Hitzewelle in Paris - © APA / AFP / Bertrand Guay

Das Klimadesaster als „Schönwetter“

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Von 33.700 Autoren zum Thema Klimawandel bestreiten nur 34, dass er von Menschen gemacht wird. Warum Leugnen trotzdem Saison hat.

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Von 33.700 Autoren zum Thema Klimawandel bestreiten nur 34, dass er von Menschen gemacht wird. Warum Leugnen trotzdem Saison hat.

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Wir wissen, was gerade passiert und was getan werden muss. Nur ihr wisst, ob wir es getan haben“, lautet eine neue Gedenktafel an einem isländischen Gletscher, der keiner mehr ist. Der Okjökull im Westen des Landes umfasste 1890 noch 16 Quadratkilometer, 2012 nur noch 0,7 Quadratkilometer – Schuld ist die Klimaerwärmung, die auch vor dem von Schnee und Eis geprägten Island nicht Halt macht. Mittlerweile gilt der Okjökull nicht mehr als Gletscher, denn dafür müsse die Masse aus Eis und Schnee so dick sein, dass sie sich durch ihr eigenes Gewicht bewegt, was spätes­tens seit 2014 nicht mehr der Fall ist. „In den nächsten 200 Jahren werden voraussichtlich alle unsere Gletscher diesen Weg gehen“, lautet die eindringliche Warnung der isländischen Forscher.

Längst registrieren Wissenschaftler auch ein Schwinden der österreichischen Gletscher: So hat das Volumen des Dachsteins (2995 m) in den letzten zwölf Jahren um rund 44 Mio. Kubikmeter abgenommen – allein 2018 verlor er 1,9 Meter seiner vertikalen Eisfläche. Eine aktuelle Studie der ETH Zürich prognostiziert gar, dass die Alpengletscher bis 2050 die Hälfte ihrer Masse verlieren werden und, schlimmer noch, bis 2100 gänzlich eisfrei sein werden.

Kann angesichts dessen überhaupt noch Zweifel am menschengemachten Klimawandel sein? Aus wissenschaftlicher Sicht nicht, denn die Fakten liegen seit Jahren auf dem Tisch. Eine Studie hat 2012 untersucht, wie viele von 33.700 Autoren wissenschaftlich geprüfter („peer-reviewed“) Artikel zum Klimawandel bestreiten, dass ebendieser großteils vom Menschen verursacht wird. Es waren lediglich 34 Forscher mit dieser Ansicht, also nur etwa einer von Tausend Experten. Doch obwohl breiter wissenschaftlicher Konsens, wird die Klimaveränderung tagtäglich geleugnet oder zumindest relativiert.

Kriegsstimmung in Meinungsform

„Die neue Klimareligion verlangt es, angesichts eines Wetters, das man früher als ‚schön‘ bezeichnet hätte, Trauermiene zu tragen“, las man etwa Anfang August in einer österreichischen Tageszeitung. Beliebt ist auch das Totschlagargument, ein heißer Sommer sage noch gar nichts aus. Oder umgekehrt, dass ein besonders kalter Winter ein Beweis sei, dass es keine globale Erwärmung gebe. „Ein bisschen was vom guten alten Klimawandel“ wünschte sich Donald Trump zu Jahresanfang zynisch auf Twitter, als weite Teile der USA eingeschneit wurden.

In diesen Fällen wird, wie so oft, Wetter mit Klima verwechselt. Dabei ist es ganz einfach: Wetter ist der kurzfristige Zustand der untersten Schicht der Erdatmosphäre (Troposphäre) an einem bestimmten Ort, wohingegen das Klima den meteorologischen Durchschnitt einer größeren Region über einen längeren Zeitraum untersucht. Als kleinste vergleichbare Einheit gilt ein Zeitraum von 30 Jahren, sagt der Meteorologe und Klimaexperte Marcus Wadsak. Er ist Gründungsmitglied von „Climate without borders“, einer weltumspannenden Initiative von Wettermoderatoren, die mit ihrer Expertise und ihrer großen Reichweite Bewusstsein für den Klimawandel schaffen wollen.

„Sämtliche Parameter der letzten Jahrzehnte sprechen dafür, dass es den menschengemachten Klimawandel gibt“, sagt Wadsak. Etwa die Hitzetage: 1975 gab es keinen einzigen Tag mit 30 Grad in Wien, mittlerweile sind es pro Sommer im Schnitt 40 Tage und mehr. Beispiel Höchsttemperatur: 2013 wurden erstmals in Österreich 40 Grad gemessen. Beispiel Durchschnitts­temperatur: 2018 war in Österreich das heißeste Jahr aus 250 Jahren Messgeschichte. Und diese Entwicklung geht weiter: Seit 2000 gab es hierzulande kein einziges unterdurchschnittlich warmes Jahr, weiß Wadsak. Der heurige Juni lag 4,6 Grad über dem langjährigen Durchschnitt. „All diese Entwicklungen lassen keine Zweifel, dass sich das Klima verändert.“

Der heurige Juni lag 4,6 Grad über dem lang­jährigen Durchschnitt. ‚All diese Entwicklungen lassen keine Zweifel, dass sich das Klima verändert‘, meint der Meteorologe Marcus Wadsak.

