Das Comeback der Schurken-Staaten

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"Nach dem EU-Austritt Großbritanniens würde Frankreich als EU-Atommacht die erste Geige spielen. Eine EU-Atombombe ist immer wieder in Diskussion, Strache hat Ähnliches vorgeschlagen."

Auf dem Spielfeld der Nuklearwaffen ist Bewegung. Sowohl die Zusammensetzung der Teams, die Spielregeln, das Ziel des Spiels und sogar der Name des Spiels sind strittig. Der Unterschied zwischen Sturm und Verteidigung verwischt sich sowieso. Die USA nennen das Spiel gemäß ihrem im Februar beschlossenen Nuclear Posture Review "Rückkehr der Konkurrenz der Großmächte". Das Instrument: Modernisierung des nuklearen Arsenals. Maßgeschneiderte Strategien hat Trump gegenüber Russland, China, Nordkorea und Iran schmieden lassen. Aber auch Russland modernisiert seine Nuklearpotenziale und China verstärkt seine Kapazitäten.

Der russische Präsident Wladimir Putin hat bei seiner Rede an die Nation neue, angeblich nicht abfangbare Nuklearwaffen vorgestellt. Er nannte die schwere Interkontinentalrakete "Sarmat", die Hyperschallrakete "Kinschal" (Dolch), einen atombetriebenen Marschflugkörper und einen neuartigen Torpedo. Diese seien eine Reaktion auf die US-Raketenabwehr, sagte er gut zwei Wochen vor der Präsidentenwahl. Beide streben -da liegen die USA nicht völlig falsch -in unterschiedlichem Maß danach, die internationale Ordnung zu ändern.

Militärausgaben

Insgesamt gab die Welt zuletzt 1,69 Billionen US$ für Rüstung aus. Die USA lagen mit 611 Mrd. an der Spitze und die EU-28 gaben gemeinsam 241 Mrd. US$ aus. Russland stellte 69 und China 215 Mrd. US$ für Rüstung bereit. Während in den USA, China sowie West-und Osteuropa die Militärbudgets anstiegen, kündigte Wladimir Putin nach seiner Wiederwahl eine Kürzung für 2018 und 2019 an. Es sei nach Putin jedoch u. a. ein atomgetriebener Marschflugkörper -unerreichbar für heutige Raketenabwehrsysteme - als militärisches Instrument nötig, um der US-Aufrüstung zu begegnen. Man antworte ja nur, wenngleich Experten heute am Ausmaß der nuklearen Modernisierung Moskaus im Allgemeinen und an der technischen Machbarkeit von Einzelprojekten im Besonderen zweifeln.

Strategische Rivalitäten und die Denkschule "Friede durch Machtausweitung" scheinen prägend. Das Vorwerfen der Nichteinhaltung von Verträgen über Rüstungskontrolle, Abrüstung und internationales Recht gehört in West und Ost mittlerweile zum alltäglichen -wenngleich zum Teil auch berechtigten -Vokabular. Beim "Aufstieg und Fall der großen Mächte" sind militärische sowie wirtschaftliche Potenz heute maßgeblich und der "Handelskrieg" wird immer weniger als Geschwätz abgetan.

Der Blick auf die letzten zwei Dekaden zeigt, warum aus der Blockkonfrontation der 1980er die Rivalität von heute geworden ist. Nicht Eins-zu-Eins, aber als Denkmuster. Lange ist die Liste mit Unstimmigkeiten: Kosovo-Krieg, NATO-Osterweiterungen, Raketenschild in Osteuropa, Irak-Krieg, "war against terror", Libyen-Krieg, Truppenstationierungen in Osteuropa oder die Kriege in der Ukraine und Syrien. Das gegenseitige Misstrauen ist nachhaltig.

Wladimir Putin tritt seine vierte Amtszeit an und Xi Jinping regiert auf Lebenszeit. Das Team in Washington erweist sich als unbeständig. Außenminister und Sicherheitsberater wurden jüngst "gefeuert". Mit Mike Pompeo und John Bolton stehen die Zeichen in Bezug auf den Iran und Nordkorea mehr denn je auf Sturm. Wem die "Achse des Bösen" und "Schurkenstaaten" aus der Ära George W. Bushs vertraut klingen, hat indirekt John Boltons Politik im Ohr. Nationales Interesse schlägt Völkerrecht.

