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Das Konzil von Rhodos

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Am 16. November trat der ökumenische Patriarch von Konstantinopel, Athenagoras I., von Istanbul aus eine Auslandsreise ari, ‘um" seine Amtsbrüder, die griechischen orthodoxen Patriarchen von Antiochia (mit dem Sitz in Damaskus), von Jerusalem und von Alexandrien zu besuchen. Der Rückweg bringt dann noch Besuche auf dem Berge Sinai und in Libanon, worauf er am 15. Dezember wieder in seiner Residenz eintreffen wird. •

An dieser Reise ist alles neu und ungewohnt. Seit 1453, seit der Eroberung von Konstantinopel durch die Türken, hat niemals mehr ein ökumenischer Patriarch die Türkei verlassen. In fast zwei Jahrtausenden, weder in der Türkenzeit noch vorher im byzantinischen Kaiserreich, hat sich jemals ein ökumenischer Patriarch herbeigelassen, die drei anderen Patriarchen, denen er im Ehrenrange vorangeht, zu besuchen. Niemals noch haben mohammedanische Staaten dem christlichen Patriarchen von Konstantinopel solche Ehren erwiesen, fast als ob er ein Souverän wäre.

Daß die türkische Regierung dem Patriarchen für diese Reise, die er auf dem Bahnweg macht, nicht nur den Salonwagen des türkischen Staatspräsidenten zur Verfügung gestellt, sondern ihn auch offiziell verabschiedet hat, ist nicht nur ein Beweis für die seit der Bereinigung der Zypernfrage gänzlich geänderten türkisch-griechischen Beziehungen. Die türkische Geste zeigt auch, wie sehr’ es Athenagoras gelungen ist, ungleich seinen unbedeutenden Vorgängern, zur Regierung in Ankara ausgezeichnete Beziehungen herzustellen, anderseits aber auch, wie sehr es die türkische Regierung versteht, die Tatsache des Residierens des höchsten Würdenträgers der orthodoxen Christenheit auf ihrem Staatsgebiet als positiven Faktor in ihre Politik einzubauen.

Von Alexandrien aus wird Athenagoras eigens nach Kairo fahren, um von Nasser empfangen zu werden. Aber schon in Damaskus, der Hauptstadt des syrischen Landesteiles der Vereinigten Arabischen Republik, hatte Nasser zum Empfang des Patriarchen eine Ehrenkompanie seiner Armee mit Fahne und Musik antreten und seine Grüße durch seinen Innenminister übermitteln lassen. Athenagoras als kluger Diplomat blieb diesen offiziellen Ehrungen nichts schuldig. Wiederholt äußerte er sich in Tönen höchsten Lobes über die Leistungen Nassers und rühmte insbesondere die Gleichberechtigung der Christen und das harmonische Verhältnis zwischen ihnen und den Mohammedanern im Reiche Nassers. Dieser weiß wohl,

