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DAS ENDE DER FILMKRISE

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Dar Schreckensgespenstbegriff einer „Filmkrise” ist kaum weniger alt als der des Films selbst. Artikel, Broschüren und Buchpublikationen, die in irgendeinem Zusammenhang mit dem Film das Schlagwort der „Krise”‘ gebrauchen — sei dies in künstlerischen, kommerziellem oder moralischen Belangen —, können wir bis zur Wende des 19. zum 20. Jahrhundert aufstöbern und zurückverfolgen, mit welcher Feststellung der für die folgenden Betrachtungen unwesentliche Komplex abgeschlossen sei. Was allein hier zur Debatte stehen soll, ist der Versuch einer Analyse der gegenwärtigen „Filmkrise”, jenes Alarmrufes, der fast täglich in irgendeiner Form zu vernehmen ist (auch zu einer „Kinokrise” variiert — was jedoch die wahren Ursachen nur ebenso teilweise erfaßt) und weitaus umfassendere Kreise und Sektoren umschließt,, als dies jeweils einseitig von einer bestimmten Warte aus betrachtet, beurteilt werden will. Zieht man alle Faktoren, die sich zu dieser sogenannten „Filmkrise” vereinigen, in Betracht, entdeckt man letztlich in diesem Komplex genau die gleichen Elemente, auf Grund derer heute in immer steigenderem Maße von einer „Kulturkrise” gesprochen wird — und die Krise der kinematographischen Industrie (der Film ist nun einmal die höchste Stufe einer künstlerischen Industrie, da er eine gewaltige technische Apparatur zur Manifestation einer künstlerischen Impression aufwendet — wofür vergleichsweise der Begriff „Buchindustrie” benützbar erscheint) ist in der Kulturkrise fest verwurzelt.

Es ist hier nicht beabsichtigt, die Filmkrise im allgemeinen zu untersuchen, wobei in erster Linie — international gesehen — die Tätigkeit der Produktionen gemeint sein kann. Warum und wieso das künstlerische Niveau der Filme — nun keineswegs „qualitativ” niedriger als früher, dieser Schluß ist vollkommen falsch — quantitativ geringer (prozentual gesehen im Verhältnis zur Gesamtproduktion, die gegenüber der vor etwa 30 Jahren stark gestiegen ist) erscheint als vor zwei oder drei Dezennien, wäre Objekt einer anderen Studie als dieser; uns kann letztlich nur die Situation im eigenen Land interessieren (wenn sie auch gewisse Ähnlichkeiten mit der in der deutschen Bundesrepublik aufweist, die aber dank ihres achtfachen Bevölkerungspotentials und ihrer modern aufgeschlossenen Mentalität weitaus elastischer „überwunden” wird) — die dann auch auf dem Gebiet des Films wesentlich trostloser erscheint als in jedem anderen nur denkbaren Land, das sich selbst als „Kulturnation” rühmt. In Amerika wurde bisher jede große Filmkrise, deren letzte zweifellos eindeutig in der Konkurrenz durch die Television ursächlich begründet war, behoben, die gegenwärtige ist es auch bereits in dem Maß, daß wieder Kinos eröffnet, anstatt geschlossen werden — selbst wenn diese ganz anders aus- sehen, als wir es gewohnt sind beziehungsweise überhaupt für uns vorstellbar sind. Frankreich selbst kannte nur eine .künstlerische” Krise (als deren Gegenpol die „nouvelle vague” auftrat, die — wie ein Hecht im Karpfenteich — für eine gewisse Änderung der Verhältnisse sorgte, zumindest der Erstarrung ein beunruhigendes Element gegenüberstellte), Italien kaum diese und schon gar keine „Kinokrise”, ein Wort, das dank der niedrigen Eintrittspreise trotz der üblichen Unbequemlichkeit der Lichtspieltheater auf Grund der schaufreudigen Mentalität unseres südlichen Nachbarlandes dort unbekannt geblieben ist… Jeder dieser Umstände ließe eich bei uns leicht in sein Gegenteil verkehren …

