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Chancen der Zukunft

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dem Krieg und unter dem Eindruck des sich rasch akzelerierenden kalten Krieges haben sich alle demokratischen Parteien unter das schützende Dach einer Uberideologie der Demokratie an sich geflüchtet, und man hat keinen besonderen Wert darauf gelegt, Unterscheidungsmerkmale zu markieren. Erst in der Zeit nach dem Abschluß des Staatsvertrages

— der Staatsvertrag hat ja internationale, weit über Österreich hinausreichende Bedeutung dadurch erlangt, daß er das Ende einer Etappe im kalten Krieg angedeutet hat, das heißt eine Abschwächung des kalten Krieges auf eine Temperatur, die das politische Leben und nicht das politische Sterben Ist — haben sich überall in den sozialdemokratischen Parteien diese Reideologiesierungsbestrebun-gen bemerkbar gemacht. Es gab nicht nur bei uns, dann auch später in Deutschland, aber auch in Skandinavien überall Bestrebungen, zu einem neuen Programm zu kommen. In unseren Vorberatungen zum Wiener Programm, an denen ich teilnahm, mußten wir uns natürlich auch mit der Frage der Religion auseinandersetzen, weil wir der Meinung waren, der Satz, wonach die Religion Privatsache sei, genüge nicht mehr. Dabei hatten wir gewisse Schwierigkeiten zu überwinden

— gerade bei den Besten der an unsere Bewegung stark gebundenen Menschen, die sich einfach mit der Behauptung nicht abfinden konnten, daß der Sozialismus keine Weltanschauung oder kein Weltanschauungsersatz wäre. Damals haben wir zu Otto Bauer Zuflucht genommen, der. nämlich in einem Artikel im Jahre 1908 im „Kampf“ unter dem Pseudonym Karl Mann folgendes sagt:

„Wir brauchen als Partei die antireligiöse Propaganda nicht, denn wir kämpfen nicht um Lehrmeinungen über Gott und die Welt, sondern um politische Institutionen. Als Partei dürfen wir keinen Glauben, auch nicht die Ungläubigkeit vertreten, jedes Bekenntnis muß uns heilig sein.“ Im übrigen hat er auch später ähnliche Standpunkte immer wieder vertreten. Daher sind die neuen Grundsätze im Parteiprogramm 1958 durchaus nicht so revolutionär wie sie manchen unserer eigenen Freunde erschienen. Diese Grundsätze lauten folgendermaßen:

„Der Sozialismus ist eine internationale Bewegung, die keineswegs eine starre Gleichförmigkeit der Auffassung verlangt. Gleichviel ob Sozialisten ihre Überzeugung aus den Ergebnissen marxistischer oder anders begründeter sozialer Analysen oder aus religiösen oder humanitären Grundsätzen ableiten, alle erstreben ein gemeinsames Ziel, eine Gesellschaftsordnung der sozialen Gerechtigkeit, der höheren Wohlfahrt, der Freiheit und des Weltfriedens.“ Und das Kapitel schließt, nachdem es das alles begründet: „Sozialismus und Religion sind keine Gegensätze, jeder religiöse Mensch kann gleichzeitig Sozialist sein.“

