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Chancen der Ökumene

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„Uppsala 1968” ist zu einem Begriff geworden, bevor die Vierte Vollversammlung des ökumenischen Rates der Kirchen überhaupt begonnen hat. Vom 4. bis 20. Juli 1968 wird die schwedische Universitätsstadt Uppsala die Delegierten der dem ökumenischen Rat der Kirchen angeschlossenen Kirchen beherbergen. 232 Mitgliedkirchen gehören heute dazu. In mehr als 80 Ländern aller Kontinente stellen sie ungefähr 400 Millionen Christen dar. Fast die ganze nicht-römisch-katholische Christenheit wird hier vertreten sein. 800 offizielle Delegierte werden erwartet. 165 Berater und 150 Jugenddelegierte kommen hinzu. 65 Delegierte wurden aus solchen Kirchen eingeladen, die sich dem ökumenischen Rat der Kirchen bis heute noch nicht angeschlossen haben. 15 Vertreter des römischen Katholizismus befinden sich darunter. Auf Aufforderung können sie sich an der Diskussion beteiligen. Rund 400 Mitglieder des Stabes sorgen für den reibungslosen organisatorischen Ablauf. Die Zahl der akkreditierten Vertreter von Presse, Rundfunk und Fernsehen ist gegenüber der letzten Vollversammlung von 350 auf 750 angestiegen. Insgesamt sind 2500 Personen registriert. Ein hochgestellter Katholik hat kürzlich geäußert, Uppsala werde das „größte ökumenische Ereignis des Jahres” sein. Wir zweifeln nicht daran.

Weltweite Christenheit

Das Wort „ökumenisch” bedeutet „weltweit”. Der weltweite Charakter des ökumenischen Rates der Kirchen wird in Uppsala recht deutlich zutage treten. Man hat dem Ökumenischen Rat der Kirchen schon vorgeworfen, er sei einseitig westlich, einseitig protestantisch orientiert. Mindestens seit Uppsala ist dies nicht mehr der Fall. An der lezten Vollversammlung von Neu- Delhi im Jahre 1961 ist eine ganze

Anzahl orthodoxer Kirchen aufgenommen worden, was sich in Uppsala deutlich auswirken wird. Die orthodoxen Kirchen können 126 Delegierte entsenden, während die Reformierten und die Lutheraner mit je 123 vertreten sind. Es gibt Fachleute, die den Ost-West- Dialog als schwieriger bezeichnen als das Gespräch zwischen Rom und dem Protestantismus. Neue Gesichtspunkte bringen eine Befruchtung, allenfalls aber auch eine Belastung und Verlangsamung der ökumenischen Bewegung.

Die Delegierten der Mitgliedskirchen sind in ihren Ländern der herrschenden politischen Meinung ausgesetzt. Sie selber sind in den seltensten Fällen politische Experten. Tagesereignisse können stark auf das Konferenzklima abfärben. Schon hat die griechisch-orthodoxe Kirche, obwohl sie einen beigeord- neten Generalsekretär stellt und ein Neutestamentler aus Saloniki für einen Hauptvortrag vorgesehen ist, die Teilnahme abgesagt. Man rechnet allerdings am Sitz des ökumenischen Rates in Genf, daß hier noch nicht das letzte Wort gesprochen ist.

Das Arbeitspensum

Die Vollversammlung wird sich intensiv ihrer Aufgabe widmen müssen, wenn sie in 16 Tagen durchkommen will. Die zeitliche Begrenzung setzt die Teilnehmer unter einen kaum vorstellbaren Druck. Die Delegierten werden die Arbeit der letzten sieben Jahre überprüfen und die Richtlinien für die Arbeit der kommenden sieben Jahre oder darüber hinaus bestimmen müssen. Gleichzeitig sind die Delegierten Mitglieder einer der sechs thematischen Sektionen. Daneben laufen die Gottesdienste und die Hauptvorträge. Zwar wird schon der Eröffnungsgottesdienst gegenüber dem geplanten Programm eine Änderung erfahren. Martin Luther King war für die Eröffnungspredigt vorgesehen …

An profilierten Rednern werden in Uppsala unter anderen auftreten: Barbara Ward, eine britische Wirtschaf tswissenschaftlerin, die kürzlich als Mitglied in die Päpstliche Kommission Justitia et Pax berufen wurde, der ehemalige Generalsekretär W. A. Visser’t Hooft, ein afrikanischer Staatschef: David Kenneth Kaunda, Präsident von Sambia, und aus der asiatischen Christenheit: M. M. Thomas und Vater Paul Verghese.

