Klimakrise - © Foto: APA / dpa / Julian Stratenschulte

Corona und das Adieu der Klima-Hoffnungen

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Warum wir sehenden Auges in die Klimakatastrophe gehen - und trotzdem nicht genug tun werden um sie abzuwenden.

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Warum wir sehenden Auges in die Klimakatastrophe gehen - und trotzdem nicht genug tun werden um sie abzuwenden.

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Man soll in pandemischen Zeiten zwar keine allzu weitreichenden Pläne machen. Aber immerhin kann man doch einigermaßen sicher sein, dass die Menschen in gemäßigter Frist wieder reisen werden können. Mit welchem Risiko und unter welchen Auflagen auch immer. Da dies so sein wird, könnte man nun schon daran gehen, sich ein paar Reiseziele zu wählen, die dem Motto Once in a lifetime angehören – und das Risiko wert sind.

Jene, die gerne die Hinterlassenschaften alter Kulturen besuchen, werden da einiges zu tun bekommen, sobalb sie den Klimawandel und seine Konsequenzen mit in ihre Reiseberechnungen einbeziehen. Es stehen da nämlich dringende Kurz- und Fernreisen zu 25 UNESCO-Stätten des Weltkulturerbes an, die massiv von der Erderwärmung und der damit verbundenen Erhöhung des Meeresspiegels betroffen sein werden, beziehungsweise
es schon sind.

Man stelle sich Politiker vor, die Industrien zusperren, Treibstoff und Fleisch sehr teuer machen, und den Konsum einschränken. Eine unmögliche Vision. Aber genau das wäre notwendig.

Die Toleranztemperatur für diese Orte, also jenes Maß an Erwärmung, das sie gerade noch aushalten würden, um nicht von den Fluten gefährdet zu sein, liegt bei 0,0 bis 0,2 Grad. Für diese Städte und Regionen ist der Klimawandel also extrem und aktuell gefährlich. Dazu zählen liebgewordene Destinationen wie Venedig, Ferrara, Ravenna, der Diokletianspalast von Split, die Altstadt von Lübeck, Le Havre, die Medina von Essaouira in Marokko, Campeche in Mexiko und viele mehr.

Wenige Jahre zum Ruin

Und wenn die ­Reisenden diese nahen oder fernen jahrtausendealten ­Stätten menschlichen Wirkens besuchen, und die Größe und Fähigkeiten der jeweiligen Zivilisation bestaunen, dann könnten sie auch folgendem Gedanken Raum geben: Dass es nur 250 Jahre industrieller Entwicklung gebraucht hat, um dieses Erbe dem ­Ruin preiszugeben.

Es ist nur eines von vielen Beispielen schwerwiegender Folgen des Klimawandels. Ein Phänomen, das von Außen betrachtet wie eine ungeheure menschliche Selbstzerstörung wirken muss durch ­Überproduktion, Überkonsum, ­Überverbrauch, Übermüllung. Diese ­üble aber gerechte Nachrede wird vor allem ­unsere Generation haben. Das klingt aufs Erste unfair, weil so viele Menschen in all ­ihren Berufen Gutes tun wollen, und auch glauben, dies zu tun. Es gibt zudem so viele Klimaschutz-Bekenntnisse wie nie, und natürlich gibt es Joe Biden, der nun in den
USA so viel in den Klimaschutz investieren will, wie kein Präsident vor ihm. Wir haben doch auch das UNO-Klimapanel IPCC geschaffen, das Kyotoprotokoll, das Pariser ­Abkommen. Nicht zu vergessen, das „Klimabewusstsein“ Greta und die Freitagsdemos.

Gnadenlose Statistiken

Ja, das ist alles nett. Aber es ist zu fürchten, dass es nicht reicht. Dass wir scheitern werden, zeigen ausgerechnet die nun bald zwölf Monate Pandemie. Vermutlich gab es noch nie in der Geschichte der Industrialisierung größere globale und regionale Einschränkungen für den Handel und die Produktion unserer Güter. Noch selten, vielleicht in Zeiten des Krieges, waren alle Gaststätten geschlossen, das gesellschaftliche Leben auf Isolation komprimiert, Reisen untersagt oder de facto unterbunden, noch nie wurden so vielen Unternehmen gesetzlich die Sperre und damit oft die Pleite verordnet – aus Sicherheitsgründen. Diese Zustände, von denen viele meinen, sie seien unaushaltbar für eine Demokratie, haben im Gegenzug dem Klima gutgetan. Die Pandemie-Maßnahmen
deckten sich sogar mit zentralen Forderungen beim Klimawandel: Runter vom Gas, leiser treten, weniger verbrauchen, weniger wegschmeißen, weniger liefern, weniger reisen, ­weniger Autofahren.

Das Ergebnis der zwölf pandemischen Monate war: Wir sind dem Ziel, unseren CO₂-Ausstoß um 7,6 Prozent pro Jahr zu senken und damit die Ziele des Pariser Abkommens zu erreichen, nahegekommen. Man stelle sich vor: Die massivste Krise der vergangenen 250 Jahre mit massivsten Auswirkungen auf unser Leben hat uns gerade einmal auf ein klima­gerechtes Niveau gebracht.

Ähnliche Einschnitte wie in den vergangenen zwölf Monaten wären nun Jahr für Jahr notwendig um den Temperaturanstieg auf 1,5 Grad Celsius zu beschränken. Laut UNO müssten wir
dazu unsere bisherigen Anstrengungen verfünffachen. Oder anders ­formuliert: es braucht keine kleinen Schritte mehr – da ein Tupfer Nachhaltig­keit, dort etwas mehr E-Mobilität. Das Ausmaß der Änderung benötigt eine Charakter­umstellung. Des Systems und unserer Lebensart.

Nicht nur weniger Wachstum und weniger Müll, sondern eine Schrumpfung des globalen Handels­systems. Man stelle sich den Politiker der Zukunft vor, der nicht nachhaltige Industrien zusperrt, Treibstoff und Fleisch unmöglich teuer macht, und seinen Wählern sagt: „Einschränken macht Spaß, verringert das Reisen, esst Grünzeug statt Schnitzel, verschrottet eure Autos.“

Tja, eben deshalb schaffen wir das nicht. Dieser Politiker, diese Politikerin würde nämlich krachend scheitern, und deshalb würde er/sie den Teufel tun, Betriebe zuzusperren oder Wachstum zu verweigern. Wir freuen uns schon jetzt auf die „Öffnung“ nach Corona. Dann werden wir alles aufholen. Nach-konsumiert werden soll, was nicht konsumiert wurde. Nach-verbraucht und nach-­verschmutzt, was nicht verbraucht oder verdreckt wurde. Das ist unser Weg aus der Krise. Es wird Wachstum geben, egal wie, wie nie.

Wohin das führt? Noch nicht in den Untergang, aber an seinen Rand. Denn letztlich wird der Mensch
gezwungen sein, sein größtes und gefährlichstes Experiment anzustellen, sein Meisterstück, wenn es denn eines gibt: Climate Engineering, die große Wende durch einen massiven Eingriff ins ­Weltklima. Diese eine Chance wird bleiben, wenn die Zeit verstrichen ist, und man wird sie versuchen. Je eher man sich intensiv mit dieser Möglichkeit auseinandersetzt, desto besser. Weiter zu machen wie bisher ist Selbsttäuschung. Ebensogut könnte man so tun, als würden Venedig, Ravenna und Ferrara nicht untergehen.

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