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Christen zwischen türkischem Militär und kurdischer PKK

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Wo immer man in der Südosttürkei mit Christen oder Kurden zusammentrifft und die Frage stellt: „Wie geht es?", lautet die Antwort: „Jetzt geht es gut!" Ich bin gerade von einer Reise zu den Klöstern und Dörfern des Tur Abdin zurückgekehrt und habe diese Antwort oft genug gehört. Was aber bedeutet sie nach Jahren, in denen die Christen in den Dörfern des Tur Abdin oft genug in die kriegerischen Auseinandersetzungen hineingezogen waren?

Zunächst besagt sie: Man kann leben ohne Angst vor einem Überfall. Es ist ohne Gefahr möglich, die Straßen zu benützen und ins nächste Dorf zu fahren. Es ist im vergangenen Jahr und ebenso heuer niemand verhaftet oder gar ermordet worden. Das tägliche Leben hat sich normalisiert. Es finden wieder Hochzeiten statt. Manches Haus wird gerichtet oder erweitert. Man plant wieder für die Zukunft - und weiß doch nicht, wie sie aussieht.

Denn nach wie vor hat sich die allgemeine Situation nicht verändert: Es gilt der Ausnahmezustand, durch den das Militär jede Möglichkeit des Eingreifens hat. Der Krieg zwischen dem Militär zusammen mit den sogenannten kurdischen „DorfWächtern" und der PKK (Kurdische Arbeiterpartei) geht unvermindert weiter. Das Gebiet, aus dem zu uns die Schreckens-meidungen kommen, ist allerdings groß und umfaßt etwa ein Viertel der Türkei. Der Tur Abdin ist davon derzeit nicht betroffen. Die Straßen und Dörfer sind frei von Auseinandersetzungen, wenn man sie verläßt, kann man in Schwierigkeiten kommen. Die Kontrollen sind häufig, aber für Touristen problemlos.

Die Dörfer liegen im Tur Abdin weit auseinander, weil der Boden steinig ist, so daß man weite Flächen braucht, um existieren zu können. In diesen abgelegenen Dörfern ist die Stimmung recht verschieden. Da sind die zusammengeschrumpften, aber durch einen Pfarrer, Bürgermeister oder Lehrer zusammengehaltenen Dörfer, die gute Ansprechpartner für eine Hilfeleistung sind, weil die führenden Männer ihr Dorf erhalten und verbessern wollen. Dann gibt es

andere Dörfer, die keine Wünsche haben und denen man daher auch nur schwer helfen kann. Man spürt: Eigentlich will man auswandern und nichts mehr investieren. In manchen Dörfern leben nur wenige Christen unter Kurden. Sie leben miteinander als Nachbarn, wie dies auch früher möglich war. Durch die Verbesserung der aktuellen Lage ist die Auswanderung verringert, aber doch nicht beendet worden. Einzelne Familien ziehen es sogar vor, aus Istanbul wieder in ihre Heimat zurückzukehren.

In den vier noch besetzten Klöstern wird renoviert und gebaut: Im Kloster Mar Gabriel, dem Zentrum des christlichen Tur Abdin, das im kommenden Jahr das 1600jährige Jubiläum seines Bestehens begeht, scheint in dieser Hinsicht die Zukunft bereits begonnen zu haben. Aber auch in Deir Za-faran bei Mardin ist ein großzügiger Ausbau für Gäste im Gang. Mar Ja-kup bei Salah erhielt eine 500 Meter lange Umfassungsmauer. Im Kloster Mar Melki ist durch zwei junge Mönche neues Leben eingekehrt, das man äußerlich an den Gartenanlagen, innerlich an der meditativen Atmosphäre merkt. Ob sich nicht doch in den Klöstern ein neuer Weg in die Zukunft anbahnt? Die Klöster waren und sind die geistigen Zentren, die den Tur Abdin geprägt haben und die ihn auch in eine bessere Zukunft hinüberführen können. Ein Hoffnungsschimmer?

Überrascht hat mich die Aussage eines Pfarrers, der eine wichtige Position hat. Er sagte: Die Christen haben

heute bei Ämtern und Behörden ein viel höheres Ansehen, als dies etwa vor zehn Jahren gewesen sei. Man traut ihnen, weil sie bei ihrer eindeutigen Haltung geblieben seien und sich aus dem Konflikt herausgehalten hätten. Tatsächlich kann man dieses verbesserte Verhältnis besonders zu Ostern beobachten, wenn die Vertreter der verschiedenen Behörden kommen, um dem Bischof, dem Abt oder dem Pfarrer gute Ostern zu wünschen. Auch der General des Militärs kam in das Kloster Deir Zafaran ... Ist es nur orientalische Höflichkeit oder doch Zeichen einer veränderten Haltung?

Nicht Geld, sondern Solidarität ist wichtig

Was kann man tun? In dieser Situation ist die entscheidende Hilfe für die Christen im Tur Abdin nicht das Geld, sondern die Solidarität. Jeder Besuch von einzelnen oder kleinen Gruppen, die in dieser Absicht in den Tur Abdin reisen, ist ein Händereichen, das die Christen bestärkt. Es ist derzeit kein Problem, etwa in das Kloster Mar Gabriel zu gehen und dort als Gast einige Tage zu leben. Erst vor kurzem hielt sich eine Gruppe der Theologischen Fakultät Salzburg im Rahmen einer Lehrveranstaltung im Kloster auf. Metropolit Timotheos S. Aktas und seine Mitarbeiter haben mir mit Freude von den 700 Grußkarten erzählt, die das Kloster im Rahmen einer Aktion von CSI-Österreich erhielt. Aus diesem Anlaß sagte er bei

seiner Osterpredigt in Midyat: „Ihr seht, wir sind nicht allein; man betet für uns!" Durch diese Solidarität hat sich vieles im Tur Abdin verändert. Noch vor wenigen Jahren hörte ich öfters die bittere Anklage: „ Man hat uns vergessen!" Solche Worte sind inzwischen verstummt.

In vielen Bereichen muß man handeln. Dabei ist nicht der sich einstellende Erfolg entscheidend, sondern daß man im günstigen Augenblick da ist. Wer nichts tut, kommt immer zu spät. Wenn ein christliches Dorf im Tur Abdin in irgendeiner Weise etwas aufbauen oder verbessern will, kann es mit unserer Hilfe rechnen. Durch einen Sozialfonds, der mit anderen Gruppen zusammen errichtet wurde, kann in Notfällen rasch geholfen werden. Die jungen Menschen brauchen Hilfe, um sich eine Existenz aufzubauen. Studenten sollen unterstützt werden, um sich innerhalb des Landes ausbilden zu können.

Der Tur Abdin ist eines der ältesten christlichen Gebiete, dessen kulturelles Erbe alle Christen angeht. Dort spricht man im Alltag einen aramäischen Dialekt, also die Sprache Jesu, dort wird in der unverfälschten Tradition der syrischen Kirche die Liturgie gefeiert, dort stehen die Klöster und Kirchen aus der Mitte des ersten Jahrtausends mit ihrer eigenständigen Architektur. Der Tur Abdin ist eine christliche Verpflichtung!

Der Autor ist

emeritierter Professorfür Liturgiewissenschaft in Linz und Initiator der „Freunde des Tur Abdin".

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