Aufschlussreich ist ein Vergleich der CO2-Emmissionen mit der globalen Durchschnittstemperatur – beide Kurven verlaufen seit der Industriellen Revolution parallel zueinander und spätestens seit den 1960ern steil nach oben. Doch weder der Treibhauseffekt noch dessen Auswirkungen sind neu. „Wir sehen heute, dass die Vorhersagen aus den 1990ern wahr werden – eine sich beschleunigende Klimaerwärmung und immer mehr Extremwetterereignisse“, sagt Wadsak.

So eine Hitzewelle, wie wir sie etwa im heurigen Juni erlebt haben, ist – zumindest in Frankreich – durch den Klimawandel mindestens fünfmal wahrscheinlicher geworden, sagt Friederike Otto – eventuell noch deutlich höher. Otto ist Klimatologin am Environmental Change Institute der Universität Oxford und beschäftigt sich mit der Frage, wie hoch der Anteil des menschengemachten Klimawandels an bestimmten Extremwetterereignissen ist. Als Grundlage dienen ihr Beobachtungsdaten, statistische Methoden und immer genauere Klimamodelle.

Kippelemente

Wichtig sei es, zwei Faktoren zu unterscheiden: zum einen den thermodynamischen Effekt, also die Erwärmung der Erdatmosphäre durch die höhere Konzentration von Treibhausgasen. Dieser Effekt ist weltweit derselbe und führt zu höheren Temperaturen und mehr Wasserdampf in der Troposphäre, dadurch auch zu mehr Niederschlägen. Zum anderen gibt es aber auch dynamische Effekte wie etwa eine sich verändernde Luftzirkulation, die beeinflusst, wo und wie bestimmte Wettersys­teme entstehen und wie sie sich bewegen.

Dazu zählen auch die von Hans-Joachim Schellnhuber, dem langjährigen Direktor des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung, vor 20 Jahren beschriebenen Kippelemente, die laut Prognosen bei Eintreten das weltweite Klima unwiderruflich verändern werden. Dazu zählen das Abschmelzen des Permafrostbodens oder des Grönländischen sowie des Westantarktischen Eisschildes oder Veränderungen in den globalen Monsunsystemen. Weil diese Ereignisse, jedes für sich, Rückkopplungen im Klimasystem auslösen können, sind die genauen Folgen noch unklar.

Weil Europa viel stärker vom Klimawandel betroffen ist als etwa Nordamerika oder der indische Subkontinent, müssen wir uns vermehrt auf Trockenheit und Dürre, aber auch extreme Niederschläge wie in der ersten Jännerhälfte 2019, als aufgrund der Schneemassen sogar Skigebiete gesperrt werden mussten, einstellen. Die Ursache: Warme Luft – auch der Jänner war überdurchschnittlich warm – speichert deutlich mehr Niederschlag als kühlere. Ein viel größeres Problem für den Wintertourismus werde aber die Erwärmung, sagt Wadsak.

Auch die Landwirtschaft werde sich auf Änderungen einstellen müssen, denn viele Kulturpflanzen ziehen immer weiter nach Norden. So gibt es im Südburgenland bereits Weinsorten, die früher nur in Italien wachsen konnten, auch neue Schädlinge machen heimischen Pflanzen zu schaffen. Deutlich schlimmer noch, dass Tropenkrankheiten nun auch in unseren Gefilden auftreten, wie das Westnilvirus, das 2018 für Dutzende Todesfälle in Italien, Griechenland, Rumänien und Serbien sorgte. Das werden wir auch in Österreich erleben, ist sich Wadsak sicher.

Trotz der erdrückenden Faktenlage und obwohl wirksame politische Maßnahmen noch weitgehend ausbleiben, bezeichnen sich Marcus Wadsak und Friederike Otto (sie ist auch Buchautorin von „Wütendes Wetter“, 2019) als Optimisten. Sie wollen keine Panik verbreiten, sondern aufzeigen, dass die Klimaerwärmung real ist, aber dass man noch gegensteuern kann. „Die Fridays-for-Future-Bewegung hat es geschafft, dass das Thema überall auf der Tagesordnung steht. Ich bin zuversichtlich, dass wir es schaffen, den Klimawandel auf ein verträgliches Maß einzubremsen“, sagt Otto. Damit nicht passiert, was die isländischen Forscher ihren Gletschern prophezeien.

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