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China und die Vereinten Nationen

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Die folgende volkerrechtliche Studie verdient im gegenwärtigen Moment der Auseinandersetzungen um Formosa Beachtung, sie will aber richtig verstanden werden: hier geht es nicht um Rechtfertigung des Verhaltens Rotchinas, sondern darum, eine Plattform fur die notwendigen Auseinandersetzungen des Westens und der freien Welt mit den Herrschern Uber 600 Millionen Menschen zu schaffen. Der Westen lief) sich in den letzten Jahren in eine Sackgasse manövrieren: er verweigerte Rotchina einen Sitz bei der UNO, worauf Rotchina zu Verhandlungen außerhalb der UNO zu drängen begann — nach dem Muster der Genfer Indochina-Konferenz: dieses Muster wird aber heute mit guten Gründen von den USA abgelehnt, da sich Amerika in Fünferkonferenzen leicht einer Mehrheit von antiamerikanischen Asiaten gegenübersieht. Vor dem Forum der UNO wäre es leichter gewesen, Rotchina zu Rede und Antwort zu stellen... Es handelt sich also heute, wie die folgende Studie zeigt, darum, eine legitime Plattform fur die notwendigen Auseinandersetzungen zu finden — diese ist allein die UNO.

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Die folgende volkerrechtliche Studie verdient im gegenwärtigen Moment der Auseinandersetzungen um Formosa Beachtung, sie will aber richtig verstanden werden: hier geht es nicht um Rechtfertigung des Verhaltens Rotchinas, sondern darum, eine Plattform fur die notwendigen Auseinandersetzungen des Westens und der freien Welt mit den Herrschern Uber 600 Millionen Menschen zu schaffen. Der Westen lief) sich in den letzten Jahren in eine Sackgasse manövrieren: er verweigerte Rotchina einen Sitz bei der UNO, worauf Rotchina zu Verhandlungen außerhalb der UNO zu drängen begann — nach dem Muster der Genfer Indochina-Konferenz: dieses Muster wird aber heute mit guten Gründen von den USA abgelehnt, da sich Amerika in Fünferkonferenzen leicht einer Mehrheit von antiamerikanischen Asiaten gegenübersieht. Vor dem Forum der UNO wäre es leichter gewesen, Rotchina zu Rede und Antwort zu stellen... Es handelt sich also heute, wie die folgende Studie zeigt, darum, eine legitime Plattform fur die notwendigen Auseinandersetzungen zu finden — diese ist allein die UNO.

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Im Zusammenhang mit dem Formosakonflikt ist China wieder in den Mittelpunkt des Weltinteresses getreten. Immer mehr tritt dabei die Frage in den Vordergrund, ob die „Volksrepublik China“ als Mitglied der Vereinten Nationen aufgenommen werden solle oder nicht. Diese Frage hat eine völkerrechtliche und eine politische Seite.

China hat im Laufe seiner Jahrtausende alten und kulturell bedeutenden Vergangenheit viel Unruhe erleben müssen. Sowohl seine Grenzen als auch seine Regierungsformen waren oftmaligem Wechsel unterworfen. Ausländische Mächte haben, besonders im vergangenen Jahrhundert, immer wieder Nutzen aus dieser Un-stetigkeit des Reiches gezogen. Seit 1923 lebten Nord und Süd, verkörpert durch ihre Hauptstädte Peking und Kanton, in heftiger Rivalität. Von Kanton ging die von Sun Yatsen gegründete nationale Bewegung der Kuomintang aus, die sich große Verdienste um Regierung und Verwaltung schuf. 1931 begann der Krieg mit Japan, dessen erste Etappe 1934 mit der Gründung Mandschukuos als japanfreundliches Kaiserreich endete. Mandschukuo wurde vielfach anerkannt, auch die UdSSR trat 1935 mit ihm wegen der ostchinesischen Bahn in Verbindung. Bis zur Niederwerfung Japans 1945 hatten alle Gruppen innerhalb Chinas zusammengearbeitet. Von da an löste sich die 1921 gegründete Kommunistische Partei Chinas immer mehr aus der Einheitsfront heraus. Die Kommunistische Partei hatte ursprünglich in der bäuerlichen Bevölkerung ihren stärksten Rückhalt. Während der Führer der Kuomintang, Tschiangkaischek, ursprünglich wenigstens im Abwehrkampf gegen die Japaner mit der Linterstützung der Kommunisten rechnen konnte, hatte er nun deren Feindschaft gegen sich. Wenn Tschiangkaischek auch nicht alle Erwartungen, die während des Krieges in ihn gesetzt wurden, im Frieden erfüllen konnte, so erscheint doch die Berechtigung des nun folgenden kommunistischen Aufstandes gegen sein Regime äußerst problematisch. Tatsache aber ist und bleibt, daß es zu diesem Aufstand kam und seine Führer Maotsetung und Tschuenlai dann an die Spitze des von ihnen geschaffenen neuen Staatsgebildes, der Volksrepublik China, als deren Präsident bzw. Ministerpräsident und Außenminister traten. Ende 1949 mußte sich Tschiangkaischek auf die Insel Formosa zurückziehen; am 8. Dezember schlug er in Taipeh sein Hauptquartier auf. Seit dieser Zeit versucht nun die Chinesische Volksrepublik in die Familie der Vereinten Nationen aufgenommen zu werden. Und seit dieser Zeit ist diese Bestrebung ein weltpolitischer Zankapfel. Zu Recht?