Das Gespräch als logische Folge

Sie werden mir zugeben, meine Damen und Herren, da steckt schon ein großes Stück Entwicklung vom Schlagwort „Pfaff, Adel, Kapital“ über den Satz von der Religion als Privatsache jedes einzelnen drin — eine Entwicklung, die zur statuierten Gleichberechtigung aller Sozialisten hinführt, gleichgültig woher sie kommen, gleichgültig wie sie ihre sozialistische Überzeugung motivieren. Und so ist das Gespräch, das wir heute hier führen und das wir hoffen, weiterzuführen, weil so ein Gespräch ja nie zu Ende sein kann, eigentlich eine logische Folge der neuen programmatischen Position der Sozialistischen Partei. Aber wir sind auch deshalb keine Partei, kein Partner des sogenannten Dialoges, denn ich glaube, daß dieser Dialog stattfindet wischen Partnern, die weltanschaulich sehr, ehr fest verankert sind und wo. jeder Anspruch auf den ganzen Menschen erhebt. Wer der anderen Seite in diesem Dialog in weltanschaulichem Bereich recht gibt, verläßt in gleichem Maße die eigene Seite und frört damit auf, ein lOOprozentiger Partner des Dialogs zu sein. Das alles gilt für uns demokratische Sozialisten nicht. Wir drängen uns nicht dort hinein, wo bei Menschen die Religion ihren Platz hat, wir Sind eine Gesinnungsgemeinschaft, die gerichtet ist auf die Herbeiführung bestimmter gesellschaftlicher Ziele. Inwieweit unsere Zielvorstellungen mit denen der christlichen Soziallehre übereinstimmen oder sich von ihr unterscheiden, das wird heute noch näher erläutert werden. Ich persönlich bin der Meinung, daß der demokratische Sozialismus eine große Zielvorstellung hat: Die Verwirklichung der sozialen Demokratie, der gesellschaftlichen Demokratie, das heißt einer gesellschaftlichen Ordnung, In der immer neue Bereiche des menschlichen Zusammenlebens von den Ideen der Demokratie durchflutet werden. Das aber wieder bedeutet, daß die Demokratie ihrerseits einer Wechselwirkung, die vom Gesellschaftlichen her kommt, unterworfen ist. Das, so glaube ich, ergibt erst jenen faszinierenden dialektischen Prozeß, der uns aus dem kleinen Streit des Tages herauszuheben in der Lage ist. Dieser faszinierende dialektische Prozeß, so scheint mir, ist einer der wichtigsten Gründe dafür, daß sich bald wieder die Zahl derer, die heute im politischen Bereich wirken, vermehren wird, neue Begabungen und neue Talente, wenn sie nur sich des Inbegriffs der Politik bewußt werden. Diese heutige Konfrontation scheint mir einen der Aspekte für diese dialektische Entwicklung zu bieten.

Wenn von „Chancen der Zukunft“ im Verhältnis Sozialismus und katholischer Kirche gesprochen werden soill, könnte darauf hingewiesen werden, daß die Kirche seit Ende des zweiten Weltkrieges insofern auf Grün geschaltat hat, als sie — anders als in der Zwischenkriegszeit — die politische Wahl der Selbstverantwortung des einzelnen überlassen hat. Darin scheint nun wirklich Chance genug für die Zukunft gelegen zu sein.

Aber offensichtlich möchte die gestellte Frage genauere Antworten erhallten. Darum will ich von drei Problemen sprechen, die in diesem Zusammenhang vielleicht von Bedeutung sind, und zwar a) vom agnostischen Voluntarismus im Sozialismus, b) vom geschlossenen Humanismus im Sozialismus und c) vom Sozialismus und von der katholischen Soziallehre. Ausschließen möchte ich zunächst die Fragen nach dem Ziel dieser Gespräche und die Frage darnach, wer mit Sozialismus und katholischer Kirche bei einem solchen Gespräch eigentlich gemeint sein kann.

I. Agnostischer Voluntarismus im Sozialismus

Carlo Schmid und andere, auch österreichische Sozialisten, erklären — entgegen den Vertretern einer christlichen Naturrechtslehre —, daß die Verbindlichkeit menschlicher und gesellschaftlicher Werte letztlich nicht bewiesen werden kann (Agnostizismus). Man wolle einfach Werte, wie Freiheit, Demokratie usw. (Voluntarismus.) Wenn nun der Wille nicht an objektiv gegebene und erkennbare Tatbestände gebunden bleibt und durch sie verpflichtet wird, wenn der immer und überall mögliche Abfall des Willens von den erkannten und ihm aufgegebenen Normen nicht als Unrecht oder Unwahrheit in sich disqualifizierbar ist, dann könnte niemandem ein Vorwurf gemacht werden, wenn er morgen etwas anderes gelten läßt und daher etwas anderes will.

Auf nicht wenige Katholiken wirkt sich nun dieser Tatbestand in der Praxis so aus, daß sie die große Sorge haben, ein gemäßigter Sozialismus werbe bei der Wahl und ein linker Flügel werde die Macht ausnützen, die ihm seine gemäßigten Freunde ermöglicht haben. Sicher gibt es auch Katholiken, die in dieser Frage von einem Vertrauen in die Zukunft bestimmt sind. Es möchte aber scheinen, daß bei der größeren Anzahl der aktiven Katholiken noch das Mißtrauen herrscht. Das geschieht aber nicht deshalb, weil man meint, einer der Sozialisten könne ein Verräter an gemeinsamen festgestellten Werten oder gegebenen Versprechungen werden (das ist leider analog in jeder Partei, ja auch in der Kirche möglich), sondern weil — theoretisch formuliert — der agnostische Voluntarismus sich selbst eigentlich von bindenden Normen der Wahrheit, Gerechtigkeit und Freiheit dispensiert.

