"CSU muss Politik der Öffnung betreiben"

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Gero Neugebauer ist Politikwissenschaftler und renommierter Experte für das deutsche Parteiensystem. Ein Gespräch über den Rechtsruck, Bayern und Potenziale der AfD.

Die Furche: Herr Neugebauer, mit der Bayern-Wahl fiel die letzte deutsche Bastion einer traditionellen Volkspartei. Die CSU verlor zum erst zweiten Mal in 56 Jahren ihre absolute Mehrheit und erzielte ihr historisch zweitschlechtestes Ergebnis. Was bedeutet diese Zeitenwende politisch?

Gero Neugebauer: Das bedeutet eine Normalisierung des Parteiensystems in Bayern und eine Angleichung an die Verhältnisse im übrigen Bundesgebiet. Es gibt nicht mehr wie früher zwei politische Pole -die Sozialdemokratie auf der einen, die CSU auf der anderen Seite. Denn auf der einen Seite sind die Grünen, auf der anderen ist die AfD hinzugekommen. Das wird sich bei der Wahl in Hessen kommende Woche bestätigen. Gleichzeitig macht sich bemerkbar, dass die Fähigkeit der bisher "großen Parteien" abnimmt, weite Bevölkerungskreise zu integrieren und auf ihre Interessen einzugehen. Denn unsere Gesellschaft kennt nicht mehr die großen Gruppen, die sich unter ideologischen Dächern vereinen. Sie ist durch den sozialen Wandel, auch bedungen durch wirtschaftlichen Erfolg, so zerfallen, dass es etliche unterschiedliche Lebensweisen, Lebensstile und Interessen gibt. Die sind politisch schwieriger zu organisieren als früher.

Die Furche: Neben diesem grundsätzlichen Trend gibt es mehrere Thesen zu den schweren Verlusten der CSU. Wie lautet Ihre?

Neugebauer: Sie sind vor allem auf eine gewisse Arroganz der CSU gegenüber dem sozialen Wandel zurückzuführen. Man dachte, wenn man wirtschaftlich erfolgreich ist, muss man sich mit dessen Auswirkungen nicht auseinandersetzen. Die CSU ignorierte Fragen wie: Wer profitiert von diesem wirtschaftlichen Erfolg und wer nicht? Wie wirkt sich der Zuzug aus anderen Regionen Deutschlands aus? Man dachte: Die werden schon alle bayrisch werden. Ein Teil der Wähler, die vielleicht noch CSU gewählt hätten, weil sie sagten, "die haben etwas geleistet", taten das letztlich nicht -weil sie sich in ihren eigenen Bedürfnissen missachtet fühlten.

Die Furche: Das strategische Dilemma der CSU ähnelte jenen anderer europäischer Volksparteien. Die Rechtspopulisten trieben sie thematisch vor sich her, das Abrücken nach rechts machte Platz in der Mitte. In Bayern staubten deshalb die Grünen viele CSU-Wähler ab. Hat ihr Rechtsruck der Union mehr geschadet oder genützt?

Neugebauer: In Deutschland gibt es beim Stimmverhalten der Wähler seit 2013 eine klare Entwicklung nach rechts. Wir sahen das beginnend mit der Europawahl 2014 und bei allen Landtagswahlen mit Ausnahme von Niedersachsen: Immer gewannen mehrheitlich die Parteien im Spektrum rechts der Mitte. Das wurde auch in Bayern nicht aufgehoben - zwei Drittel der Stimmen fallen auf die "bürgerlichen" Parteien CSU, Freie Wähler und FDP plus AfD. Die großen Mehrheitsverhältnisse haben sich also nicht geändert, es gab nur interne Verschiebungen. Für die CSU bedeutet das: Sie muss sich so weit verändern, dass sie für Wähler der Mitte wieder wählbar wird. Sie muss eine Politik der Öffnung betreiben - für jene Konservative, die mit bestimmten autoritären Positionen nicht einverstanden sind. Die Furche: Die Koalition mit den ideologisch recht nahestehenden "Freien Wählern" dürfte dagegen eine "g'mahte Wies'n" sein, oder?

Neugebauer: Diese Koalition ist die geringste Herausforderung für Markus Söder, denn die Freien Wähler gehören zur gleichen ideologischen Familie. Sie haben in Bayern schon Erfolge in der Modernisierung der Bildungspolitik erzielt. Überlässt man ihnen diesen Raum, vielleicht noch so etwas wie ein "bayrisches Heimatministerium" und mehr Einfluss bei der Gestaltung der ländlichen Verhältnisse, könnte das gut funktionieren. Konflikte, die diese Koalition irgendwann wie einen toten Fisch an den Strand spülen, erwarte ich jedenfalls nicht.

