ägypten - © Foto: EPA

Das hungrige Volk murrt gegen den Pharao

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Kein anderes Land der Welt konsumiert so viel Brot wie Ägypten. Brot, "Eesch", ist am Nil mehr als anderswo das Synonym für Leben. Der steigende Brotpreis stachelt jetzt den sozialen Ungehorsam gegen das unantastbare Regime auf.

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Kein anderes Land der Welt konsumiert so viel Brot wie Ägypten. Brot, "Eesch", ist am Nil mehr als anderswo das Synonym für Leben. Der steigende Brotpreis stachelt jetzt den sozialen Ungehorsam gegen das unantastbare Regime auf.

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Hochspannung am Nil: landesweite Proteste, schwere Unruhen mit Verletzten und Todesopfern im Textilindustrie-Zentrum Mahala al-Kubra. "Ägypten ist an einem sehr kritischen Punkt angelangt", analysiert ein Kommentator in Kairo. Eilig versucht Premier Ahmed Nazif, mit Trostpflastern empörte Textilarbeiter zu beschwichtigen: Sie erhalten einen Extra-Monatslohn, dem veralteten Stadtspital will man eine Modernisierungsspritze verpassen, von neuen regionalen Zugsverbindungen und gar von speziellen Bäckereien für die 27.000 Arbeiter in der größter Textilfabrik des Landes ist die Rede.

Proteste gegen die rasant gestiegenen Brot- und Lebensmittelpreise bei gleichbleibend niedrigen Löhnen haben die Regierung ins Mark getroffen. In Mahala, in Kairo, in Alexandria und anderen Großstädten gärt es. Selbst die halbamtliche Kairoer Tageszeitung Al Ahram gesteht: "Unser Geduldsfaden beginnt zu reißen. Die Frustration über die harten Lebensbedingungen nimmt uns den Atem."

Harmloser "Tag des Zorns"

Seit Jänner stiegen laut UN-World-Food-Programme die Ausgaben eines ägyptischen Haushalts für Grundnahrungsmittel und Dienstleistungen um 50 Prozent. Allein der Preis für Brot und andere lebenswichtige Produkte schnellte innerhalb eines Jahres um fast ein Drittel in die Höhe. Schon vor dieser rasanten Teuerungswelle mussten 40 Prozent der 78 Millionen Ägypter täglich mit einem Dollar oder weniger auskommen. Nun droht vielen Hunger.

Langmut, eine unendliche Fähigkeit zum "Durchwurschteln" sind die herausragenden Charakteristika dieses Volkes, das über Jahrhunderte sein Leben in die Hände des Nilgottes gelegt hat. Massenproteste gegen die Obrigkeit haben hier keine Tradition. So wurde auch der "Tag des Zorns", zu dem Gewerkschaften und Organisationen der Bürgergesellschaft für den 6. April aufgerufen hatten, zu einem Tag außergewöhnlicher Ruhe. Die massiven Einschüchterungen durch das Regime ließen die Bürger Kairos zu Hause bleiben. Eine heftige Diskussion über Erfolg oder Misserfolg der Protestaktionen beschäftigt seither Anhänger des Regimes und oppositionelle Aktivisten. Die einen feiern die Passivität des Volkes als Beweis ihrer Stärke, die anderen werten die Entscheidung, daheim zu bleiben, als erstes Anzeichen für einen passiven Widerstand, der als "Aufschrei gegen den Pharao" und dessen repressive Machtmanipulationen zu werten sei.

War es eine Form des risikolosen zivilen Ungehorsams? Noch gibt es darauf keine Antwort. Doch schon rufen engagierte Ägypter zu neuen Protestaktionen. Ihr Kommunikationsmittel sind Internet-Blogs, Handys und vor allem das soziale Internet-Netzwerk Facebook, das in kürzester Zeit 68.000 Mitglieder angezogen hat. In Moscheen und Kirchen sollen am 4. Mai - am 80. Geburtstag von Staatspräsident Muhammad Husni Mubarak - Massenproteste beginnen. Der prominente Historiker Tarek El-Bishri glaubt, diese Facebook-Aktivisten, junge Angehörige der verarmenden Mittelschicht, bilden den Kern einer sich formierenden "echten Bewegung des zivilen Ungehorsams", die das Land aus seiner quälenden politischen Stagnation zu neuem politischen Bewusstsein führt.

Die Streiks und Unruhen wecken unter Ägyptern Erinnerungen an die Serie blutiger Proteste, die 1952 zum Sturz der Monarchie geführt hatte, und an eine Rebellion gegen hohe Brotpreise, der 1977 rund 70 Menschen zum Opfer gefallen waren. Den damaligen Aufruhr konnte das Regime nur durch Rücknahme der Preiserhöhungen stoppen.

Brot, "Eesch", ist am Nil das Synonym für Leben. Kein anderes Land der Welt konsumiert so viel Brot wie Ägypten. Da die Regierung die Hälfte des heimischen Bedarfs durch Importe decken muss, hat die Verdreifachung der Weltmarktpreise für Getreide in den vergangenen zehn Monaten katastrophale Folgen.