warum er dem Patriarchen offizielle Ehrungen zuteil werde i läßt, wie sie Mohammedaner niemals vorher einem christlichen Kirchenfürsten gewährt haben. Im arabischen Raum leben mehr einheimische Christen, als man in Europa gemeinhin meint, und ihre tatsächliche wirtschaftliche und politische Bedeutung dürfte ihren zahlenmäßigen Anteil an der Bevölkerung noch übertreffen. Nasser legt großen Wert darauf, daß diese Christen, soweit es sich um seine eigenen Staatsbürger handelt, loyale und aktive Mitarbeiter seines Regimes sind, und daß er in den Christen in den anderen arabischen Ländern, wie Libanon, Irak und Jordanien, zuverlässige Parteigänger hat. Zwar ist nur ein Bruchteil dieser Christen griechisch-orthodox, aber die Haltung Nassers gegenüber dem orthodoxen Patriarchen wird sich zweifellos auch auf die Gefühle der übrigen Riten und Kirchen auswirken. König Hussein von Jordanien steht hinter Nasser kaum zurück. Auch er ließ den Patriarchen durch höchste zivile und militärische Würdenträger empfangen, und der Gouverneur von Amman gab zu Ehren des Gastes ein Staatsbankett. Alle diese Ereignisse wären vor wenigen Jahrzehnten noch völlig1 unvorstellbar gewesen. Offiziell heißt es, Athenagoras erwidere mit dieser Reise die Besuche, die die drei östlichen Patriarchen ihm in diesem Sommer in Istanbul gemacht haben. Daneben geht es um die Stärkung des inneren Gefüges dieser Diasporakirchen. Hier besteht zweifellos ein Problem, das die Kirchenleitung beschäftigt. Die Gläubigen der drei östlichen orthodoxen Patriarchate sind nämlich schon seit Jahrhunderten nur noch zum kleineren Teil griechischer, zum größeren Teil arabischer Sprache. Aber nur unter der Pfarrgeistlichkeit sind Araber in nennenswerter Anzahl vertreten. Die höheren Ränge sind ihnen faktisch verschlössen, die Bischöfe und Patriarchen zumal waren von jeher ausschließlich Griechen und sind es auch heute, wie die derzeitigen Patriarchen Theo- dosios VI. „von Antiochia und dem ganzen Osten“, Benedikt I. „von Jerusalem und den heiligen Stätten“, und Christophorös von Alexandria. Bei der Tradition und dem Selbstbewußtsein der griechischen orthodoxen Kirche ist auch nicht damit zu rechnen, daß sich daran etwas ändern könnte. Die; katholische Kirche hingegen hat, entsprechend ihrer ganz anderen Politik, längst Araber zu Bischöfen geweiht. Es gibt heute nicht weniger als drei „Patriarchen von Antiochia“, die alle drei ihren Sitz in Damaskus haben. Aber während der griechisch-

orthodoxe Patriarch, der erwähnte Theo- dosios VI., Grieche ist, sind die beiden katholischen Patriarchen Araber: Máximos IV., der Patriarch der melchitischen Kirche (mit Rom unierte einstige Orthodoxe griechischen Ritus), und Ignaz Gabriel Tappouni, der sogar Kardinal ist, der Patriarch der mit Rom unierten, früher monophysitischen Christen syrischen Ritus. Verständlich, daß diese Verhältnisse manchen orthodoxen Araber aus nationalen und kaum aus religiösen Gründen veranlassen mögen, zu. der. mit Rom uniprten melchitischen Kirche überzutreten. Die orthodoxen Patriarchen des Ostens sprechen dann gleich von Proselytenmacherei, was es sicherlich nicht ist. Man sieht, es sind zwischen Vatikan und dem Phanar mehr strittige Fragen, als man zunächst meint.

Der Hauptzweck der Reise des ökumenischen Patriarchen, den drei seiner Erzbischöfe, ein Erzpriester, der Archidiakon der Patriarchie, ein Theologieprofessor und Kanzleidirektor sowie ein Herold und darüber hinaus noch ein Erzbischof aus Griechenland (Jakobus von Attika) begleiten, dürfte aber doch wohl der Vorbereitung der Synode der gesamten, orthodoxen Kirchen dienen, die Athenagoras I. für den Juli 1960 nach Rhodos einberufen hat. Athenagoras entfaltet eine Aktivität, die der des Papstes nicht nachsteht. Man kann diese Synode von Rhodos ohne weiteres als ein orthodoxes Gegenstück zu dem vom Papst angekündigten vatikanischen Konzil bezeichnen (während wir beide Ausdrücke, Konzil wie Synode, in gewissen Abstufungen gebrauchen, kennen die Griechen das lateinische Wort Konzil nicht, sondern bezeichnen Konzile wie Synoden mit dem letzteren, griechischen Ausdruck).

