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Christen: sehr wenig Interesse

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FRAGE: Wie ist bei den vorbereitenden Arbeiten der christliche und katholische Standpunkt vertreten worden?

ANTWORT: Leider haben die Christen — vor allem die Katholiken — für diesen Bereich der Tätigkeit der Vereinten Nationen, wie übrigens auch für andere Bereiche, sehr wenig Interesse gezeigt. Der Unterausschuß bestand aus Männern lauteren Charakters, die jedoch von jenen liberalen Ideen erfüllt waren, die die Welt einzig in Hinsicht auf ihr weltliches Geschick sehen, ohne sie mit einem irgend gearteten Transzendenten in Beziehung zu setzen. Im allgemeinen ist für die katholische Auffassung von den Mitgliedern des Unterausschusses kaum jemand eingetreten, nur einmal, als der . Libanese Charles Ammoun und ein Philippine zu seinen Mitgliedern zählten.

Vor dem Unterausschuß waren daher die internationalen katholischen Organisationen praktisch die einzigen, welche die Last der Verteidigung der besonderen Eigenart der Religion zu tragen hatten. Der Ökumenische Rat der Kirchen tat dies auch, aber das Problem der Religionsfreiheit stellt sich für die Mitglieder des ökumenischen Rates nicht ganz in der gleichen Weise wie für die Katholiken. Besonders die Protestanten nehmen leicht als Ideallösung eine sehr weitgehende Säkularisierung der weltlichen Gesellschaft hin, wobei die Religionsfreiheit nahe an das Recht der freien Meinungsäußerung heranrückt.

In der Kommission für die Menschenrechte stellte sich das Problem in anderer Weise: Hier sind es Staaten, die vertreten sind, und unter diesen Staaten gibt es natürlich eine gewisse Anzahl, die einerseits religiöse Traditionen besitzen (seien es islamische, buddhistische oder christliche), und anderseits gibt es Staaten, wie etwa Italien, die ein ganzes organisches System von Beziehungen mit der Religion haben und wünschen, daß dieses System nicht in Frage gestellt werde. Folglich erschien das Problem der Religionsfreiheit der Kommission für die Menschenrechte in einem anderen Zusammenhang.

FRAGE: Gibt es Länder, denen eine Erklärung über die Religionsfreiheit besonders lästig fällt, und lassen sie das merken?

ANTWORT: Ich habe schon auf die Einstellung der kommunistischen Länder angespielt. Die Polen intervenieren, um Schutz für die Atheisten zu fordern. Die Sowjetunion betont die Trennung von Kirche und Staat; sie fühlt sich besonders stark betroffen auf Grund ihrer antisemitischen Politik, gegen die die jüdischen Organisationen einen Feldzug führen. Im übrigen aber ist die Lage recht verwirrend. Wissen Sie, praktisch behaupten alle Staaten, daß ihre Gesetzgebung der universellen Erklärung der Menschenrechte entspreche, und die Staaten in ihrer Gesamtheit vermeinen daher, mit Recht und Ordnung in Einklang zu stehen. Anderseits ist es aus den eben genannten Gründen sehr schwierig, einen Staat zu verklagen, wenn dies nicht durch einen oder mehrere Staaten geschieht. Leider gibt es heute wohl- bekannte religiöse Diskriminationen in Ländern, die in letzter Zeit unabhängig geworden sind. Hier bestehen eine ganze Reihe Probleme, zum Beispiel die Haltung gegenüber den Missionaren, aber auch — was viel schwerer wiegt — gegenüber dem Christentum schlechthin, das als importiertes Element angesehen wird und folglich als ein Element, zu dessen Abschaffung der Staat heute berechtigt sei. Hierauf scheint mindestens teilweise die Rechtfertigung zu beruhen, die der Sudan für seine Politik im Süden dieses Landes vorbringt. Sicher ist dies nicht nur ein religiöses Problem.

Dennoch führt die Diskussion über diese Probleme zu beachtlichen Ergebnissen. Staaten, die in ihrem Bereich diskriminierende Maßnahmen durchführen, neigen mehr und mehr dazu, ihre diesbezügliche Politik zu revidieren und entsprechende Maßnahmen zu treffen.

