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Das Deutschland von gestern

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Von den (deutsch)-nationalen Parteien der Monarchie und der Ersten Republik unterscheiden sich die Freiheitlichen, vor allem jene des Jahres 1964, dadurch wesentlich daß der Gegenstand des Einsatzes nicht mehr da ist. Das Deutschland der Nationalen Österreichs ist heute endgültig ein Traumland, eine Konstruktion, ein Mythos, vergleichbar dem Reichsmythos der jungen Katholiken vor 1938. Das Deutschland der österreichischen Nationalen ist das Deutschland der Reichsgründung, jenes Deutschland, auf das von Österreich aus zu sehen, angesichts des vielsprachigen und vielnational organisierten alten Österreich, noch einigermaßen verständlich erschien. Auch die Proportionen, die noch in der Ersten Republik bestanden hatten: hier ein großes, wenn auch ökonomisch ungesichertes Deutsches Reich, und dort ein kleines Rest-Österreich, ein Land, das als ein Unverteilbares gerade noch übrig geblieben war, sind nicht mehr die gleichen, was die traditionsgefessel-ten Nationalen sehr zum Unterschied von den Bundesdeutschen nicht sehen wollen. Für sie ist Österreich noch immer ein Kümmerstaat; wenn es ein Wirtschaftswunder gibt, dann nur jenseits der Grenzen.

Das Deutsch-Sein der Nationalen in Österreich ist heute ohne realen Bezug, nur mehr ein Anders-Sein, eine Leerformel, weil es nicht auf ein gegenständliches Vaterland bezogen, sondern eine Kunstweltanschauung ist, die ständig mit Phrasen und erfundenen Gegnern gepölzt werden muß.

Wenn die FPÖ rügend wegen ihrer oft nur mehr emotionalen Bindung auf das Nationale preußischer Observanz hin angesprochen wird, weist sie zuweilen nachdrücklich auf das Liberale als eine Komponente ihrer politischen Anschauungen hin und will Kritiker glauben machen, daß das Liberale einen übertriebenen Nationalismus durchaus zu reinigen vermöchte. Wenn auch Liberale in der FPÖ zu finden sind (ihr Prominentester hat vor kurzer Zeit den „Weg ins Freie“ nach Straßburg gefunden), so kann die FPÖ auf keinen Fall mit der bundesdeutschen FDP verglichen werden, die neben einem altliberalen Flügel eine liberale Mitte und eine vor allem intellektuelle, aber nur schwach dotierte Rechte hat. Nicht wenige der bundesdeutschen Liberalen waren im Widerstand gegen die Machthaber des Dritten Reiches. Wer von den Führern der FPÖ war aber im Dritten Reich derart liberal, daß er sich zum Widerstand entschloß? Zumindest in den Julitagen 1944?

Anderseits muß in einer pluralistischen Gesellschaft Raum für eine Partei sein, deren Mitglieder sich de jure nicht auf eine Einheitsidee verpflichten müssen. Eine liberale Partei wäre (und ist) dann eine parteipolitische Bindung jener, die sich nicht binden wollen, was auch die ständige Neigung zur Abspaltung bei liberalen Parteien erklärt. Die FPÖ hat jedoch bisher das Liberale nur als verbale Überdek-kung benutzt, da national im Sinn der österreichischen Deutsch-Nationalen und liberal in einem unlösbaren Widerspruch stehen.

Ganz und gar ist die FPÖ eine bürgerliche Partei. Man darf die soziale Position der Geldgeber, soweit sie ihren Wohnsitz im Inland haben, nicht mit jener der Masse der Parteimitglieder gleichsetzen. Im Gegenteil. In der FPÖ sind ganz sicher weniger sogenannte Besitzbürger als in der ÖVP.

In der politischen Praxis war die FPÖ stets ein Satellit der SPÖ, die indirekt die „nationale Opposition“ als Partei konstituierte und stets durch Aufmunterung förderte. Der Kampf, den die SPÖ gegen die FPÖ bisher führte, war überwiegend als eine Art von Turnierkampf zu verstehen. Eine ernstliche Gefährdung der Nationalen war nie beabsichtigt. Die FPÖ hat einen werkzeuglichen Charakter und die ihr von allem Anfang seitens der SPÖ zugemutete Aufgabe zu erfüllen, der ÖVP jene Wähler wegzunehmen, die zwar ihrem sozialökonomischen Status nach der ÖVP zugeneigt sind, mit ihr aber etwa wegen ihrer deklarierten christlichen Haltung unzufrieden sind.