Zuerst einige Vergleichazahlen: 1956 wurden 37 österreichische Filme produziert und 116 Millionen Kinobesucher in Österreich gezählt, 1966 produzierte man hier 18 Filme (davon neun ausländische Coproduktionen), und die Gesamtbesucherzahl des Jahres erstreckte sich auf 63 Millionen. Dafür sind in diesem Land mit nicht ganz sieben Millionen Einwohnern rund eine Million Fernsehteilnehmer angemeldet… Österreichs Filmproduktion ist tot — auch wenn dies hart klingt, aber es ist ohne jede Beschönigung nichts als die Wahrheit und die reine Wahrheit, durch Fakten belegbar. Die letzte österreichische Filmhoffnung, eine Curt-Götz-Adaptie- rurng, erwies sich tatsächlich als „das Letzte”1 und ist somit zu begraben — und was sonst hier noch, meist im dunkeln, entsteht, sind künstlerisch verachtenswerte Spekulationen auf dem gängigen Sex- und Geheimagentenmarkt, gewöhnlich in Zusammenarbeit mit einer ausländischen Firma in Arbeit und auf das deutsche Absatzgebiet abgestimmt, wo noch immer derb-muntere „Wirtinnen” und diverse „Heuböden” eine unbegreifliche Zugkraft ausüben. (Der „Mozart”-FiIm, auf den man hierorts so stolz zu sein pflegt, ist in Wahrheit eine deutsche Fernsehauftragsproduktion und wurde auch vor seiner Welturaufführung in der Londoner Royal Festival Hall bereits im Deutschen Fernsehen welturaufgeführt!)

Um diese Tatsachen ein wenig zu bemänteln, wird gelegentlich von einer Filmförderung gesprochen, zumindest wird eine solche gefordert. In der Praxis sieht dies so aus, daß einige Subventionen vergebende Ämter ihren parteigetreuen Günstlingen (worunter dann kaum wirklich Befähigte zu finden sind, die vergeblich um Unterstützungen ihrer Projekte betteln) ermöglichen, absurde „avantgardistische” Monstrositäten oder konventionell-biedere Fremdenverkehrsfilmehen zum höheren Ruhme der Mäzene herzustellen. Oder, um nicht „altmodisch” zu erscheinen, lassen sich gelegentlich einige .Arrivierte” herab, angebliche „Jungfilmer” einer Öffentlichkeit vorzustellen, die ohnedies kaum für künstlerisch etwas anspruchsvolle kommerziell gezeigte Filmwerke Interesse aufweist — diese Veranstaltungen, von denen niemand (außer jeweils einer in irgendeiner Hinsicht „verpflichteten” Zeitung) Notiz nimmt, sind sicher sehr „schick”, aber sehr sinnlos, da nach solchen Mißerfolgen der Mäzen schnell vergißt, mehr für seine Protėgės zu tun… Über eine sogenannte, bei Österreichs tristen Filmverhältnissen ja so notwendige „Filmakademie” sei der barmherzige Mantel des Schweigens gebreitet — obwohl die alljährlich dann in die „rauhe Wirklichkeit” entlassenen Absolventen tatsächlich irgendeine Barmherzigkeit in Anspruch zu nehmen gezwungen sind. Doch ist es wenigstens beruhigend zu wissen, daß für einige „vom Film berührte Persönlichkeiten” die Zukunft gesichert ist — und sei es nur als Lehrkraft in dieser Akademie!

