war die Davos-Krise, im Zuge dieser er Israel als "Terrorstaat" bezeichnete. Währenddessen sind die Beziehungen auf Geschäftsebene jedoch ungestört weitergegangen. Anti-Israel-Rhetorik lässt sich halt gut verkaufen. Vor allem bei der israelkritischen Basis dieser Partei.

Cengiz Günay

ist stellvertretender Direktor des oiip (Österreichisches Institut für Internationale Politik). Zu seinen Forschungsschwerpunkten gehören: Islamismus, Außenpolitik, Demokratisierung, politische Reform.

ist stellvertretender Direktor des oiip (Österreichisches Institut für Internationale Politik). Zu seinen Forschungsschwerpunkten gehören: Islamismus, Außenpolitik, Demokratisierung, politische Reform.

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