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Das doppelte Defizit

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Es gibt, nach dem Unterrichtsministerium, kein Kulturunternehmen im Lande mit einem derart riesigen Umsatz an kulturellen Werten wie den Rundfunk. Sicherlich sind auch nicht wenige Unwerte darunter. Ein für den gesamten kulturellen Entwicklungsstand eines Landes so repräsentativer Komplex, wie es der Rundfunk ist, muß viele verschiedenartige Impulse ausdrücken und befriedigen. Nichtsdestoweniger ist seine Gesamtleistung formidabel. Er ist eine nationale Institution, und der Vergleich mit dem Unterrichtsministerium ist nicht so unangebracht, wenn man daran denkt, daß der Rundfunk jeden Tag 18 Stunden lang wie ein riesiges Kaleidoskop von einer Sendung zur anderen: Kirche, Vortragssaal, Konzerthaus, Sprech- und Opernbühne, Hochschule, Diskussionsforum, Zeitungs- und Nachrichtenbüro, Tanz- und Unterhaltungslokal, und was es dergleichen noch alles gibt, in unsere Heime projiziert — sofern uns daran gelegen ist und wir jenen Knopf am Empfangsapparat drehen. Ob wir das tun oder nicht tun (worüber noch zu sprechen sein wird) — jedenfalls bezahlen zwei Millionen Rundfunkabonnenten allmonatlich sieben Schilling dafür und sind somit die eigentlichen Aktionäre dieses riesigen Unternehmens.

Es ließe sich daher noch darüber diskutieren, inwieweit es bedauerlich ist, daß die zwei Millionen Abonnenten nicht selber oder durch eigene Organisationen die Rundfunkpolitik bestimmen, sondern daß das durch die politischen Parteien geschieht, welche ins Parlament und in die Regierung gewählt werden, und zwar auch von Leuten, die keine Rundfunkteilnehmer sind. Da das aber nun einmal schon so ist, wäre es eigentlich angebracht, daß die Parteien vor allen Wahlen die Wähler über die Rundfunkpolitik eingehend informierten, die sie befürworten. Das ist nämlich bisher noch nie geschehen, obwohl immer wieder von den Parteien erklärt worden ist, daß der Rundfunk ein Politikum sei, und obwohl kein Zweifel darüber besteht, daß er es tatsächlich ist. Es wäre uns viel lieber, wenn dem nicht so wäre, wenigstens nicht auf so enge Weise wie jetzt, und wenn der Rundfunk als nationale Institution selbständig, wenn auch nicht ohne Kontrolle durch die Öffentlichkeit, dastünde. All das hängt jedoch mit der besonderen Art der Entwicklung (oder vielmehr Unentwickeltheit) unserer Demokratie zusammen.

Worum es gehtWenn also der Rundfunk seit der Aufhebung der fremden Besetzung unter der Kontrolle der beiden Regierungsparteien steht, dann muß man s i e fragen, wie es möglich war, daß eine Läge wie die jetzige im Rundfunk entstehen konnte.

Diese Lage besteht vor allem darin, daß sie unübersichtlich ist. Von dem Rauch und Staub der innenpolitischen Geplänkel und Kabalen befreit, durch welche der Rundfunk so etwas wie ein Prügelknabe der öffentlichen Meinung geworden ist, und auf den primitivsten Sachverhalt reduziert, sieht die Lage so aus:

Der Rundfunk hat — der Nachfrage des Publikums, dem Angebot der Produzenten und der ganzen inneren und äußeren Dynamik eines solchen Betriebes folgend — die ganze Zeit über seine Programme und seinen Apparat entwickelt und immer wieder dabei erklärt, daß eine Vergrößerung seiner Einnahmen durch eine Gebührenerhöhung notwendig sei. Diese Erhöhung wurde ihm immer wieder nicht bewilligt, und zwar vor allem von der SP nicht, die vorerst einen Nachweis verlangt hat, warum und wofür und wie dringlich diese zusätzlichen Einnahmen gebraucht werden. Es hätte demnach eines oder das andere geschehen müssen: Der Nachweis hätte zwingend vor aller Öffentlichkeit gegeben werden oder die führenden Leute hätten Konsequenzen ziehen und sagen müssen: Non pos- sumus — wir können nicht mehr weiter, wir treten zurück. Keines von beiden ist geschehen. Daß letzteres möglich ist, hat sich überhaupt in Österreich noch nicht ganz herumgesprochen,- obwohl das von einer gewissen Höhe der Verantwortung und des damit verbundenen Einkommens ab eine Selbstverständlichkeit ist.