Die Furche: Wird sich Seehofer als CSU-Parteivorsitzender bzw. Innenminister halten können? Neugebauer: Die Regierungsparteien verhalten sich aktuell wie im "Beamtenmikado" - wer sich zuerst bewegt, muss etwas tun. Weder CDU noch SPD haben Interesse an einer Personaldiskussion. Nicht zuletzt wegen der Wahlen in Hessen kommende Woche und des Unions-Parteitags Anfang Dezember in Hamburg, wo es um den Vorsitz Angela Merkels geht. Seehofer hat das Heft selbst in der Hand, weil er als CSU-Vorsitzender einen Sonderparteitag beantragen könnte, um eine Personalentscheidung zu treffen. Söder wird sich mittelfristig wohl den Posten des CSU-Parteivorsitzenden sichern, weil er keinen Konkurrenten wie Alexander Dobrindt nach vorne kommen lassen möchte. Meiner Einschätzung nach wird Seehofer dieses Jahr noch überstehen.

Die Furche: Die AfD schaffte aus dem Stand gut zehn Prozent. Für wie nachhaltig halten Sie das politische Phänomen AfD eigentlich? Neugebauer: Die Partei repräsentiert mit ihrer politischen Programmatik einen Teil der deutschen Bevölkerung, der je nach Gegend zwischen zehn und 15 Prozent liegt. Die AfD hat es in Bayern vor allem geschafft, bisherige Nichtwähler zu mobilisieren und sich von den Kleinparteien Wähler zu holen. Dadurch hat sich ihr Protestcharakter ausgedrückt, der nicht notwendigerweise auf eine Basis hindeutet. Aber fragt man die AfD-Wähler selbst, bekennt sich rund die Hälfte zu den inhaltlichen Positionierungen. Damit hat sie à la longue jedenfalls ein Potenzial über fünf, vermutlich um die zehn Prozent. Das wird sie behalten können. Denn die Bemühungen der Parteien rechts der Mitte, sich AfD-Potenzial anzueignen, führen auch zu einer Legitimierung der AfD.

Die Furche: Die SPD fuhr das schlechteste Ergebnis ihrer Geschichte ein und halbierte sich auf gerade noch 9,7 Prozent der Stimmen. Wie viel Bayern, wie viel Berlin und wie viel europäischer Trend steckt in diesem Absturz?

Neugebauer: Einen europäischen Aspekt würde ich nicht vermuten. Es gibt eine Gemengelage aus bundes-und landespolitischen Faktoren. Der Ausgang von Landtagswahlen ist immer auch das Ergebnis der Mobilisierungsfähigkeit der Landesorganisationen. Allerdings: Die Leute haben auch nach den bundesweiten Inhalten der SPD gefragt, die sie nicht sehen. Die Antwort der SPD war: Man könne die eigene Position nicht darstellen, weil die Regierungspolitik von den Streitigkeiten innerhalb der Union überdeckt werde. Das ist keine Erklärung. Die eigene Schwäche mit der Schwäche der anderen zu begründen, nützt überhaupt nichts. Tatsächlich fehlt der SPD zur Zeit das, was man flapsig den "Markenkern" nennt. Das ist in ihrem Fall zwar die soziale Frage. Wie man die aber in der Flüchtlings-,Mieten-,Bildungs-und Arbeitsmarktfrage beantwortet, ist nicht deutlich geworden.

Die Furche: Ist das nicht die generelle Problemlage der Sozialdemokratie in praktisch ganz Europa?

Neugebauer: Doch, und wenn die SPD nicht in der Lage ist, mit eigenen Alternativen, Vorschlägen und Konzepten, gegebenenfalls auch mit anderen Personen, auf Entwicklungen zu reagieren, wird ihr Dilemma bleiben. Sie muss definieren, was sie will, was sie sein und was sie leisten möchte.

Die Furche: Welche Auswirkungen könnte das bayrische Wahlergebnis auf die deutsche Bundespolitik haben?

Neugebauer: Die Bundespolitik dürfte aufgrund der Unberechenbarkeit der CSU schwieriger werden: Wer wird Nachfolger von Seehofer? Welche Ziele wird die Partei verfolgen? Die Koordinationsprobleme für Merkel werden mit Sicherheit größer werden. Sie hat zwar die Chance zu sagen: Wir haben so viel verloren, weil wir nicht einig sind. Andererseits wird man ihr dann vielleicht antworten: Mit dir können wir die Einigkeit auch nicht mehr herstellen. Gelangt die CSU aber zur Einsicht, dass ihr Verhalten in der Koalitionsregierung zu ihrer Schwäche beigetragen hat, könnte das auch eine Chance sein: Die Krise dadurch zu überwinden, dass man ihre Ursachen analysiert und versucht, die Probleme zu lösen.

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