Schon liegen in einem handlichen Bändchen die Entwürfe der sechs Sektionen vor. Die wohlausgewogenen Thesen sind das Ergebnis langer Gespräche, bilden aber erst einen Entwurf, der in Uppsala beraten werden soll. Der beigegebene Kommentar erhellt interessante Hintergründe und läßt etwas von den vorangegangenen Diskussionen durchblicken. Er ist zur Wertung der oft etwas farblosen Thesen und Fragen unerläßlich.

Sektionsentwiirfe

Sektion 1 befaßt sich mit der Katholizität der Kirche. Zur Zeit sind nicht weniger als 46 Unionsverhandlungen im Gange, an denen 121 Kirchen in 29 Ländern beteiligt sind. Die Hoffnung auf ein universales Konzil kommt zum Ausdruck. Sektion 2 behandelt mit „Aufbruch zur Sendung” Fragen der Mission im weitesten Sinn. Sektion 3 und 4 stoßen in die Weltprobleme vor: „Aufgabe der Kirche in der sozialen und wirtschaftlichen Weltentwicklung” und „Auf dem Weg zu Gerechtigkeit und Frieden in internationalen Angelegenheiten”. In dieses Gebiet gehört der erstmals vom Vatikan und dem ökumenischen Rat der Kirchen herausgegebene gemeinsame Wortlaut zur Beilegung des Zwistes Biafra—Nigeria. Sektion 5 sucht nach der Form des Gottesdienstes im säkularen Zeitalter, während die letzte Sektion den neuen Lebensstil ins Auge faßt.

Uppsala — Vaticanum II

Unwillkürlich wird man Uppsala mit dem Zweiten Vatikanischen Konzil vergleichen wollen. Aber die Unterschiede sind zu mannigfach. Ein Konzil besitzt gesetzgebende Kraft für eine Kirche; die Vollversammlung hat gegenüber den Mitgliedkirchen nur beratende Vollmacht. Das Vatikanische Konzil dauerte vier Jahre und führte 3000 Bischöfe aus einer Kirche zusammen; die Vollversammlung führt 800 Vertreter aus 232 Kirchen zusammen und dauert zwei gute Wochen.

Zum Teil wird man sich in der Thematik berühren. Man wird hören, die Vollversammlung in Uppsala sei eine Replik auf das Vatikanische Konzil. Das Gegenteil ist der Fall. Das Zweite Vatikanische Konzil ist eine Antwort auf die ökumenische Bewegung des ökumenischen Rates der Kirchen. Das Vatikanische Konzil ist maßgebend beeinflußt von der Arbeit des ökumenischen Rates. Daraufhin wurden die Genfer Archive von Katholiken genauestens studiert. Deshalb ist es auch erklärlich, warum sich in vatikanischen Dokumenten Formulierungen finden, die bis in den Wortlaut hinein den Genfer Ursprung verraten. In einer Zeit ökumenischer Annäherung der Kirchen darf dies ganz positiv, gewertet werden. Die Besucherstatistik in Genf zeigt, welch ein Interesse die Arbeit des ökumenischen Rates der Kirchen auf römisch-katholischer Seite findet.

Siehe, ich mache alles neu!

Die Vierte Vollversammlung von Uppsala steht unter dem biblischen Gesamtthema „Siehe, ich mache alles neu!” Bei dem kaum ausmeßbaren Druck durch Zeit und Stofffülle könnte einem bange werden. Es wird sich weisen, daß das Generalthema nicht tote Formel bleibt. Die ökumenische Bewegung jedenfalls möchte sich mit diesem Motto als eine Erneuerungsbewegung verstehen, die Gott selbst in Gang gebracht hat. Er ist damit nicht zu Ende. Erneuernd möchte Er auch heute eingreifen und die Kirchen zu jener Einheit führen, die Er will Auf dem Weg zu diesem letzten Ziel wird Uppsala 1968 eine Etappe bedeuten.

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