Eine solche Gesamtsynode aller orthodoxen Kirchen hat es ebenfalls noch nie gegeben. Athenagoras rechnet damit, daß tatsächlich sämtliche orthodoxen Kirchen vertreten sein werden. Daß das mit den Patriarchaten von Konstantinopel, Antiochia, Alexandrien und Jerusalem, mit den autokephalen Kirchen Griechenlands (die Athenagoras noch vor dem Konzil, im Frühjahr, besuchen will), Zyperns und des Berges Sinai der Fall sein wird, steht fest. Auch Patriarch Germanos von Belgrad, das Oberhaupt der serbisch-orthodoxen Kirche, wird sicherlich erscheinen. Ob aber auch die Kirchen aus dem sowjetischen Machtbereich kommen, wird wohl von der gerade herrschenden politischen Richtung im Kreml abhängen. Indes, wenn die wahrscheinlich doch noch vor Rhodos stattfiridende Gipfelkonferenz nichts r weiter brlifgt aTs’ílefíít1é weitéíü, fs tóií ni¿. der sph¥re äfthschen Oif und’ West, dürfte das genügen, um die Voraussetzungen als so günstig wie nie zuvor anzusehen. Es handelt sich dabei um die Patriarchen von Moskau und Bukarest, um die Metropoliten von Sofia und Albanien und um einige kleinere Kirchen, wie die von Polen und Ungarn. Wir haben über die von Athenagoras veranlaßte kirchendiplomatische Tätigkeit und die Kontakte mit Moskau bereits berichtet. Athenagoras glaubt annehmen zu können, daß die Russen schon kommen würden — sie waren ja übrigens auch auf der Tagung des Weltkirchenrates diesen Sommer in Rhodos vertreten.

Rhodos als Tagungsort des orthodoxen Konzils ist sehr geschickt gewählt. Einerseits liegt es auf dem Boden des Volkes, das sich als das Mutterland der ganzen Christenheit betrachtet; anderseits gehört die erst 1947 zu Griechenland geschlagene Insel nicht zu dessen Kirche, sondern zum eigenen Jurisdiktionsbereich des ökumenischen Patriarchen — er veranstaltet das Konzil also auf seinem Gebiet und nicht in der Fremde. Darüber hinaus ist Rhodos, mit seinem von den Italienern prachtvoll restaurierten Johanniterschloß als Tagungsgebäude, mit seinen zahlreichen ausgezeichneten Beherbergungsmöglichkeiten, mit seinen landschaftlichen Vorzügen und seinem versöhnlich stimmenden milden Klima ein idealer Tagungsort, wie eben in diesem Jahr die Tagung des Weltkirchenrates gezeigt hat.

Die Synode von Rhodos soll sich mit den Fragen einer engeren Zusammenarbeit der orthodoxen Kirchen befassen. Daneben denkt man auch an eine Zusammenarbeit mit den schismatischen Kirchen des Ostens, und vielleicht gelingt es bereits, deren Vertreter nach Rhodos zu bekommen. Es handelt sich dabei vornehmlich um die monophysitischen Kopten in Aegypten, um die monophysitischen Armenier (deren Patriarch allerdings auch in der Sowjetunion, in Eschmiadsin in Sowjetisch-Armenien, residiert) und um die Nestorianer im Irak und in Indien (die sogenannten Thomaschristen). Wird man sich auch mit Fragen einer Annäherung an die katholische, Kirche befassen? Im Zuge der gan zen Bestrebungen Athenagoras’ dürfte zweifellos auch dieses Problem, zumindest inoffiziell, in Rhodos erörtert werden, auch wenn auf diesbezügliche Anfragen Vertreter des Patriarchates zurückhaltend, solche der Kirche Griechenlands ablehnend antworteten. Daneben hält die orthodoxe Kirche natürlich nach wie vor an ihrer Ansicht fest, daß jeder christliche Zusammen-- Schluß auch die evangelischen Kirchen mit einbeziehen müsse.

So ist dank der Initiative zweier Männer, des Panter JÖhäiinef-XXim uri fl PÄiiWiRi ; Affienagöfasl,iT.7; die ’Entwicklung ‘der ‘Kirchen in Fluß gekommen wie schon seit Jahrhunderten nicht.

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