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Das Ende der Krise?

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Für die Sozialistische Partei Österreichs ging am 1. Februar 1967 eine zehnjährige Ära zu Ende. Es war eine Ära, die mit dem Beschluß eines neuen, von Optimismus getragenen Parteiprogramms und dem Wahlerfolg des Jahres 1959 begonnen, die mit dem Mißerfolg vom November 1962 und der Planung einer kleinen Koalition ihren Wendepunkt erlebt und die mit dem Ausscheiden der SPÖ aus der Regierung im Anschluß an die Niederlage vom 6. März 1966 ihren Tiefpunkt erreicht hatte. Die SPÖ war zu neuen Ufern aufgebrochen und hatte diese nicht erreicht. Eine großangelegte Strategie blieb im Gestrüpp tages-politischen Taktierens hängen, die Glaubwürdigkeit wurde im Pendeln zwischen einer Dogmatisierung der großen und einer Propagierung der kleinen Koalition verloren.

Die führenden Funktionäre des österreichischen Sozialismus zeichneten sich in 'der Vergangenheit immer durch eine besondere Eigenschaft aus: sie reduzierten niemals die Politik auf das gewiß notwendige „Handwerkliche“, auf Einzelprobleme, auf kurzfristige Taktik. Ein Viktor Adler, ein Otto Bauer, ein Karl Renner, ein Adolf Schärf — sie alle waren immer bemüht, den Standort des demokratischen Sozialismus neu zu überdenken und neu zu definieren; sie alle versuchten immer wieder, durch die Fülle des Alltäglichen die großen gesellschaftlichen Veränderungen zu erkennen und in den Griff zu bekommen.

Der neue Vorsitzende der SPÖ heißt Bruno Kreisky. Von ihm wird man erwarten können, daß er diese Linie wieder aufnimmt und weiterführt. Von Bruno Kreisky darf man erhoffen, daß er dort fortsetzt, wo seine Partei bald nach dem Programm des Jahres 1958 in ihrer Entwicklung steckenblieb. Bruno Kreisky ist bekannt und angesehen als kluger Redner, als erfahrener Diplomat, als erfolgreicher Parlamentarier. Jetzt muß er sich als Parteiführer bewähren, als ein Vorsitzender, der seiner Partei Profil und Richtung zu geben hat.

Für die SPÖ könnte der Parteitag der Beginn einer neuen Aufwärtsentwicklung sein. Es wäre natürlich eine Illusion, zu glauben, die Krise der SPÖ wäre mit einem Schlag beendet. Aber die Mehrheit der Delegierten in der Wiener Stadthalle hat bewiesen, daß sie den von einigen sozialistischen Politikern propagierten Selbstbetrug nicht mitzumachen gedenkt — den Selbstbetrug, der die ganze Schuld am Abstieg der Partei dem polltischen Gegner zuschieben will, der für alles die Regierungspartei verantwortlich macht und ein Eigenjverschulden der Partei, der Parteispitze, höchstens in einer mangelnden ideologischen Konsequenz sieht. Nicht in einer der SPÖ prinzipiell feindlichen Umwelt äst die Ursache für die Krise der Partei zu finden, sondern in der Partei selbst. Daß die Mehrheit der österreichischen Sozialisten sich dieser Einsicht nicht verschlossen hat, daß sie sich nicht in eine eigenbrötlerische Wehleidigkeit geflüchtet hat, das könnte der Anfang vom Ende der Krise sein. Die Lösung der personellen Frage war der erste Schritt zu einer Neubesinnung.

Ein nächster Schritt müßte eine großzügige Öffnung sein. Niemand darf von der SPÖ eine Öffnung verlangen, die der Partei das genuin sozialistische Ideengut nehmen würde. Im Gegenteil, die österreichischen Sozialisten sollen ihre eigentlichen, grundlegenden gesellschaftspolitischen Ziele nicht aufgeben, sondern sich mehr denn je auf diese Leitbilder besinnen — eine zeitgemäße Akzentuierung des Prinzips der Gleichheit, eine evoiutio-näre Abschleifung der Klassengegensätze, ein weiterer Ausbau der Demokratie. Öffnung darf nicht „totale Desintegration“ (Czernetz) sein, Öffnung muß das Ende der Lagermentalität bringen, die die österreichische Politik in grob vereinfachender Weise als Auseinandersetzung schroff voneinander abgegrenzter, feindlicher Heerlager sieht. Öffnung bedeutet den Versuch, in demokratischem Wettbewerb mit der Regierungspartei neue Wählersohichten zu gewinnen. Öffnung heißt endgültig Abschied vom unhaltbaren, letztlich undemokratischen Freund-Feind-Schema zu nehmen.

Der Abschied von einer Mentalität, die sich aus der Bürgerkriegsstimmung der Ersten Republik herleitet, würde es den österreichischen Sozialisten leichter machen, überzeugender als bisher ihre gegenwärtige Oppositionsrol'le auszufüllen. Weder durch eine Ideologisierung der gegenwärtigen Oppositionsfunktion noch durch ein bedingungsloses „Zurück in den Schoß der großen Koalition“ wird die SPÖ eine echte Alternative zur Regierungspartei. Was im Interesse beider Großparteien liegt, ist eine demokratische Konkurrenz, ist das Hinauflizitieren im Bereich der Leistungen für Österreich. Ein solcher Leistungswettbewerb muß auch die oft beschworene Zusammenarbeit jenseits der Koalition beinhalten.

Von einer SPÖ unter dem Vorsitz Bruno Kreiskys ist auch zu erwarten, daß die Opposition nicht nur ihre eigene Funktion genauer als bisher definiert, sondern darüber hinaus ein staatspolitisches Konzept erarbeitet. Es ist einer der Hauptfehler unserer Demokratie, daß die Parteien, die entscheidenden Zwischen-instanzen zwischen dem Souverän, dem Volk und den Spitzen des Staates, zuwenig Einsicht und Mut für den Entwurf langfristiger Konzepte und ideal/typischer Modelle aufbringen.

Auf Bruno Kreisky wartet eine Fülle von Aufgaben. Daß er diese bewältigt, daß sein Mut zu neuen Wegen und auch zu neuen Zielen dem österreichischen Sozialismus neue Impulse gibt, daran müssen alle Demokraten interessiert sein. Denn die SPÖ ist ein Stück österreichischer Demokratie.

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