Dieses voluntaristische Prinzip scheint es auch leichter möglich zu machen, daß im politischen Kampf das Nützliche dem Wahren vorgezogen wird. Sollte dieser Vorwurf zu Recht bestehen, dann trifft er natürlich nicht den einzelnen Sozialisten oder den einzelnen Agnostiker. Man darf aber nicht übersehen, daß dadurch ein Image der Partei entstanden sein könnte, das nicht nur dem Katholiken sehr mißfällt und ihn und andere veranlaßt — vielleicht trotz mancher Bedenken —, zum Beispiel doch eine andere Partei zu wählen.

Aus ähnlichen Gründen wird darum manchmal den Katholiken, die um ein ehrliches Ge-

spräch mit den Sozialisten bemüht sind, der Vorwurf etwa in der Form gemacht: „ ... wenn sie siegen, dann werden sie die Kirche wiedc;- an die Wand drücken...“' Diese Befürchtungen einfach als Tatbestand zur Kenntnis zu nehmen und zu versuchen, sie zu zerstreuen, heißt, ein Hindernis allmählich aus dem Weg räumen urid eine Chance für die Zukunft schaffen. Ehrliche Katholiken werden immer bereit sein, sich an die Normen von Wahrheit und Freiheit zu binden und binden zu lassen. (Allerdings muß um der Verständigung willen sehr ernst zwischen Irrtum und Lüge unterschieden werden!)

II. Der geschlossene Humanismus im Sozialismus

Die Frage, um die es hier geht, betrifft das Menschenbild. Die Enzyklika „Populorum Progressio“ fordert den „vollen Humanismus“, der sowohl die umfassende Entwicklung des ganzen Menschen, also auch seines Geistes und seines Charakters, meint, wie die Entfaltung der ganzen Menschheit, also auch der Menschen der anderen Parteien, Klassen und Rassen. Ein in sich „geschlossener“ Humanismus, der die Augen vor den Werten des Geistes und vor Gott, der ihre Quelle ist, verschließt, könne nur scheinbare Erfolge haben. Der Mensch sei imstande, die Erde ohne Gott zu gestalten, aber „ohne Gott kann er sie letzten Endes nur gegen den Menschen formen. Der in sich verschlossene Humanismus ist ein unmenschlicher Humaniismus.“ Gegen Ende dieses Absatzes (PP 42) heißt es dann: „Weit davon entfernt, letzte Norm der Werte zu sein, verwirklicht sich der Mensch nicht anders als dadurch, daß er sich selbst übersteigt.“

Tatsächlich nimmt sich der Sozialismus der Not der Menschen an, sucht' ihre materielle Hilflosigkeit zu beseitigen und betreibt es, daß für den einfachen Menschen die Risiken des Lebens möglichst abgesichert sind.

Wer aber den Menschen nur als Konsumenten sieht und anspricht, würde nur den Torso eines vollen Menschenbildes vor Augen haben. Der Mensch muß doch in die Vollendung seiner Persönlichkeit hineinwachsen und jene Werte verwirklichen, die nur dem Menschen möglich sind und ihn erst zum vollwertigen Menschen machen. Dabei geht es nicht nur um eine ehrliche Verwirklichung von Wahrheit, Gerechtigkeit, Liebe, Freiheit und Solidarität, sondern auch um die Auseinandersetzung mit den Fragen nach dem eigentlichen Sinn des Lebens, der doch nicht nur in Konsum und Sicherung gelegen sein kann, oder mit den Fragen von Schuld, Leid und Tod. In unseren innerkatholischen Diskussionen ist immer wieder der Vorwurf zu hören, daß sich der Sozialismus praktisch hinter den materiellen und vordergründigen Werten des Lebens verschanzt. Natürlich ist es nicht Aufgabe einer politischen Partei, schon gar nicht in einer pluralistischen Gesellschaft, irgendwelche seelsorgliche Maßnahmen zu betreiben oder ein religiöses Menschenbild predigen zu wollen. Auch muß anerkannt, werden, daß es sehr angesehene Sozialisten gibt, die hinter allem Konsum und seiner Sicherung nach mehr suchen und darum nach dem Eigentlichen im Menschenleben fragen. Sozialistische Persönlichkeiten stehen deshalb auch schon längst mit Christen im Gespräch, obwohl sie selbst oft durchaus nicht der Ansicht sind, daß nur durch eine religiöse Deutung dem Leben ein menschenwürdiger Hintergrund gegeben werden kann.

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