Ueber die Mitgliedschaft bei den Vereinten Nationen bestehen eindeutige Normen. Es darf als bekannt vorausgesetzt werden, wann und unter welchen Umständen die Vereinten Nationen gegründet wurden und welcher Geist die Gründer beseelte, als sie an dieses große Werk herangingen. Den Niederschlag hat dieser Geist in Artikel 4 der Charta der Vereinten Nationen gefunden, der wie folgt lautet:

„1. Die Mitgliedschaft in den Vereinten Nationen steht allen friedliebenden Staaten offen, welche sich bereit erklären, die Verpflichtungen vorliegender Charta und ihrer Organisation auf sich zu nehmen, und die bereit und geeignet sind, diese Verpflichtungen auch auszuführen.

2. Die Zulassung eines solchen Staates zur Mitgliedschaft der Vereinten Nationen wird wirksam mit der Entscheidung der Generalversammlung auf Vorschlag des Sicherheitsrates.“

Leider konnte man im Laufe der Jahre mit der Art, wie die Neuaufnahme von Mitgliedjrn in die Vereinten Nationen durch den Sicherheitsrat behandelt wurde, nicht immer zufrieden sein. Nur eine ganz geringe Zahl von Ansuchen wurde seit dem Jahre 1945 positiv erledigt: 1947 Pakistan und Yemen, 1948 Burma, 1949 Israel, 1950 Indonesien. Offen sind die Ansuchen von Albanien, der mongolischen Volksrepublik, Transjordanien, Irland, Portugal, Ungarn, Italien, Oesterreich, Rumänien und Bulgarien. Ein Teil von ihnen wurde 1946 erstmalig eingereicht und abgelehnt, ein Teil 1950 und auch später wieder vorgebracht. Im Jänner 1952 machte die UdSSR den Vorschlag, sämtliche ansuchende Staaten en bloc in die Vereinten Nationen aufzunehmen. Gegen diesen Vorschlag wurde eingewendet, daß es auf diese Art der UdSSR möglich wäre, bei Vorliegen von Ansuchen nun auch ihrerseits einen „neuen synthetischen Staat“ zur gleichzeitigen Aufnahme zu protegieren.

Welche Aussicht hat nun die Chinesische Volksrepublik, in die Vereinten Nationen aufgenommen zu werden? Formell ist die Aufnahme gesichert, wenn die entsprechende Mehrheit in Sicherheitsrat und Vollversammlung zustandekommt. Dem Zustandekommen dieser Mehrheit aber stellen sich eine Reihe von Bedenken entgegen. Allen voran führen die Amerikaner ins Treffen, daß die Volksrepublik China noch niemals ihre Friedensliebe bewiesen habe. Ja mehr noch, daß sie in einem äußerst gespannten Verhältnis zu den Vereinten Nationen selbst stehe. Man erinnert daran, daß chinesische Truppen seit Oktober und November 1950 auf Seite der Nordkoreaner gegen die Truppen der Vereinten Nationen im Felde standen; wenngleich es sich dabei um sogenannte Freiwillige handelte, sei doch die Volksrepublik China dafür verantwortlich zu machen — sie sei daher auch von den Vereinten Nationen als Aggressor verurteilt worden. Man weist ferner auf die Religionsverfolgungen, die Verfolgungen ihrer eigenen Intelligenz, aller Nichtkommunisten, auf die Vernichtung der Existenzen weitester Kreise der Bevölkerung hin, die auf diese Art für einen selbstlosen Einsatz bei den Streitkräften gewonnen werden sollen usw. Schließlich wurde auch die revolutionäre Entstehungsfrage der Volksrepublik geprüft. Wenn einer ihrer Verteidiger behauptet hat, daß doch auch die USA durch Revolution ins Dasein getreten sei, so wird dem entgegengehalten, daß es sich in den USA um die Befreiung eines geeinten Volkes von der Herrschaft einer Verwaltung handelte, die ihren Sitz in einem fernen Kontinent hatte, während bei Gründung der Volksrepublik China ein Volksteil gegen den anderen in den Kampf getrieben wurde, wodurch ein blutiger Bürgerkrieg entstand.

