Sansibar - © Fotos: Günter Spreitzhofer

Das Ende der Party?

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Sansibar gilt als das Paradies für westliche Urlauber. Doch der Tourismus hat nur wenigen Glück gebracht. Ein Großteil der Bevölkerung lebt in bitterer Armut und hadert mit der westlichen Kultur – und Freddie Mercury.

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Sansibar gilt als das Paradies für westliche Urlauber. Doch der Tourismus hat nur wenigen Glück gebracht. Ein Großteil der Bevölkerung lebt in bitterer Armut und hadert mit der westlichen Kultur – und Freddie Mercury.

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Im Nationalmuseum der Hauptstadt von Sansibar, Zanzibar City, gleich neben der „Aga Khan Foun dation“ im alten Hospital, hängen dunkle Ölbilder von Kaiser Franz Joseph und einer sehr jungen Sissy: Zeugen verjährter Freundschaften und Bündnisse im alten Ostafrika, wo Sklavenhandel bis 1907 zum Geschäft gehörte und niemand sich daran stieß. Die blutige Revolution von 1964 brachte zwar die arabische Elite um Hab und Gut und verhalf dem „afrikanischen Sozialismus“ zur Hochblüte, doch viel mehr als graffitibeschmierte Plattenbauten rund um den orientalischen Stadtkern von „Stonetown“, dem historischen Zentrum der Stadt, ist nicht geblieben. Diese „Steinstadt“, ein dunkel-morbides Labyrinth enger Gässchen, ist seit 2000 UNESCO-Weltkulturerbe und könnte diesen Status bald wieder verlieren.

Dutzende Souvenirshops ringen um die Touristen, die sich über Tausendundeinen Irrweg zum Nachtmarkt an der Promenade durchkämpfen, vorbei an Scharen von Keilern für billige Gästezimmer, Gewürztouren und angebliche Massai-Bilder, die alle gleich aussehen. Derzeit sind es wieder etwa 300.000 Urlauber jährlich, die den früheren arabischen Handelsknoten zum Zugpferd des tansanischen Tourismus machen und einen Bauboom mit Folgen auslösen: Das neue Luxushotel Park Hyatt am Rand der Altstadt etwa zerstört die denkmalgeschützte Skyline, sogar ein teilweiser Rückbau des Hauses wird gefordert. Bröckelnder Zauber Der bröckelnde Charme der Stadt ist die größere Bedrohung und kein Zufall. Die urbane Verwahrlosung ist ein Erbe der sozialistischen Epoche, als Erinnerungen an den Sultan von Sansibar rasch verschwinden sollten. Abdul Sheriff, früherer Direktor des Nationalmuseums und emeritierter Professor für Geschichte, ist jedenfalls skeptisch zum Erhalt des UNESCO-Status: „85 Prozent der Altstadt sind unwiederbringlich verloren.“

So ist ausgerechnet eines der Wahrzeichen, das majestätische Haus der Wunder, bis auf Weiteres geschlossen – wegen akuter Einsturzgefahr: Der frühere Sultanspalast aus dem Jahr 1883, das erste Gebäude mit Elektrizität südlich der Sahara und Symbol des frühen Fortschritts, wurde zum Mahnmal des Niedergangs. Die Märcheninsel kränkelt, trotz internationaler Unterstützung. Landeskenner wie Erich F. Meffert, ein renommierter Architekt und ehemaliger deutscher Honorarkonsul, benennen die tieferen Ursachen für die Misere Sansibars: „Ignoranz, Arroganz, Inkompetenz und Korruption sind fleißig am Werke, das architektonische Erbe Sansibars zu unterminieren und am Ende zu zerstören.“ Seit zwei Jahrzehnten ist Tourismus die Haupteinnahmequelle der Insel, ein pittoresker Mix aus Palmen, Meer und arabischem Flair. Investoren aus aller Welt, vor allem Italien, waren flugs zur Stelle, rasch waren die attraktiven Grundstücke am Meer in der Hand einiger großer Konsortien, sodass selbst für die Bewohner Sansibars der Zugang zur See schwierig wurde.

Das Durchschnittseinkommen liegt weiterhin unter einem US-Dollar pro Tag, über die Hälfte der Bevölkerung lebt unterhalb der Armutsgrenze, die mittlere Lebenserwartung beträgt 54 Jahre. Man schätzt, dass etwa zwölf Prozent der Kinder unter akuter Mangelernährung leiden. Von den Scampi-Wraps in Beachclubs wie Upendo und Season’s Lodge können sie nur träumen. Laut Action Aid, einer international agierenden NGO mit Zentrale in Südafrika, nützt der Tourismus nur ausländischen Investoren und einer Handvoll Einheimischer – die Kluft zwischen Arm und Reich sei seither weiter gestiegen, vor allem in Enklaven westlicher Lebensweise, mit Kite-Surfing und Tauchen inmitten armseliger Fischerdörfchen wie Jambiani, Paje und Michamvi, drüben an den Stränden der Ostküste.

Negative Grundstimmung

Einige Investoren mögen Schulen und Apotheken in den Dörfern rundum finanziert haben, die negative Grundstimmung jedoch blieb: Die Bauern und die Fischer konnten ihre Produkte zu höheren Preisen als bisher verkaufen, was für Unmut unter allen anderen sorgte, die die neuen Preise genauso berappen mussten.

Dass mehr und mehr auswärtige Saisonarbeitskräfte in das junge, touristische Wunderland strömten, behagte auch nicht jedermann – Gruppen rotgewandeter Massai vom Festland, die einen Lebensunterhalt als touristische Fotomodelle und Wächter von Resorthotels dem Hirtenleben in den Steppen Ostafrikas vorziehen, sind hier ebenso exotische Fremdkörper wie knapp bekleidete Italienerinnen. „Bitte an Stadtstränden nicht sonnenbaden“, mahnen zahlreiche Gästehäuser in Aushängen an den Rezeptionen in „Stonetown“ ein, aus Rücksicht auf Gläubige. Sansibar ist eine Männergesellschaft. 98 Prozent der Bevölkerung sind muslimisch und mit der vergleichsweise liberalen Regierungslinie des großen Bruders Tanganjika (Festland-Tansania) nicht immer ein
verstanden.

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