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Die europäische Integration kommt wie ein Sturmwind, jubeln die Polen nach dem erfolgreichen Referendum. Nicht zu wenige hat dieser Sturm aber umgeworfen. Ihnen aufzuhelfen, ist auch EU-Pflicht.

Noch ist Polen nicht verloren...", die erste Strophe der polnischen Nationalhymne darf auch nach dem erfolgreichen Ausgang des EU-Referendums vom Pfingstwochenende nicht umgeschrieben werden. 75 Prozent Zustimmung bei 57 Prozent Wahlbeteiligung bedeuten nicht, dass Skepsis und die bittere Ironie vieler Jahre, die diesen Liedtext so stimmig machen, überholt sind. Der Jubel darüber, dass "Polen nach Europa zurückkehrt", ist berechtigt. Trotzdem, Polen ist mit diesem Referendum noch nicht gewonnen, so wie alle Beitrittsländer, "der Osten" und die EU selbst noch nicht gewonnen sind.

"Die Idee der europäischen Integration kommt wie ein Sturmwind", zeigte sich der polnische Ministerpräsident Leszek Miller nach dem erfolgreichen Referendum im Nachbarland Litauen vor einem Monat hoffnungsfroh. Um diesem Sturm mehr Kraft zu geben, legte das katholische Polen den Abstimmungstermin just auf Pfingsten. Nicht nur dem Papst wird dieses symbolträchtige Datum gefallen haben. Und das europäische Brausen geht weiter. Freitag und Samstag dieser Woche stimmt Tschechien über den Beitritt ab, und nach der Sommerpause sollen Estland, Lettland und Zypern das Zehner-Paket der Neuen abschließen.

Europäischer Staffellauf

"Wir helfen einander, wir treiben uns gegenseitig voran", erklärt ein Nachbar Polens, der litauische Regierungschef Algirdas Brazauskas, den stimulierenden Effekt positiver Abstimmungen. Ein europäischer Staffellauf, ein umgekehrter Dominoeffekt, der den Nachbarn nicht umwirft, sondern aufrichtet. "Warum dann das große Zittern in jedem Beitrittsland vor einem möglichen Scheitern des Referendums?" fragte die Furche den litauischen Premier bei einem Gespräch in Vilnius. Wobei ja nicht das Nein am Stimmzettel, sondern die leer bleibende Wahlzelle das wirkliche Hindernis für ein reibungsloses Erweiterungs-Szenario darstellt. Zuwenig Information, zuwenig Werbung - Brazauskas' Antwort geht in diese Richtung - können das massenweise Fernbleiben von der Abstimmung jedenfalls nicht ausreichend erklären. Die EU-Werbung ist in allen Beitrittsländern enorm und weckt bei manchen sogar die Erinnerung an die Propagandamaschinerie vor kommunistischen Parteitagen.

Der litauische Essayist Vaidas Seferis vergleicht die "Eurobusse", die durch Städte und Dörfer reisen und den Nutzen der Union erklären, mit den fahrenden Provinzkinos von früher: "Die Obrigkeit sparte nicht an der ideologischen Bildung, und die Bauern konnten sich Sowjetfilme ansehen bis zum Überdruss." Seferis fragt, wieviele Busse unterwegs sein müssten, um seinen Großeltern Begriffe wie "Freizügigkeit des Kapitals" und "gemeinsamer Markt" nahe zu bringen. Der Litauer kritisiert die "erschlagende Menge an Abstraktionen" in der EU-Rhetorik, diese "magischen Formeln", die vor allem die ältere Generation ratlos zurücklassen.

Kluft zwischen Alt und Jung

Das mag mit ein Grund sein für die in den Beitrittsländern allerorten beklagte Kluft zwischen Alt und Jung, Land und Stadt. Sie verstehen einander nicht mehr. Jung und Stadt haben in die EU-Sprache gewechselt, während Alt und Land nach wie vor ihrer alten Begrifflichkeit verhaftet sind. Und Populisten wie der radikale polnische Bauernführer Andrzej Lepper tragen ihren Teil dazu bei, dass diese Sprachverwirrung bleibt.

Es ist aber nicht nur ein Sprachproblem, das die Leute von den EU-Abstimmungen fernhält, es ist auch ein Autoritätsproblem. Armee, Kirche und Medien rangieren im Vertrauen der Osteuropäer ganz oben, Politiker hingegen sind unter ferner liefen zu finden. Das Misstrauen gegenüber den Interessenvertretern bringt auch die Union in Misskredit - und jede Möglichkeit den Politikern einen Denkzettel zu verpassen, wird gerne genutzt.

Hinzu kommen bei vielen patriotische Gefühle. So wenige Jahre nach der Unabhängigkeit werden alle Anzeichen, die eigene Nation könnte wieder in einem anonymen Superstaat untergehen, mit Vorsicht beäugt. Außerdem, die Beitrittsländer haben sich für die EU der 15 beworben. Jetzt kommen sie in eine zum Teil völlig anders aussehende Union der 25. Zieht man alle diese negativen Vorzeichen in Betracht und rechnet die bislang noch spärlichen positiven Effekte der EU-Annäherung dagegen, wird das große Zittern vor scheiternden Referenden verständlich - und der unmäßige Jubel, wenn es doch klappt, nachvollziehbar.

Noch ist Polen nicht verloren. Das hat das Pfingst-Referendum erneut bewiesen. Aber noch sind Polen, die anderen Beitrittsländer und die EU auch nicht gewonnen. Es ist nicht wie im Märchen, in dem es nach dem Beitritt aller beitrittswilligen und -fähigen Länder heißt: "Und von nun an lebten sie glücklich und zufrieden..." Die EU darf sich nie selbst genügen. Den Lebensstandard steigern, nachhaltige Entwicklung und Zusammenhalt förden, den Frieden sichern: Dafür gibt es die EU. Noch ist sie nicht verloren. Noch und niemals ist sie ganz gewonnen.

wolfgang.machreich@furche.at

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