EU-Optionen

Eine Erhaltung der US-Triade -bodengestützte Interkontinentalraketen, U-Boot-gestützte Raketen und strategische Bomber - verbraucht 2,7 Prozent des US-Rüstungsbudgets, die Aufstockung soll im Jahr 2029 jedoch bei einem Budgetanteil von 6,4 Prozent des Rüstungsbudgets gipfeln. Das US-Atomwaffenpotenzial kann in den nächsten 30 Jahren rund 1000 Mrd. US$ kosten. Die Nachrüstungsspirale dreht sich. Auf einen nuklearen Ersteinsatz verzichten weder Russland noch die USA.

Neben der Ausweitung von Umständen, unter denen US-Nuklearwaffen eingesetzt werden können, wird an zielgenauen kleineren Systemen gearbeitet. "Mini Nukes" sollen nach offizieller Lesart die Abschreckung erhöhen, da größere Systeme in der Hinterhand sind. Dies bringt jedoch die Gefahr mit sich, dass schneller über den Einsatz nachgedacht wird, da ein Atomkrieg regional begrenzbar erscheint. Das Eskalationspotenzial ist beträchtlich. Der mittlerweile abgelöste US-Sicherheitsberater McMaster bezeichnete die im Gefechtsfeld einsetzbaren Nuklearwaffen als Vorsichtsmaßnahme gegen die Aufrüstung Russlands.

Die EU verfügt über drei Denkmodelle. Modell 1 bindet die EU enger als bisher an die NATO und ihren Nuklearschirm. Donald Trump und John Bolton werden für den transatlantischen Deal einen Preis verlangen. Die USA kochen und die EU macht den Abwasch. Der neue EU-Rüstungsfonds und das militärische Kerneuropa wären für die Katz. Trumps Atomwaffen sind eine trügerische Sicherheit und die Beziehungen zu Russland verschlechtern sich weiter.

Modell 2 bildet eine EU-Armee samt Zugriffsmöglichkeit auf Atomwaffen. Nach dem EU-Austritt Großbritanniens würde Frankreich als Atommacht die erste Geige spielen. Eine EU-Atombombe ist immer wieder in Diskussion und auch Heinz-Christian Strache hat Ähnliches vorgeschlagen. Eine Untervariante des Modells blendet die Nuklearkiste mangels Einigkeit aus und pendelt zwischen US-Abhängigkeit und autonomer EU-Militärpolitik. Gelöst wird dadurch nichts, aber die Eintrittswahrscheinlichkeit ist hoch.

Wechsel der Logik

Das Modell 3 wechselt die Logik und verpasst dem Spiel ein neues Ziel, nämlich das Misstrauen abzubauen. Der Sicherheits- und Abschreckungslogik folgt eine Friedenslogik. Im Juli 2017 beschlossen 122 Staaten den Atomwaffenverbotsvertrag. Letzte Woche hat der Nationalrat in Wien diesen einstimmig ratifiziert. In der EU fährt Wien jedoch ein Minderheitenprogramm. Nur Österreich, Irland, Malta, Zypern, Schweden und Finnland waren nicht gegen den Verbotsvertrag. Obwohl das EU-Parlament eine konstruktive Beteiligung empfohlen hat, haben sich die 22 EU-und NATO-Staaten lieber an den USA orientiert.

Modell 3 rückt diesen völkerrechtlich bindenden Vertrag ins Zentrum der Überlegung. Die nukleare Teilhabe -US-Atomwaffen in der EU -wäre damit Geschichte und ein Wendepunkt markiert. Die in der EU stationierten US-Nuklearwaffen werden unter Trump und Bolton ein noch größerer Klotz am Bein und vergiften das Verhältnis zu Moskau und Peking. Die eigentlich dicken Bretter sind parallel zu bohren: vertrauensbildende Maßnahmen, das gemeinsame Denken von Frieden und Sicherheit ohne Massenvernichtungswaffen oder die Stärkung des UNO-Gewaltverbots. Und der Atomwaffenverbotsvertrag hat John Bolton eine Frage bereits beantwortet: die UNO funktioniert.

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