Die Stellungnahme der Großmächte zu dieser Frage ist nicht einheitlich. Wenn wir die drei großen Gruppen mit der Bezeichnung englische, russische und amerikanische Version benennen wollen, so nur zur Vereinfachung. Es ist klar, daß sich die anderen LINO-Mitglieder selbst eigene Ansichten zurecht gelegt haben, trotzdem folgen sie dabei irgendwie den drei „Großmächte-Linien“.

Die russische Ansicht ist, daß die Chinesische Volksrepublik nunmehr allein das chinesische Volk vertrete und daher Anspruch auf den chinesischen Sitz in der Generalversammlung der UNO sowie der einzelnen Organisationen habe. Da dieser Ansicht nicht schon im Jahre 1949 von der Mehrzahl der Mitglieder der UN beigepflichtet wurde, blieb ja der Vertreter der UdSSR vom Jänner bis August 1950 (also auch bei der ersten Korea-Debatte) aus Protest den Sitzungen des Sicherheitsrates fern.

Die englische Auffassung ist: Da das Regime Maos die Regierungsgewalt de facto in Händen habe, sei es zweckentsprechend, diplomatische Beziehungen mit ihr zu unterhalten. Man müsse Tatsachen zur Kenntnis nehmen, ob sie einem nun angenehm seien oder nicht. Auch sei ja die UdSSR selbst in der UNO und schließlich sei die letztere eine Völkerfamilie und keine antikommunistische Allianz.

Die Amerikaner sind bisher, wie schon oben kurz erwähnt, folgendem Gedankengang gefolgt: Die Voraussetzung für die Aufnahme eines Staates in die UNO ist, daß er seine Fliedensliebe und Bereitschaft zu friedlicher Zusammenarbeit mit den anderen Nationen unter Beweis gestellt hat. In der Chinesischen Volksrepublik sei aber nicht einmal der innere Friede eingekehrt, und das Volk habe bislang nicht die geringste Einflußnahme auf eine demokratische Entwicklung gehabt. In Korea hätten .sich sogar amerikanische Menschen von Chinesen im Dienste der UNO töten lassen müssen. In diesem Zusammenhang mag es geradezu als Treppenwitz der Geschichte aufgefaßt werden, daß sich Oesterreich nun schon jahrelang vergeblich um die Aufnahme bemüht, wo es doch zweifellos das abgerüstetste Land ist. So hat schließlich Amerika wissen lassen, daß es nötigenfalls durch sein Veto die Aufnahme der Volksrepublik China verhindern wolle.

Welches Bild ergibt sich nun beim Vergleich der verschiedenen Ansichten? Kann man- tatsächlich von einer tiefreichenden Kluft zwischen der englischen und amerikanischen Politik in dieser Frage sprechen — oder wäre es nicht denkbar, daß die amerikanische Ansicht und die englische einen Treffpunkt finden?

Zweifellos ist das letztere möglich. Sowohl England als auch die USA haben ja Schulter an Schulter in Korea gekämpft, beide lehnen den Kommunismus ab und beide sind bereit (England allerdings erst nach Scheitern der Genfei Konferenz), an einem Ostasienpakt mitzuwirken, in dieser oder jener Form; beide haben sich auch mit Vertretern der kommunistischer Chinesen an einen Tisch setzen müssen, um über den Waffenstillstand in Korea bzw. Indo-china zu verhandeln. Da nun die Charta dei Vereinten Nationen die Bildung von regionaler Bündnissen ohne weiteres zuläßt, könnte aucl die Anwesenheit der Volksrepublik China in den UN dem Zusammenwirken der defensiven Kräfte des Westens keinen Abbruch tun.

So muß man zu der Erkenntnis kommen, daß es letztlich praktisch irrelevant ist, ob di Volksrepublik China vor der Tür steht oder eingelassen wird. Ja selbst die Frage des Vetos (wobei es doch gar nicht ausgemacht sein müßte, daß die Volksrepublik China das Vetorecht erhält) ist nebensächlicher Natur, da die UdSSR in den vergangenen Jahren das Vetorecht alleir schon weidlich ausgenützt hat.

Die Interparlamentarische Union (August-September 1954 in Wien) hat die Ansicht dei generellen Aufnahme aller ansuchenden Staaten unterstützt. Daraus kann entnommen werden, daß die „Weltöffentlichkeit“ (wenngleid auch, laut Abstimmungsergebnis, mit knappe] Mehrheit) es vorzöge, auch mit dem weltanschaulichen Gegner ins Gespräch zu kommen und eher elastisch abzuwehren als a priori zt ienorieren.

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