"Wir töten für unser Brot!"

Zunächst hatte die Regierung deshalb zu Jahresbeginn die Einfuhren reduziert. Sie trug damit entscheidend zu einem alarmierenden Brotmangel bei, der die Bevölkerung in Aufruhr versetzte. Hausfrauen, Familienväter … stehen täglich viele Stunden vor den staatlichen Bäckereien Schlange. Der Kampf ums Brot forderte unter Frustrierten und Ungeduldigen bereits Tote. "Wir töten für Brot, was geschieht mit uns?", fragt ein konsternierter Bürger. Ein großzügiges Subventionssystem, das jährlich rund 2,4 Milliarden Euro verschlingt, hält den Fladen-Preis für Brot in staatlichen Bäckereien bei fünf Piaster (etwa 0,6 Cent) - und damit für (fast) alle erschwinglich. Jeder erwachsene Ägypter darf täglich 20 Fladen zu diesem Preis erwerben, was kaum für die kinderreichen Familien reicht. Das mindestens zehnmal teurere, nicht-subventionierte Brot können sich aber viele nicht leisten. Der Brotmangel hat sich vor allem deswegen verschärft, weil sich immer mehr Angehörige der Mittelschicht ebenfalls nur noch subventioniertes Brot kaufen können. Eine weitere Ursache der gegenwärtigen Krise ist die Korruption: Um ihr Einkommen aufzubessern, verkaufen Bäcker subventioniertes Mehl auf dem Schwarzmarkt. Laut Schätzungen geht so ein Drittel des vom Staat für die Armen vorgesehenen Mehls verloren.

Mubarak hat nun rasch eine Erhöhung der Subventionen verfügt und das Militär beordert, beim Brotbacken auszuhelfen. Damit könnte zumindest die schlimmste Not verhindert werden. Doch die Grundprobleme bleiben. Noch ist die Protestbewegung zersplittert und ohne Führer. Den Arbeitern geht es primär um soziale Verbesserungen. Sie finden sich in ihrer Wut gegen die explodierenden Preise nun aber auf einer Seite mit anderen Aktivisten, Angehörigen der gebildeteren Schichten, deren Beschwerdeliste noch viel länger ist: die absolute Macht des Präsidenten, Korruptionsskandale, die Tatsache, dass das Regime sich nicht einmal mehr die Mühe nimmt, freie und faire Wahlen vorzutäuschen, sondern - wie eben bei Lokalwahlen geschehen - die einzige ihm gefährlich werdende Opposition, die Muslimbrüderschaft, durch Massenverhaftungen fast völlig ausschließt. Viele erzürnen die Routine-Verhaftungen politischer Dissidenten.

Die Unzufriedenheit in fast allen Schichten des Volkes wird verstärkt durch die Unsicherheit über die Zukunft. Mubarak hat seine Nachfolge noch nicht offiziell geregelt, wiewohl längst klar ist, dass er seinem Sohn und Wirtschaftsreformer Gamal das Staatserbe übergeben will. Doch dafür muss er erst das Militär und andere Teile des Establishments gewinnen. Die große Mehrheit der Ägypter will nach Nasser, Saddat und Mubarak nicht noch einen "vierten Pharao" der Neuzeit, einen nicht gewählten Herrscher, der absolute Macht auf unbegrenzte Zeit ausüben könnte.

Muslimbrüder profitieren

Noch bedroht die Unzufriedenheit nicht ernsthaft Mubaraks Macht. Doch sie "untergräbt die Glaubwürdigkeit und Legitimität" seiner Herrschaft, meint der Publizist Ibrahim Issa. Noch stehen alle Kräfte, die seit mehr als zwei Jahrzehnten das Regime stützen, hinter dem Präsidenten, noch hätten sie durch Dissens zu viel zu verlieren. Ökonomische Liberalisierung führte zu einem Wachstum von 7,1 Prozent im Vorjahr, dem höchsten seit zwei Jahrzehnten. Doch die Masse spürt davon nichts. Ganz im Gegenteil. "Was am meisten schmerzt, ist nicht die Armut. Es sind die krassen sozialen Unterschiede", sagt Abdel-Wahhab al Massiri von der liberalen Reformbewegung "Kefaya". Ägypten rühmt sich der "besten Golfplätzen der Welt, zugleich leben hier 20 Millionen Menschen in Slums".

Moralisch lässt sich Mubarak von der höchsten sunnitischen Autorität den Rücken stärken. Scheich Mohammed Sayyid Tantawi bezichtigt jene, die Unruhe schüren, "kriminellen Verhaltens. Sie verdienen extreme Strafe von Gott und den Menschen". Eine beängstigende Aussage angesichts der repressiven Kapazität des Staates. Düstere Zeichen verdunkeln den Horizont über dem Land der Pharaonen. Die einzige Gruppe, die von dieser Entwicklung profitiert, ist die Muslimbruderschaft. Je schlechter es wird am Nil, desto besser für die Brüder.

Die Autorin ist Nahost-Korrespondentin.

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