So hat denn die ÖVP den alten Generaldirektor ab- und einen neuen eingesetzt (warum nicht schon vor zwei Jahren?), von dem nun eine starke und klare Politik im Rundfunk erwartet wird. Er hat nicht lange gebraucht, um festzustellen, daß der bisherige Betrieb nicht im Einklang mit der Höhe seiner Einnahmen steht. Da die SP weiterhin den Nachweis über die Notwendigkeit einer Gebührenerhöhung und eine Revision des gesamten Betriebes verlangt, wurde zunächst dessen Einschränkung - zumindest in bezug auf Produktionen — beschlossen.

Dazu ist nun von Seiten aller um die kulturelle und volkserzieherische Aufgabe des Rundfunks Besorgten zu sagen:

Keine Einsparungen, durch welche der Rundfunk verhindert wird, diese Aufgabe zu erfüllen. Keine Verschlechterung des Programminhaltes durch Ausfüllung der Sendezeit mit sinnleerer Nonstopmusik. Wenn mehr Reklamesendungen, dann nicht solche, durch deren Texte der Intelligenz der Hörer noch mehr als ohnehin bisher schon zugemutet wird. Das heißt, „gesponserte“ Sendungen, die auch sonst gebracht werden würden und bei denen die Reklame lediglich in der Nennung der Firma, welche die Sendung ermöglicht hat, bei der An- und Absage besteht.

Kein Geld für Übertragungen

Wir sind weiter nicht der Meinung, daß es so selbstverständlich ist, daß der Rundfunk nun aus Ersparnisgründen auf Opern-, Konzert- und Übertragungen der Wiener Festwochen und der Salzburger Festspiele verzichten muß. Es ist nicht vertretbar, daß der Rundfunk — eine öffentliche Institution — anderen, ebenfalls öffentlichen Institutionen, die aus den Steuergeldern des österreichischen Staatsbudgets mit hunderten Millionen Schilling subventioniert und ermöglicht werden, riesige Summen für Übertragungen bezahlt, die mit keiner zusätzlichen Leistung für Veranstalter, Künstler, Orchester und so weiter verbunden sind. Dies müßte auch den diversen Schutzverbänden und den Gewerkschaften, wenn nicht anders möglich, durch die Legislative klargemacht werden. Und den ausländischen gastierenden Künstlern könnte man das durch Klauseln in den Verträgen, die mit ihnen abgeschlossen werden, verständlich machen. Was in dieser Beziehung im vergangenen Jahr in Salzburg bei der Verhökerung ganzer Aufführungen an ausländische Firmen zuungunsten des Österreichischen Rundfunks und der österreichischen Steuerzahler geschehen ist, darf nicht wieder geduldet werden.

Nach all dem hier Gesagten wird man uns wohl zugestehen, daß wir von echter Sorge um den Rundfunk erfüllt sind und daß wir wünschen, daß er nicht in seiner Fähigkeit, die ihm gestellte kulturelle Aufgabe zu erfüllen, und in seiner weiteren Entwicklung gehindert werde.

Das zweite Defizit

Gerade deshalb aber können wir nicht verhehlen, daß der Rundfunk neben einem finanziellen Defizit auch ein moralisches aufweist. Es äußert sich darin, daß der Hörfunk nicht in einer seinen Leistungen und seiner Bedeutung entsprechenden Weise im Bewußtsein der Bevölkerung, ja nicht einmal des größten Teils der zwei Millionen Abonnenten verankert ist. Eine der ersten Maßnahmen, die der neue Generaldirektor nach seinem Antritt veranlaßt hat, war die Befragung einer bezeichnenden Zahl von Hörem über ihr Interesse am Rundfunk. Es ist bedauerlich, daß die Ergebnisse der Befragung bisher nicht verlautbart wurden. Jeder aber, der einigermaßen am Rundfunk als Institution interessiert ist, seinen Zustand auf sich einwirken läßt und statt 4500 nur zehn Menschen seines Umkreises — von der Hausmeisterin bis zum Firmendirektor — über ihr Interesse am Rundfunk befragt, kann sich das Resultat der großen Hörerbefragung in groben Zügen vorstellen.