Wie wird dagegen die Haltung der islamischen Staaten zum Christentum konkret, im faktischen Verhalten, hinsichtlich der Doktrin aussehen? Ich glaube, daß die islamischen Staaten den vom Christentum in der Welt vertretenen Standpunkten sympathisch gegenüberstehen, aber oft genügt das nicht, das Geschick der christlichen Minderheiten auf ihrem eigenen Boden zu sichern. Und wie wird die Entwicklung in anderen Ländern aussehen, etwa Ceylon? Schließlich scheint auch unbestreitbar, daß in Israel das Problem existiert. Für alle diese Punkte ist die Weiterentwicklung nicht vorherzusehen, aber es scheint nötig, bei der Abfassung der Erklärung diesen Fällen eingehend Rechnung zu tragen. Es heißt darüber wachen, daß nicht eine Lücke in einer Erklärung gewissen Staaten Argumente an die Hand gibt, um diesen oder jenen Angriff gegen die Religionsfreiheit zu rechtfertigen.

FRAGE: Kürzlich hat man anläßlich der Tagung des Exekutivkomitees des ökumenischen Rates der Kirchen in Odessa auf die Erklärungen des Dr. Nolde über eine gleiche Behandlung für Christen und Atheisten hingewiesen. Wie denken Šie darüber?

ANTWORT: Die Erklärung des Herrn Nolde hat mich beunruhigt. Erstens, weil er die Auffassung zu akzeptieren scheint, daß die ganze Frage der Reiligionsfreiheit letztlich auf die subjektive Entscheidungsfreiheit des Menschen reduzierbar ist oder — wenn man so will — einfach auf das Problem der Gewissens- und der Meinungsfreiheit.

Das ist nicht alles. Er hat in der Folge erklärt, daß die Gläubigen und die Atheisten ihre Meinungen in der gleichen Weise propagieren können müssen. Wenn man aber von atheistischer Propaganda im Rahmen.:der . gegenwärtigen- internationalen Gesellschaft und mit Bezug , auf Religionsfreiheit spricht,1- spielt man zwangsläufig auf die systematisch organisierte atheistische kommunistische Propoganda an; es handelt sich dabei um eine sehr starke, von der Regierung organisierte Propaganda. Ich frage mich wirklich, ob Herr Nolde an all die Folgen gedacht hat, die eine solche Erklärung nach sich ziehen könnte. Sie klang recht unangenehm in den Ohren derer, die wissen, was in manchen Gremien der Vereinten Nationen über die „Freiheit der antireligiösen Propaganda” gesagt worden ist, wie sie die Länder des Ostens verstehen und anwenden.

Das beweist, wie wichtig es wäre, daß wir uns in der Tiefe der Doktrin, wenn ich so sagen darf, über derartige Probleme einigten und daß wir nicht nur über einige Gemeinsamkeiten in pragmatischen Fragen verfügten. Wir hatten in Bossey ein Kolloquium mit den Mitgliedern des ökumenischen Rates über diese Frage der Religionsfreiheit gehalten, und wir hatten seinerzeit festgestellt, wie zahlreich die Meinungsverschiedenheiten waren, was übrigens völlig normal ist, wenn man die besondere Natur des Rates bedenkt. Aber ich gestehe, daß ich eine so ausdrückliche Erklärung wie die des Herrn Nolde nicht für möglich gehalten hätte.

FRAGE: Wann wird die Vollversammlung der UNO über die geplante Erklärung abstimmen?

ANTWORT: Das ist schwer zu sagen. Die Kommission für die Menschenrechte scheint entschlossen zu sein, den Entwurf der Erklärung noch in dieser Sitzungsperiode fertigzustellen. Er wird dann vom Wirtschafts- und Sozialrat (ECOSOC) geprüft werden; wenn dieser, der nur einmal im Jahr Zusammentritt, die Erklärung einer eingehenden Prüfung unterziehen will, so ist es zweifelhaft, ob er dieses Jahr damit fertig wird. Wenn er eine summarische Prüfung und eine globale Abstimmung vornimmt, wie er es im vergangenen Jahr bei der Erklärung in Sachen der Rassendiskrimination getan hat, so würde der Text der Erklärung Ende dieses Jahres der Vollversammlung zugehen.

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