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Chancen der Zukunft

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überzeugt ist, daß sie auch nur dann eine richtige Seelsorge betreibt, wenn sie das anstrebt, was ihrer Uberzeugung nach Wahrheit ist. Daß die Thesen unvollkommen seien, weil sie dem Interesse des Klerus dienen, ist eine These, die einer Bitternis im Gemüt des Verfassers ihren Ursprung verdankt, aber einfach nicht den Sachverhalt trifft. Es möge doch jemand aufzeigen, was etwa in den Sozialenzykliken dem Besitzinteresse des Klerus entspricht! Sollten damit frühere Jahrhunderte gemeint sein, dann weiß jeder, daß die Vorstellungen von einer immer richtigen und gültigen Sozialordnung so vorherrschend waren, daß jede Sozialreform für die meisten nur ein Sich-Einfügen und wieder Zurückfinden in diese als dauernd gültig angesehene Ordnung bedeutet hat. Viele Menschen im Westen Europas haben erst im 18. und 19. Jahrhundert im entscheidenden Ausmaß anders zu denken begonnen.

„Unvollkommen“ können freilich Thesen der katholischen Soziallehre genannt werden, soweit sie Stellung nehmen zu gesellschaftlichen Entwicklungen, die sich mit Recht aus ihrem eigenen Leben bewegen. Nach den sich selbst modifizierenden und korrigierenden gesellschaftlichen Bewegungen ergeben sich notwendig andere Tatbestände, .zu denen die Kirche ebenso modifizierende und korrigierende Antworten zu geben hat. Natürlich haben sich dabei einige in der Soziallehre der Kirche als allgemein gültig anerkannte Grundauffassungen ergeben, die wir aber in der Gegenwart lieber „offene“ Thesen nennen. Diese Thesen sind nicht wie dünne Fäden — und seien sie auch aus Platin gesponnen —, sondern sie sind eher mit einem Band zu vergleichen. Diese Bandbreite ermöglicht verschiedene Anwendungsmöglichkeiten, zeigt aber auch eindeutig an, daß es links und rechts einen Rand, eine Grenze gibt, außerhalb derer das Band nun keinen Halt mehr .bietet.

Darüber zu sprechen, könnte ebenfalls für später sinnvoll geplant werden.

Wenn „Quadragesimo Anno“ den Sozialismus ablehnt, weil er die Gesellschaft als eine bloße Nutzveranstaltung ansieht, „wenn er wahrhaft ein Sozialismus ist“, so trifft dieser Tadel den alten Liberalismus ebenso wie den kommunistischen Zentralismus. Wie weit damit die Sozialdemokratie der Zwischenkriegszeit in unserem Land getroffen war, bleibe zunächst dahingestellt. Die englische Labour Party wurde ausdrücklich ausgenommen. Daß namhafte Persönlichkeiten des demokratischen Sozialismus der Gegenwart, konkret nachweisbar, von sich aus nicht mehr solche Thesen vertreten, die unter diese Verurteilung fallen, glaube nicht nur ich. Daß der demokratische Sozialismus in Gefahr geraten könnte, in diese Richtung abzusacken, wurde schon vorher angedeutet. Aber es darf nur der mit Steinen werfen, der ohne derartige analoge Gefahr zu leben versteht. Wenn der Sozialismus die Pluralität der Rechtsträger anerkennt, also den selbstverantwortlichen Menschen ebenso wie die Gemeinschaft, den Staat ebenso wie die Kirche, den Privateigentümer ebenso wie den öffentlichen, dann wird er einen menschenwürdigen Ausgleich zwischen Freiheit und Ordnung, privater Initiative und Planung, Leistung und Sicherung finden.

Was nun im einzelnen Innerhalb der oben genannten Bandbreite betrieben werden soll, das entscheiden in einer Demokratie einerseits die politischen Parteien und anderseits die Wähler, die sich ihr Urteil nach ihrem eigenen ehrlichen Wissen und nach einem objektiv geformten Gewissen zu bilden haben. Dabei haben die politischen Parteien auch echte eigenständige Funktionen, die ihnen von keiner Kirche oder Weltanschauung abgenommen werden wollen. Aber das sind alles Fragen, die einer eigenen Diskussion bedürfen. Daß sie möglich wird, ist mein eigener aufrichtiger Wunsch.

Nun haben wir in einer fugenhaften Dreiteilung das Thema präsentiert bekommen: Vergangenheit, Gegenwart, Zukunft steckt allerdings schon mitten in alledem, was bereits gesagt wurde. Allein, daß es gesagt wurde, daß es hier gesagt wurde, in einer so „gemischten“ Gesellschaft — das ist ja schon Zukunft. Zukunft ist kein Kalenderbegriff, sondern etwas, das man hat oder nicht, ich möchte sagen: ein Geisteszustand; manche Leute sitzen mitten im Zeitalter der Weltraumfahrt und Atombombe noch auf Plüschmöbeln mit Quasterln, manchmal mit roten Quasterln.

