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Das etwas andere Parlament

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Mehr als 100 Parteien teilen sich auf acht Fraktionen auf. Die Hälfte davon ist in Osterreich weitgehend unbekannt.

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Mehr als 100 Parteien teilen sich auf acht Fraktionen auf. Die Hälfte davon ist in Osterreich weitgehend unbekannt.

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Die Wahlkämpfer sind längst in die Zielgerade eingelaufen, in wenigen Tagen ist der Zauber vorbei. In Wien beginnt dann die Prozedur der Bildung einer Stadtregierung. Auf europäischer Ebene werden für Österreich erstmals gewählte Mandatare die Beise nach Straßburg antreten und sich in ihre dortigen jeweiligen Fraktionen integrieren. Über ebendiese Fraktionen war jedoch bislang nicht allzuviel zu hören. Interessierte haben vermutlich mitbekommen, daß es im Europaparlament acht Fraktionen (und eine Gruppe von Fraktionslosen) gibt, die sich aus Vertretern von über 100 nationalstaatlichen Parteien zusammensetzen (siehe Graphik). Doch wer sich hinter den Kürzeln der Straßburger Fraktionen verbirgt, dürfte weitgehend unbekannt sein.

Das könnte im Falle Österreichs damit zusammenhängen, daß bezüglich unserer EP-Kandidaten die Sache relativ klar ist: für vier der fünf österreichischen Parlamentsparteien gibt es eindeutige Entsprechungen auf EU-Ebene. Die von der SPÖ aufgestellten Männer und Frauen rund um Hannes Swoboda gehören nach ihrer Wahl zur Sozialdemokratischen Partei Europas (SPE), die von Ursula Stenzel und Karl Habsburg angeführte VP-Biege wird die Europäische Volkspartei (EVP) verstärken; die Grünen heißen auch in Straßburg schlicht „Die Grünen”, und die Liberalen dürfen sich als Euro-Parlamentarier noch mit den Attributen „Demokraten & Reformer” schmücken.

Daß die FPÖ in keiner der acht Fraktionen Unterschlupf gefunden hat, wurde von den politischen Gegnern bereits weidlich ausgeschlachtet: fraktionslos heiße einflußlos, hämmerten die anderen. Demgegenüber versuchte die FP aus der Not eine Tugend zu machen und ihren Status als besondere Unabhängigkeit vom (formal jedenfalls nicht gegebenen) Fraktionszwang auszugeben. Tatsache ist indes, daß entgegen ihren eigenen Behauptungen die Freiheitlichen sehr wohl mehrmals versucht haben, bei bestimmten Fraktionen anzudocken - ganz so überzeugt dürften sie also doch nicht von den Vorteilen der „Un-gebundenheit” sein.

Die Fraktionslosen (FL) stellen mit 31 Abgeordneten die sechstgrößte Fraktion - sie sind also größer als etwa die Grünen. Die Gesellschaft, in der sich Haiders Leute befinden, ist allerdings nicht die feinste: der französische und der belgische rechtsextreme „Front National”, der gleichgesinnte „Vlaams Blok” aus Belgien, ein Vertreter der italienischen Altfaschisten und der fanatisch-radikale Protestantenpastor Ian Paisley von der nordirischen DUP (Democratic Unionist Party) sind gewiß nicht in einen Topf mit der FPÖ zu werfen. Am ehesten liegen die ebenfalls den FL zuzählenden Mandatare der italienischen „Al-leanza Nazionale” auf einer Linie mit den F: deutlich rechts stehend, aber nicht extremistisch und damit auf demokratischem Boden.

Bei den Grünen ist vor allem interessant, daß fast die Hälfte ihrer Fraktion von Deutschen gestellt wird, die in nicht wenigen Punkten eine zu Johannes Voggenhubers Anschauungen diametral entgegengesetzte Position einnehmen, wie zuletzt in einem „Standard”-Streitgespräch zwischen Voggenhuber und Daniel Cohn-Ben-dit nachzulesen war. Daß die italienische Lega Nord just bei den Euro-Liberalen Unterschlupf gefunden hat, ist ein Indiz dafür, daß auch auf Europa-Ebene - nicht nur in Österreich

- Liberalismus als Programm nicht wirklich abendfüllend ist.

Doch neben den vier von Österreichern beschickten Gruppierungen gibt es noch vier weitere, zum Teil nicht unbedeutende, Fraktionen im EP. So ist die Union für Europa (UFE) bereits die drittgrößte Gruppe

- wenngleich mit 54 Mandataren in deutlichem Respektabstand zu den 173 EVP-lern. Unter der nichtssagenden Rezeichnung versammeln sich immerhin so einflußreiche Parteien wie die in Frankreich regierenden Neogaullisten (RPR) oder die Forza Italia des Medienzaren Silvio Rerlusconi.

Noch vor den Grünen Cohn-Ben-dits und Voggenhubers (27 Abgeordnete) liegen die Vereinigten Europäischen Linken (VEL) mit 33 Mandataren. Wie bei den weit rechts angesiedelten Parteien sind auch hier, im tiefroten Spektrum, die Franzosen mit ihrer kommunistischen Partei stark vertreten. Ebenfalls bei den VEL beheimatet: die wiedererstandenen italienischen Genossen von der Bi-fondazione comunista. Im Mutterland ist die Mitte-Links-Begierung immerhin auf deren Unterstützung angewiesen.

Mit jeweils 13 Mandataren haben die Franzosen in den beiden Klein-parteien, der Badikalen Europäischen Allianz (BEA; 20 Abgeordnete) und der Fraktion Europa der Nationen

(EDN; 19 Abgeordnete) eindeutig das Sagen. Bei der BEA sticht als prominente Vertreterin die frühere Europa-rats-Generalsekretärin Catherine Lalumiere hervor.

Bei der EDN ist der Name zugleich das Programm. Die größte nationale Partei innerhalb der EDN heißt schlicht „L'autre Europe” - das andere Europa.

Den Wunsch nach einem anderen Europa teilen freilich viele - Abgeordnete aller Parteien, vor allem aber zahllose EU-Bürger und Bürgerinnen. Ob die Österreicher ihren EP-Kandidaten zutrauen, an einer wie immer gearteten Veränderung mitzuwirken, wird auch die Wahlbeteiligung am kommenden Sonntag zeigen.

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