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Das Dorf der Athleten

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Dort, wo früher in Rom das berüchtigte Barackenviertel Campo Parioli die breitflächige Landschaft am Fuße des grünen Monte Mario verunzierte, erhebt sich heute, wie aus dem Boden gestampft, das Olympische Dorf 1960. Es entstand nicht weit vom nördlichen Schauplatz der kommenden Olympischen Spiele. Allgemein wird es hier als „Dorf der Athleten“ bezeichnet, nachdem sich im letzten Jahrzehnt der griechische Urbegriff „Athleten“ eingebürgert hat, um die aktiv teilnehmenden Wettkämpfer aus aller Welt zu kennzeichnen.

Als ich diese auf hohen Pfählen ruhende Siedlung am Rande des Foro Italico — einst Foro Mussolini genannt — bei der Einweihung vor wenigen Wochen sah, war ich von der nüchtern wirkenden Anlage enttäuscht. Die Erinnerung an die Olympischen Spiele 1936 in Berlin wurde wach, wo sich das „Dorf“ in üppig blühender, dicht mit Bäumen bepflanzter Gegend einladend ausbreitete, fast einem Luftkurort gleich. Aber der Schein trügt. Denn inzwischen haben, die meisterlichen Improvisatoren, als welche die Italiener sich immer wieder erweisen, die Behausungen der Wettkämpfer wohnlich gemacht. Der Schutt ist fortgeräumt, die Wege sind geebnet, bunt blühende Beete sind entstanden. Die seit Monaten prächtig strahlende Sonne erhöht heute den gastlichen Eindruck, und die abkühlenden Nächte versprechen Erquickung und Ruhe.

Ja, der umsichtige Generalsekretär des Organisationskomitees ist gewiß, daß die im Dorf bequeme Unterkunft findenden mehr als 8000 Wettkämpfer aus den nunmehr auf etwa 8 5 angewachsenen Teilnehmernationen restlos zufrieden sein werden. Seine und seiner Mitarbeiter Aufgabe kennzeichnet er wie folgt: „Wir haben die Athleten als die Elite jeglicher sportlichen Betätigung zu betrachten. Für sie ist das Beste gerade gut genug!“ Und darnach handelt er. Vier Fürsorgeregeln hat er für diese Sportelite ausgegeben, deren Betreuer an die Einhaltung streng gebunden sind; sie lauten, auf die kürzeste Formel gebracht: „Gut wohnen — gut essen — gutes Training — gut ruhenl“

Schon die vorbereitenden Arbeiten trugen diesen elementaren Bedürfnissen Rechnung. Die Wohnungen sind solide gebaut und werden später italienischen Behördenangestellten zugewiesen werden. Sie sind geräumig und beherbergen mit ihren mehr als achttausend Zimmern die Sportler. Auf Wunsch können sie von ein bis drei Insassen belegt werden. Die Ausstattung ist geschmackvoll und solide. Über die notwendige Länge und Beschaffenheit der Betten bzw. der Matratzen hat es erregte Debatten gegeben. Es herrschte eine gewisse Ratlosigkeit. Aber alle Zweifel wurden durch mühsame Rückfragen bei den Olympischen Komitees der Teilnehmerstaaten behoben. Vielfältige Antworten trafen ein. Hier sind einige: Die Engländer verlangen durchweg Betten von zwei Meter Länge, die Holländer gar von 2,10 Meter. Die Nordamerikaner ziehen in jedem Fall lange Betten vor, davon die Hälfte mit harten, die andere Hälfte mit weichen Matratzen; 35 müssen „extra lang“ sein, von 1,90 bis mehr als zwei Meter. Insgesamt scheinen die langen Betten mit harten Matratzen zu überwiegen. Nur Irland besteht auf weichen Matratzen, „aus Gummi oder mit Spiralfederung“ .

Das für das Wohlbefinden der Sportler besonders wichtige Essen wird von geschulten und bewährten Köchen der italienischen Speisewagengesellschaft und in zehn, nur den aktiven Teilnehmern zugänglichen Gaststätten serviert werden. Bei der Erörterung der für die Sportler bekömmlichen Speisen ist die Frage der richtigen Ernährung aufgetaucht, wobei sogar der überholte Begriff einer ärztlich genau dosierten Sportdiätetik geltend gemacht wurde. Diese Anregung scheint sich nicht durchgesetzt zu haben. Die Sportler sollen — stets mit Maß — essen, trinken und rauchen, ohne an bestimmte Vorschriften gebunden zu sein.

Auch das Trainieren soll mit Maß und Ziel betrieben werden. Denn der Erfolg der sportlichen Leistung hängt nach dem Urteil der Sportärzte nicht so sehr von den Übungen der letzten Stunden ab als vielmehr vom kontinuierlichen und intensiven Training in der vorangegangenen Zeit,, In einem, Bericht der englischen Sportärzte aus Torquay heißt es sogar, daß die in den letzten 30 Jahren erzielten Spitzenleistungen fast ausschließlich dem systematischen, auf lange Zeiträume verteilten Training zu verdanken seien und daß diese Leistungen heute kaum mehr überboten werden könnten

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