Ich will versuchen, zu präzisieren, was ich hier unter Zukunft verstehe, indem ich zwei Modelle präsentiere: Wie wird der Christ der

Zukunft aussehen, und wie wird der Sozialist der Zukunft aussehen und, drittens, wie werden die beiden zueinander stehen. Unter Zukunft meine ich hier nicht etwas extrem Fernes, das Jahr 2000 oder so — ich habe das einmal probiert1, will es also hier nicht wiederholen. Anderseits bitte ich meine Parteifreunde, mir zu gestatten, über das ominöse Wahljahr 1970 hinauszublicken, sagen wir bis 1971, das könnte dann das Jahr von „Octogesimo anno“ sein, oder bis „Nonagesimo anno“, also etwa 5 bis 15 Jahre, das heißt, bis unsere halb erwachsenen Kinder ganz erwachsen sein und mitten im Berufsleben, auch mitten im politischen Leben stehen werden.

Gemeinsame Züge

Ich will nun meine beiden Modelle zunächst so präsentieren, daß ich davon spreche, welche gemeinsamen Züge die Christen der Zukunft und die Sozialisten der Zukunft haben werden, ich gebe zu, mit einer gewissen Übervereinfachung:

1. Die Vergangenheit wird für diese Menschen tot sein. Man wird sagen: Ja, was war denn eigentlich im Jahr 1934? Was war damals in Spanien? Die Vergangenheit wird tot sein, und daher auch jenes Mißtrauen, mit dem wir ja auch hier, als „Mädchen unter uns“, wenn ich so sagen darf, zu kämpfen

haben. Denn seien wir doch ehrlich, liebe Freunde, was würden wir uns hier alles sagen, wenn wir nicht immer noch — obwohl quasi „Avantgarde“ — einen kräftigen Rest von Mißtrauen hätten, wenn wir uns nicht, jeder in seinem Bereich, fragen müßten: Was wird sein, wenn wir jetzt von hier wieder nach Hause gehen? Das wird in der nächsten Generation anders sein', damit wird sich die nächste Generation der Christen und der Sozialisten, so Gott will, nicht mehr herumschlagen müssen.

2. Die Koexistenz von Christentum und Sozialismus als lebenskräftige geistige und gesellschaftliche Richtungen wird etabliert sein. Es wird gänzlich klar geworden sein, daß man einander nicht aus der Welt schießen, daß man einander auch nicht aus der Welt reden kann, daß man daher unterein-ander reden muß.

3. Daraus wird sich eine Schlußfolgerung ergeben, welche hinawsgeht über bloße fade Toleranz. Toleranz kann etwas sehr Schönes sein, sie hat aber auch, wie fast alles sehr Schöne, eine Kehrseite. Die Kehrseite ist Überheblichkeit. Toleranz kann heißen: „Ich weiß, der andere ist ein Trottel, warum soll ich ihn nicht bei seiner Trottelei lassen.“ Wenn die felsenfeste Tatsache des Uberdauerns der beiden großen Bewegungen des Christentums und des Sozialismus etabliert sein wird, dann wird sich dieses tolerante Für-Dumm-halten des anderen verwandeln in eine tiefe, tiefe Neugier aneinander. Man wird sich fragen: Wieso gibt's den anderen überhaupt noch, nach alledem, was wir einander angetan haben? Was ist der Grund für dieses kernhafte Überdauern des anderen? Damit fallen dann manche Vorstellungen weg, etwa aus der Frühzeit der christlichen Soziallehre, wo man meinte, der Sozialismus sei eine kurzfristige Verirrung des menschlichen Geistes, aber auch gewisse Auffassungen auf sozialistischer Seite, wo man meinte, mit dem Fortschritt der Wissenschaft — darauf hat mein Freund Kreisky schon hingewiesen — wird doch die Religion, dieser Blödsinn absterben; vorläufig gibt's halt noch Leute, die Briefmarken sammeln, kegelscheiben oder in die Kirche gehen. Es wird dann etabliert sein, daß beiderseits mehr als Verirrung und Blödsinn vorliegen.

4. Das wird zugleich der Tod fast jeder Form von Doktrinarismus sein, ob das nun heißt: Ich bin ein Christ und hab' daher die Gescheitheit mit Löffeln gefressen, oder: Ich bin Sozialist und hab daher die Gescheitheit mit Löffeln gefressen — außer dem, was in meinen Büchein steht, brauche ich nichts. Ich glaube, diese Haltung wird in der kommenden Generation ersetzt sein durch die Bereitschaft zu nüchterner Selbstkritik; Christen und Sozialisten werden sich selbst in Frage stellen, indem sie sich mit anderen, auch sehr anderen Auflassungen konfrontieren, sich korrigieren, sich mit anderen zusammensetzen und etwa gar gemeinsam handeln.

5. Dies bedeutet die Gesinnung des Dialogs, wobei ich dieses Wort so auffasse wie in den Dokumenten des II. Vatikanums. Es ist mir klar, daß dieses Wort in einer gewissen Gefahr ist, von poststalinistischer Seite okkupiert zu werden als Fachausdruck der Agitprop-Abteilung. Ich glaube aber nicht, daß

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