Verhältnismäßig stark werden die Nachrichten gehört. Darnach gibt es e’nen ziemlich engen Kreis von Menschen, für die der Rundfunk tatsächlich eine hauptsächliche Verbindung zur übrigen Welt und ihrem Tun und Denken darstellt: Altersrentner, Invalide, Hausfrauen, gewisse Gewerbetreibende, wie Friseure, Tankstellenwärter und andere, und die ländliche Bevölkerung während des Winters. Man wird nicht sehr fehlgehen, wenn man annimmt, daß nicht mehr als 15 Prozent der Abonnenten den Rundfunk in Anspruch nehmen. In anderen Ländern — in denen jedoch das Fernsehen den Hörfunk bereits weit überholt hat — beträgt der Prozentsatz 30 bis 40 vom Hundert. Wir haben also sicherlich eine ganz besonders schlechte Situation in Österreich. Es sei betont, daß das nur verhältnismäßig wenig mit der Qualität und Thematik des vom Österreichischen Rundfunk Gebotenen zu tun hat, das übrigens sowohl qualitativ als auch in der Vielfalt besser als in manchen anderen Ländern ist.

Drei Ursachen des Desinteresses

Sie lauten: Unübersichtlichkeit der Programme (von Fachleuten ungenügende Profilierung genannt), Mangel an Prestige beim Publikum und fehlender Kontakt der Produzenten mit dem Publikum (womit nicht jener Kontakt gemeint ist, wie er durch Quizsendungen und „Autofahrer unterwegs“ geschaffen wird).

Die drei Programme des Österreichischen Rundfunks sind in Wirklichkeit eine Fiktion. Keine der gedachten Hörerklassen (an einem allgemeinen, an einem leichten und an einem anspruchsvollen Programm Interessierte) kann sich und ihre Interessen wirklich mit den drei Programmen identifizieren. Der Rundfunk ist für sie in Wirklichkeit ein riesiger Topf mit einem Brei, aus dem man sich die einen interessierenden Brocken herausfischen muß. Der Durchschnittshörer ist heute, je mehr er im Leben steht und andere Kulturattraktionen in Anspruch zu nehmen imstande ist, um so weniger bereit, sich der Mühe zu unterziehen. Hierzu wird von den Rundfunkleuten eingewendet, daß der Rundfunk eben durch ungenügende Budgetierung nicht imstande gewesen sei, die technischen Voraussetzungen (mehr Sender) für eine stärkere Profilierung zu schaffen. Warum wurde aber dann nicht überhaupt wenigstens für so lange auf das Dreiprogrammsystem verzichtet und ein einfacheres, plausibleres eingerichtet? Weiter beginnt man erst jetzt im Rundfunk draufzukommen, daß es gerade bei der Unzahl von täglichen Sendungen nötig ist, den Hörer durch eine Minimalzahl zu attrahieren — dadurch, daß man höchstens eine Sendung im Tag als wirkliche Attraktion gestaltet und heraushebt. Es ist in diesem Zusammenhang paradox, daß das Fernsehen bei uns heute seine ungleich größere Popularität und viel „bessere Presse“ nur zum Teil dem Reiz der Neuheit und ansonsten gerade seiner Schwäche und Unentwickeltheit verdankt: der geringen Zahl von Sendungen und der auf wenige Stunden beschränkten Sendezeit, welche jedoch dem Publikum und der Presse Übersichtlichkeit, Eingehen und Wertung erleichtern.

Die Hörfunkleute haben sich viel zu sehr damit beschäftigt, Rundfunk zu produzieren, und zu wenig, ihn dem Publikum zu „verkaufen“. Aus der kulturellen Bedeutung ihres Unternehmens haben sie viel zu sehr und zu lange auf dessen Unentbehrlichkeit für das Publikum geschlossen. Das war ein großer Irrtum in einer Zeit so vieler Konsumangebote. Und es hat einiges mit dem Widerstand der Politiker, dem Hörfunk eine Gebührenerhöhung zu bewilligen, zu tun. Man wirft ihnen vor, daß sie es aus Parteiinteresse bisher nicht getan haben. Aber es wäre ebensogut denkbar, daß sie aus dem gleichen Parteiinteresse mit dem Geide gelaufen kämen, wenn der Rundfunk sich besser und auf positivere Weise als bisher im Bewußtsein der Bevölkerung verankerte.

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