"Das alles ist ein Regieren im Ausnahmezustand“

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In der Wirtschafts-, Finanz- und Schuldenkrise steht die Europäische Union am Scheideweg. Sonja Puntscher-Riekmann, Anton Pelinka und Waldemar Hummer würden die EU stärken.

Was tun in Zeiten der Krise? Mangelndes wirtschaftliches Wachstum und hohe Schulden in einigen Staaten der Europäischen Union diktieren ihrer Führung die Agenda einer sich ständig beschleunigenden Abfolge an Gipfeln. Zugleich steigt der Bedarf an finanziellen Mitteln weiter: Sollen die 60 größten Banken Europas Juni 2012 ein Kernkapitalquote von neun Prozent erreichen - darauf haben sich Kanzlerin Angela Merkel und Präsident Nikolas Sarkozy verständigt -, dann benötigen sie eine Zufuhr von 100 Milliarden Euro an Eigenmitteln. Das Dilemma ist offensichtlich: Der gemeinsamen Währung Euro fehlt die gemeinsame Wirtschafts- und Steuerpolitik der EU. Dem Wirtschafts- und Stabilitätspakt fehlen die Möglichkeiten der Sanktion. Die von der FURCHE befragten Experten Sonja Puntscher-Riekmann, Anton Pelinka und Waldemar Hummer wüssten, wie diesem "Schlamassel“, diesem "Regieren im Ausnahmezustand“ und der Gefahr der Re-Nationalisierung beizukommen wäre: Mit einer Stärkung der Europäischen Union.

Die Finanzmärkte sind hochnervös

Die Situation ist, bei allen Unterschieden in den einzelnen Staaten, problematisch. "Jetzt ist natürlich alles ein Regieren im Ausnahmezustand“, wie die Politikwissenschafterin Puntscher-Riekmann "gerne“ den grünen Europa-Politiker Johannes Voggenhuber zitiert. "Die Finanzmärkte sind hochnervös und haben das Vertrauen in die Fähigkeit der Regierungen verloren, dass diese das in den Griff bekommen“, meint Puntscher-Riekmann. Die zu beobachtende Re-Nationalisierung in Europa sei auch von den Eliten "weidlich“ geschürt worden. Diese seien nicht in der Lage gewesen, sich zu supra-nationalisieren. Die Wirtschaftspolitik sei lediglich unter dem Titel "Koordination“ verblieben, es habe an fiskalischer Disziplin gefehlt. Das "Schlamassel“, in dem man sich befinde, sei also von den Regierungen ausgelöst worden, nicht von den Bürgern. Selbst die Lösung, den Schutzschirm auszuweiten, würden wiederum nur auf bilateralen völkerrechtlichen Verträgen beruhen. Puntscher-Riekmann würde daher "eine europäische Wirtschaftsregierung in jedem Fall befürworten“, vor allem, weil sie sonst nur das "Auseinanderdriften der Euro-Zone“ sehe. Ähnlich argumentiert der Experte für Europarecht, Waldemar Hummer.

Schon bei Gründung der heutigen Europäischen Union sei klar gewesen, dass es eine einheitliche Währungspolitik nur bei einer gemeinsamen Wirtschaftspolitik geben können. Doch die Währung kam zuerst. Und die Wirtschaftspolitik sei lediglich "eine Angelegenheit von gemeinsamem Interesse“. Es bestehe auf diesem Gebiet in der EU keine Verpflichtung zur Harmonisierung, erst recht nicht eine zur Integration. Doch für den gegenwärtigen fiskalischen Super-Gau seien die Instrumente und Institutionen der EU einfach nicht angelegt. Daher sei es richtig, in einem nächsten Schritt den Defizitsündern im Wirtschafts- und Stabilitätspakt den Verfall ihrer Einlage als Sanktion anzudrohen. Hummer: "Man muss jene, die sich in das Schlamassel manövriert haben, zur Ordnung rufen.“ Zugleich warnt der renommierte Europa-Experte davor, wie gegenwärtig einem "Direktorium der deutsch-französischen Achse entgegenzugehen“. Kleine Staaten hätten nämlich "nicht den Funken einer Chance“ zur Mitsprache.

Lernen aus der Krise

Der Kritik an der Währungsunion, ihr fehle ein Steuerungs- und Kontrollorgan, nimmt der Politikwissenschafter Anton Pelinka zum Anstoss, man könnte die EU in eine andere Richtung führen, konkret in jene eines Bundesstaates. Denn auf die Kritik könnte man mit Auflösung der Währungsunion reagieren - oder damit, diesem Defizit abzuhelfen und ein europäisches Organ zu schaffen, für das Merkel und Sarkozy den Begriff einer Europäischen Wirtschaftsregierung geprägt haben. Pelinka wörtlich: "Eine solche gibt es eigentlich schon - die Europäische Kommission. Diese zu stärken, und damit das europäische Parlament, dem die Kommission politisch verantwortlich ist, wäre ein wichtiger Schritt in Richtung Bundesstaat. Ein solcher Schritt würde demonstrieren, dass die Union sich dann weiterzuentwickeln in der Lage ist, wenn sie - scheinbar - am Abgrund steht.“ Eine Chance wie die Union werde Europa, wie Pelinka in seinem neuen Buch "Europa“ schreibt, kein zweites Mal bekommen.

Europa

Ein Plädoyer von Anton Pelinka

Braumüller Lesethek 2011

203 Seite, gebunden, e 19,90

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