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ChristlidieDemokratie-amEnde?

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Symbol der Tradition

Zunächst möchte ich bekennen, daß ich mich als Sozialist nur bedingt dafür kompetent erachte, ein objektives Urteil über ein „Konkurrenzunternehmen“ abzugeben, werde aber nach bestem Vermögen versuchen, das Problem unter wertfreien Kriterien zu betrachten.

Um die Dynamik der christlich-demokratischen Parteien zu erfassen, empfiehlt sich ein historischer Rückblick in die jüngere Vergangenheit. Die „Christliche Demokratie“ wurde gegen Ende des zweiten Weltkrieges geboren und unmittelbar darnach

politisch realisiert. Die damals geschaffenen christlich-demokratischen Parteien setzten keineswegs einfach die christlich-sozialen oder christlich-konservativen Traditionen der Vorkriegszeit fort, sondern repräsentierten ein neues Herangehen an die gesellschaftlichen Probleme. Sie inaugurierten eine betont demokratische Politik mit starken sozialreformatorischen Akzenten. Trotz der progressistischen Einstellung fielen diesen Parteien, häufig mangels konservativer Konkurrenten, automatisch die Stimmen aller Bevölkerungskreise dieser Provenienz sowie auch die Unterstützung deren politischer Exponenten zu. Mit der Regierungsverantwortung betraut, wandelten sich die christlichen Demokraten sehr rasch in große Samimelparteien, in denen das konservative Element festen Fuß faßte.

Der Autor ist zu wenig mit der Materie vertraut, um beurteilen zu können, ob dieser Prozeß von den Gründern gern gesehen oder lediglich hingenommen wurde. Sein Ablauf stabilisierte jedenfalls die christlich-demokratischen Parteien und schuf auf diese Weise die Basis für ihre respektablen politischen Leistungen im Nachkriegseuropa. Wo diese Integration unterblieb, verlor die Partei rasch an Bedeutung, wie das französische MRP.

Freilich wurde nun auch kein neues konservatives Programm entwickelt — ein derartiges Beginnen wäre einfach schon daran gescheitert, daß sich ein solches, wie eine, vor wenigen Jahren abgeführte Diskussion im „Monat“ erwies, heute gar nicht konkret fassen läßt. Die christlich-demokratischen Parteien entwickelten sich zunehmend zu „Kanzler-Parteien“, die stark an der Persönlichkeit des Parteivorsitzenden und Regierungschefs orientiert waren. Sie bewahrten zwar — ohne exakte programmatische Basis — das christliche Element, aber nicht als Antrieb zu gesellschaftspolitischen Maßnahmen, sondern als Symbol der Tradition.

Dieser traditionalistische Akzent wird natürlich vor allem dort stark ausgedrückt, wo diese Parteien über relevante Arbeitnehmerflügel verfügen, die sich damit gegen die

Sozialdemokratie abgrenzen. Tatsächlich wurde diese Abgrenzung in dem Maße immer schwieriger, als sich der europäische Sozialismus weg von Marx zu einer revisionistisch-humanistischen Programmatik hinentwickelte, und die Kirche dazu überging, sich nicht nur aus den parteipolitischen Auseinandersetzungen herauszuhalten, sondern überhaupt darauf verzichtete, konkrete und verbindliche Gesellschaftsmodelle zu entwickeln. Das beweist nur allzudeutlich die gereizte Reaktion des ÖAAB-Obmannes Maleta auf die letzte Sozialenzyklika sowie die sozialistischen Kommentare dazu.

Symptomatisch für Maletas Erklärung ist aber nicht nur ihr Ton, sondern auch ihr Inhalt. Im Bestreben, sich gegen die Sozialdemokratie abzugrenzen, bedient er sich keineswegs christlicher Gedankengänge, sondern schon recht absoluter neoliberaler Begriffe, wie „Freiheit und Kollektiv“, sowie „Herrschaft des Staates und der Gesellschaft über den Menschen“, Alternativen, die in der innenpolitischen Auseinandersetzung mit .dem freiheitlichen Sozialismus wohl nichts Konkretes enthalten.

Die Antwort auf die drei Fragen ergibt sich, so glaube ich, zwingend

aus den skizzierten Überlegungen: weder existiert der Begriff „Christliche Demokratie“ als aktueller Begriff mit klar definierbarem Inhalt, noch lassen sich daher aktuelle Kriterien für eine solche Partei finden. Die österreichische Volkspartei ist ebensowenig eine christlich-demokratische Partei wie ihre Schwesternparteien im Ausland.

Ich muß allerdings betonen, daß dieses Urteil die Österreichische Voikspartei keineswegs abwerten will. Die großen konservativen Sammelparteien erhalten ihr politisches Gewicht auch jenseits christlich-demokratischer Gedankengänge und sind als Ordnungselement der europäischen Nachkriegsgeschichte — sei es als Regierungspartei, sei es als Opposition — von größter Bedeutung. Es ist außerdem zu hoffen, daß, auch wenn in der ÖVP künftig das christliche Element eine geringere Rolle spielen sollte, dort, wie auch in der SPÖ, christliche Politiker tätig sind, welche ihre aus dem Christentum erfließenden sittlich-ethischen Kriterien zum Wohle des Landes im politischen Leben realisieren.

Institut für Wirtschaftsforschung

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