Wenn auch Österreichs Filmproduktaon praktisch gestorben ist, kann man dies glücklicherweise von. den „Film- Zwischenhändlern”, den Filmverleihern, nicht vermelden — zumindest soweit es diese verstanden haben, ihre kulturför- dernden Intentionen zugunsten eines modernen Geschäftsgeistes zurückzustellen. „Film ist Ware” — in diesem Sinne wie Gebrauchsgegenstände, Kosmetikmittel oder alkoholische Erzeugnisse gemeint — ist das Motto, das in klugen, merkantil denkenden Managerhirnen jedem „Rebellen” entgegengehalten wird, der die abwegige Idee besitzt, ein Massen- kommunikationsmittel hätte auch gewisse kulturelle Verpflichtungen. Und diese Erkenntnis läßt sich auch sofort dadurch (triumphal) belegen, daß zum Beispiel „Scarletto — Schloß des Blutes” bereits wesentlich höhere Einnahmen gebracht hat als „Julia und die Geister” usw… Gewisse SS- Fiilme (was nichts mit dem Nationalsozialismus zu tun hat, sondern eine Abkürzung für das augenblicklich gängigste Filmklischėe, nämlich „Sex und Sadismus”, bedeutet) sorgen dann schon dafür, daß in der — möglichst verleiheigenen — Lichtspieltheater-Uraufführungskette die Kasse stimmt, seihst wenn sich einmal notgedrungen ein von der Produktion oder dem deutschen Großverleiher aufgezwungener „künstlerischer” Film dorthin verirrt haben sollte. In einem solchen peinlichen Falle wird entweder die Versicherung eines Filmprädikates (was Steuerbegünstigung verschafft) in Anspruch genommen oder die Hilfe der Filmkritik (die sehr oft Urteils- und daher für sich hilflos ist)… Was das Verhältnis von Verleih zur Filmkritik betrifft, kann man nur Gunter Groll, einen der bedeutendsten deutschen Filmkritiker, zitieren, der schrieb: „Wird ein Film von der Kritik angegriffen und ist er außerdem kein Publikumserfolg, so heißt es: Da sieht man’s — der geschäftsschädigende Einfluß der Filmkritik ist enorm! Wird aber ein Film von der Kritik angegriffen und ist er trotzdem ein Publikumserfolg, so heißt es: Da sieht man’s — der Einfluß der ohnehin sinnlosen Filmkritik i®t minimal!” („Magie des Films.”)

Doch erübrigt es sddh bereits, von einer „Filmknitik” in Wien zu sprechen, da der für solche Zwecke in den Zeitungen zur Verfügung gestellte Platz im Zuge der Modernisierung des öslerreichitschen Pressewesens (die „Anpassung an moderne Berichterstattung”!) immer geringer und die Filmkritik ohnedies nur mehr so „nebenbei”, neben der Theater- und Konzentkriitik, eventuell neben einer „Tierecke”, praktiziert, im Notfall auch von irgendeinem Redakitionsimt- glied, das gerade zur Verfügung steht, verfaßt wird. Und di spärlichen sonstigen Zeitungsfllmseiten haben sich ja ganz auf puren Tratsch und Klatsch, auf das Abschreiben von Verleih-Reklameratschlägen beschränkt, was unbedingt viel einfacher und billiger kommt, aber nicht ebenso unbedingt gerade das ist, was der Leser wissen will (eher, was der Chefredakteur glaubt, daß der Leser wissen will!)…

Unbedingten Sinn aber für „Reklame” besitzt jeder Verleih, zumindest was absonderliche „Giala-Nacihitpremie- ren” (mit Strip-teaise-Darbiatungen, in MimibekMdung oder in Zukunft vielleicht sogar einmal „ganz ohne”) oder Verlosungen von uralten Autos und ähnlicher genialer moderner Werbegags betrifft; immerhin wird für Großfilme, die bereits in aller Munde sind, viel Geld ausgegeben — für die „künstlerischen”, die eben gefördert werden müßten, ist dann keines da, manchmal nicht einmal ein Pressephoto. Aber dafür gibt es ja ein warnendes Beispiel: Deutschlands unglücklicher „Atlas”-Fdlmverleih (zu seinen Lebzeiten mit Neid und Anerkennung von den anderen Verleihern gerühmt und heimlich kopiert, nach seinem Zusammenbruch aber von allen ehemaligen „Freunden” mit Schimpf und Schande bedacht), der hohe künstlerische Ziele hatte und sehr viel Geld in sinnvolle, gescheite und geschmackvolle Werbung steckte … Alle, die ihm jetzt vorwerfen, eben diese Intentionen hätten zum Ruin des Verleihs geführt, und dies immer wieder triumphierend anführen und jedem Argument entgegenhalten, übertünchen damit nur ihr eigenes schlechtes Gewissen: Sie wissen alle genau, daß die „Atlas”-Methoden richtig waren und nur der Größenwahn falscher Berater und die heimlichen Intrigen nicht so erfolgreicher Konkurrenten den Untergang dieser rühmenswerten Verleiherausnahme nach sich zog! Zweifellos ist für den Verleih der Film eine Art „Ware” —doch auch sie läßt sich mit Geschmack und Methoden, die von einer gewissen Bildung und kulturellem Ver- pftichtungsgefüthl zeugen, an den Mann bringen… Doch nicht in Österreich!

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