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Das Geschäft wird wichtiger als die Moral

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In Tschechien wird jetzt erst einmal Geld verdient. Die Bewältigung der Vergangenheit wird später angegangen werden.

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In Tschechien wird jetzt erst einmal Geld verdient. Die Bewältigung der Vergangenheit wird später angegangen werden.

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diefurche- Namhafte osteuropäische Dissidenten, die zum. Zusammenbruch des kommunistischen Systems beigetragen haben, spielen heute — bis auf Vaclav Havel und Lech Walesa -kaum noch eine aktive Polit-Rolle. Wie ist es dazu gekommen? Karl Schwarzenberg: Es stimmt, daß es heute in politischen Funktionen weniger Dissidenten gibt. In untergeordneten Rollen gibt es jedoch ehemalige Regimegegner. Zudem ist es eine normale Entwicklung, daß Leute, die sich im Widerstand bewährt haben, nicht unbedingt auch hervorragende Wirtschafts- oder Verwaltungsfachleute sind. Denken Sie doch daran, daß wir im Nachkriegs-Westeuropa in Deutschland ode in Italien ein ähnliches Phänomen erlebt haben. Mitglieder des Widerstands haben damals auch recht schnell Politikern oder Fachleuten aus der Wirtschaft Platz gemacht. Ich glaube auch, daß nach großen Umbrüchen, wenn Diktaturen oder totalitäre Systeme abgelöst werden und dazu noch große Armut herrscht, das Geschäft wichtiger als die Moral wird.

DieFurche: Ex-Dissidenten wie Havel verkörpern einen hohen moralischen Anspruch. Kann es sein, daß der Normalbürger sich dadurch überfordert fühlt und meint, er müsse sich erst einmal im Alltag zurechtfinden und das sei schon anstrengend genug? Schwarzenberg: Zur Zeit steht in Tschechien der Wiederaufbau im Vordergrund. Das hatsich auch bei den Wahlen widergespiegelt. Jetzt herrscht hier eine Gründerzeit, eine Aufbauphase, ähnlich wie zu Beginn der 50er Jahre in Deutschland. Jetzt wird in die Hände gespuckt und Geld verdient. Bestimmt wird man zu einem späteren Zeitpunkt wieder auf dje Vergangenheitsbewältigung zurückkommen. So war es ja auch in der Bundesrepublik. Die Re-educati-on nach dem II. Weltkrieg war zunächst eine Aktion der Alliierten. Erst Ende der 50er Jahre haben die Deutschen begonnen, sich mit ihrer Vergangenheit wirklich auseinanderzusetzen. In Österreich hat dieser Prozeß überhaupt erst 15 Jahre später begonnen. Das bedeutet, daß man unmittelbar nach traumatischen Geschehnissen nichts mehr davon wissen will. Dissidenten erinnern an die Vergangenheit und erwecken oft ein schlechtes Gewissen.

diefurche: Ist Präsident Havel heute für Tschechien noch eine moralische Integrationsfigur? Schwarzenberg: Als Staatsoberhaupt muß er natürlich Rücksicht auf sein Amt nehmen. Dadurch wird er in seiner Wirkung als moralische Instanz eingeschränkt. Das bringt nun einmal dieser Posten mit sich. Havel kann zwar seine Gedanken ein- und die Leute zum Nachdenken bringen. Nur, ein einzelner Mann, dessen Wirkung durch seine politische Position eingeengt ist, kann nicht die allgemeine Grundströmung verändern.

diefurche: Muß heute die Ordnung in Ost- und Mitteleuropa neugestaltet werden?

schwarzenberg: Grundsätzlich stehe ich dem Begriff Ordnungsmacht mißtrauisch gegenüber. Gewöhnlich handelt es sich dabei mehr um einen imperialistischen Anspruch als um die Schaffung einer tatsächlichen Ordnung. Ich glaube auch ohne aggressiven Einfluß von außen werden diese Länder fähig sein, sich selbständig zu entwickeln und ihren Wohlstand aus eigener Kraft aufzubauen.

DieFurche: Wird Tschechien gerade wegen des Wunsches nach Selbständigkeit das erste erfolgreiche osteuropäische Land mit einer freien Marktwirtschaft sein? schwarzenberg: Die Marktwirtschaft hier läuft zur Zeit jedenfalls recht gut. Im Jahr 1995 ist man mit Plus-Minus-Null herausgekommen. Die Privatisierungen schreiten voran. Die Wirtschaft macht einen durchaus stabilen Eindruck, der auch schon einen bescheidenen Fortschritt zeigt. Das ist, wenn man den wesentlichen wirtschaftlichen Einschnitt der Trennung (Tschechiens von der Slowakei, Anm. d. Red.) berücksichtigt, eine beachtliche Leistung. Die West-Orientierung ist sehr erfolgreich verlaufen.

diefurche: Wie gestaltet sich das Vzrhältnis zwischen katholischer Kirche und Staat?

schwarzenberg: Zur Zeit ziemlich schwierig. Es geht dabei um die Rückerstattung des Eigentums der Kirche und der Orden. Die größte Regierungspartei ist dagegen, die kleineren Koalitionspartner sind günstiger eingestellt. Diese Diskussion hat Spannungen ausgelöst. Dabei spiegelt sich eine materialistische Einstellung wider. Auch alte Vorurteile und Polemiken kommen erneut zum Vorschein. Das geht bis zur Schlacht auf dem Weißen Berg im Dreißigjährigen Krieg zurück. Und dann war das Land von 1948 bis 1989 einer intensiven antikirchlichen Propaganda ausgesetzt. So etwas hinterläßt Spuren. Auch wenn sich eine kleine Gruppe von Christen sehr bewährt hat, ist die Zahl der Gläubigen in dieser Zeit doch wesentlich zurückgegangen.

diefurche: Ist die marxistisch-kommunistische Ideologie aus der Weltgeschichte abgetreten? schwarzenberg: Ich glaube nicht an eine Wiedererstehung der kommunistischen Herrschaft. Das ist vorbei, zweifelsohne. Jedoch meine ich, daß Elemente jeder Idee, die einmal geboren wurde, in den Köpfen der Menschen weiterlebt. So werden auch Teile von diesem totalitären Gedankengebäude weiterwirken. Die egalitäre Illusion wird immer wieder auftauchen. Je mehr Menschen unter Unrecht leiden, unter Ausbeutung und Korruption, desto mehr werden sie sich diesen Gedanken zuwenden. Auch die Vorstellungen vom antagonistischen Klassenkampf in der Geschichte werden sich noch lange halten.

Mit Fürst Karl zu Schwarzenberg sprach Felizitas von Schönborn.

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