Als die ÖVP in der Sache Habsburg der Raffinesse der sozialistischen Manipulationen nicht gewachsen war, haben die Sozialisten zum erstenmal die Gitter in die Höhe gelassen und die bereits von ihnen wohldressierten Freiheitlichen in die Arena geführt. Mit Erfolg. Nach Vollzug des Sonderauftrages wurde zwar die FPÖ wieder hinter die Gitter der Opposition verwiesen, ist aber jetzt, da man in den oberen Kreisen der Freiheitlichen nun einmal von den verfügbaren Chancen Witterung genommen hat, nicht mehr zu halten. In einem eigenartigen Masochismus will auch die FPÖ die „Tortur“ der „Korrumpierung“ durch Ministerpensionen auf sich nehmen, wobei sie freilich, um das Gesicht zu wahren, beabsichtigt, kleine Korrekturen durchzusetzen.

Der FPÖ ist offenkundig heute in der österreichischen Politik die Aufgabe zugewiesen, sich im Kampf (nur gegen die ÖVP) jener Mittel zu bedienen, welche die SPÖ selbst ablehnt. Bisher wurde von Seiten der SPÖ selten ein Gegner persönlich diffamiert. Jedenfalls hat man seit 1945 noch nie versucht, einen Gegner derartig hinterlistig zu diffamieren, wie es die FPÖ in der Sache der Minister- (richtiger Landeshauptmann-) Pension des Doktor Klaus getan hat, obwohl sie doch selbst alles unternimmt, damit ihre Führer in den Genuß der gleichen Pension kommen, auf die übrigens auch schon als politische Funktionäre tätige FPÖ-Mandatare Anspruch haben. Man geht eben bei der FPÖ davon aus — wie „einst“ —, daß der Gegner keine Ehre habe, würde aber keineswegs erfreut sein, sollte die ÖVP einmal Bilder einiger Herren aus den Führungsgremien der FPÖ zeigen, die diese angetan mit den „Traditionsuniformen“ zeigen.

Der instrumentale Charakter der FPÖ zeigt sich vor allem darin, daß sie so gut wie ausschließlich die ÖVP angreift, besser, nur diese angreifen darf. Bestenfalls — zur Täuschung der Anhänger — wird noch der Koalition ein Seitenhieb versetzt, aber derart, daß jedermann versteht, es sei eigentlich wieder nur die ÖVP gemeint...

Jedes Werkzeug nutzt sich ab, vor allem, wenn es unsachgemäß gebraucht wird. Das zeigt sich bei Satellitenparteien in den Volksdemokratien. Je mehr die FPÖ nur das tun darf, was ihr die SPÖ als Leitpartei vorschreibt, je einseitiger sie ihre Angriffe lediglich nach einer Richtung, nach „rechts“ hin, vorträgt, um so verwundbarer wird sie rechts.

In einem großartigen Zynismus, dem man eine gewisse Genialität nicht absprechen kann, wird die FPÖ von einzelnen Funktionären der SPÖ zu Tode gelobt. Dieses „Lob“ kann einen doppelten Zweck haben: Erstens wird die FPÖ in einem Zustand der Euphorie gehalten, der sie die Realiäten, vor allem die Prozesse im eigenen Lager, nicht mehr wahrnehmen läßt, und zweitens verliert sie, die man nur gegen die ÖVP als „Rechtsmark“ gebrauchen will, derart an Kredit bei ihren Anhängern, daß sie in Hinkunft nicht gefährlich zu werden vermag.

Dagegen ist es nicht unmöglich, daß eine in die Regierung eingerückte FPÖ, im Besitz von drei oder vier Ministerien (Handel, Unterricht, wie sie hofft, Landwirtschaft und Landesverteidigung) einen Zuwachs von Seiten der Opportunisten erhält, die nun einmal in jedem Land vorhanden sind. Wir haben es 1934, 1938 und noch einmal 1945 erlebt, daß es in Österreich Menschen gibt, die es in einer bewunderungswürdigen Weise verstehen, ihre Gesinnung flugs zu wechseln, ohne dabei Schaden zu nehmen. Das trifft auf beachtliche Teile bestimmter Berufsgruppen zu. Manche Herren

haben auf die Minute genau die Mitgliedskarten der einen Partei ins Depot gegeben und sich jene der anderen (mit Vordatierung) verschafft. Daß man bei einer solchen Gesinnungswechslerei gut fährt, beweist das „Schicksal“ der bereits erwähnten hochgestellten Persönlichkeiten in unserem Land, die seine wahren Herren sind und es heute auch bei einem Umbruch III zu bleiben hoffen.

Wenn die FPÖ als Oppositionspartei aufgesogen und gleichsam von der SPÖ inkorporiert wird, fällt der ÖVP, sollte sie aus der Regierung verwiesen werden, die ihr so gar nicht liegende Aufgabe der Opposition zu. Die Folge wird und muß eine völlige Wandlung der politischen Struktur unseres Landes sein. Ob dies Österreich, an das die Politiker nicht immer in erster Linie denken, nützt, muß dahingestellt bleiben.

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