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Das koreanische Erdbeben

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Der katastrophale Umschwung auf den koreanischen Schlachtfeldern, der blitzartig eintrat, kaum daß die neuesten Siegesfanfaren General MacArthurs verklungen waren, ist nicht allein auf ein geradezu unfaßbares Versagen des militärischen Nachrichtendienstes zurückzuführen und auf die ebenso unverständliche Unterschätzung eines Gegners, der die waffen-und lufttechnische Überlegenheit der Alliierten Armeen durch den Masseneinsatz und die blinde Todesverachtung seiner Infanterie auszugleichen wußte; noch mehr schuldig vielleicht ist die Eigenmächtigkeit einer militärischen Führung, die' den Fall Korea sozusagen im eigenen •Wirkungskreis, ohne staatsmännische Kontrolle und ohne Rücksicht auf die weltpolitische Gesamtlage erledigen wollte. Diese grundlegenden Irrtümer und Mängel haben den schwerst bedrängten Truppen der Vereinten Nationen, von allen weiteren Folgen abgesehen, Opfer In einem Umfang auferlegt, der noch gar nicht überblickt werden kann. Damit nun hat sich aus einem Unternehmen, welches ursprünglich nur als Polizeiaktion mit ganz bestimmter, eng umgrenzter Zielsetzung gedacht war, ein Brand entwickelt, der die Gefahr einer weltweiten Explosion In sich schließt.

Uber den Zweck, den Rotchina mit seinem Eingreifen in Korea verfolgt, ist nur soviel klar, daß es sich nicht allein um die Sicherung seiner mandschurischen Grenze oder der wichtigen Kraftwerke handeln kann, die vom Yalu aus einen großen Teil der Mandschurei rr.it Strom versorgen) denn trotz allem ihrem Mißtrauen gegen die Absichten der westlichen Welt, mußten sich die Machthaber in Peking doch sagen, daß den Vereinigten Staaten, geschweige denn dem Bund der Vereinten Nationen als ganzem, nichts ferner liegen könnte als ein Anschlag auf die unbestrittenen Rechte oder die territoriale Integrität Chinas. Wo nun die eigentlichen Beweggründe und Ziele des großen chinesischen Unternehmens liegen, darüber ist man sich zur Stunde wohl auch in den großen Staatskanzleien des Westens noch nicht im reinen. Immerhin ist der Gedanke naheliegend, daß es Mao Tse-tung und den hinter ihm stehenden Ratgebern darum zu tun ist, möglichst starke Streitkräfte der Vereinten Nationen in Korea zu binden, um auf diese Weise die Hand frei zu bekommen für gewaltsame Unternehmungen in Gebieten, deren Besitznahme für China ungleich verlockender wäre als die Eroberung selbst ganz Koreas, vorausgesetzt, daß eine solche Operation überhaupt gelingen könnte.

Die Gefahr einer chinesischen Aggression bedroht heute vor allem den Subkontinent Indien, dessen strategisch wichtigste Zonen in den letzten Jahren von den Kommunisten stark durchsetzt wurden. Verläßliche Beobachter melden, daß es an der Nordwestgrenze, in Waziristan, in Kaschmir, kaum ein Dorf oder einen Weiler gibt, wo nicht eine kommunistische Zelle anzutreffen wäre. Aber diese Unterwühlung beschränkt sich nicht auf Indien. Sie macht gewaltige Fortschritte in Indonesien, wo seit dem von England und den Vereinigten Staaten mehr oder weniger erzwungenen Abzug der Holländer eine Regierung herrscht, die weder die Macht noch wohl auch den festen Willen besitzt, den kommunistischen Umtrieben Einhalt zu gebieten, und ähnlich liegen die Dinge in Birma und in Siam, ganz zu schweigen von Malaya und Indochina, wo ja die Hilfe Mao Tse-tungs den Insurgenten unmittelbar zur Verfügung steht. Dies allein könnte genügen, um den Gebietern Chinas eine weitere Aggression und einen Einbruch in den fast schutzlos vor ihnen liegenden südostasiatischen Raum als verlockend und leicht durchführbar erscheinen zu lassen. Noch würde eine solche Versuchung geringer werden nach einem Blick auf Europa, dessen Schwäche und scheinbare Unfähigkeit, das Gemeinsame vor das Trennende zu stellen, dem potentiellen Friedensbrecher im Gegenteil einen starken Anreiz bieten muß.

Allein, Rotchinas fernerer Kurs kann sicherlich nicht ohne Rücksicht au/ seine innere Lag gesteuert werden. Das Schlagwort „Asien den Asiaten“ mag propagandistisch noch so zugkräftig sein, realpolitisch weiß man auch in Peking: Asien, und ganz besonders China, kann der Zusammenarbeit mit den Nationen europäischen Stammes auf die Dauer nicht ent-raten. Friedlicher Austausch mit diesen Nationen ist ein dringendes Erfordernis nicht nur vom Standpunkt des chinesischen Volkes, welches eben erst zwanzig Jahre Krieg und feindliche Besetzung tiberstanden hat; er ist eine Notwendigkeit selbst für das heute in China bestehende Regime, welches nicht durch Eroberungen und Unterwerfung fremder Völker, sondern nur durch eine lange Periode inneren Aufbaus hoffen kann, seine heute noch vielseitig umstrittene Herrschaft zu konsolidieren. Die russischen Bolschewiken benötigten fünfzehn Jahre und die ausgiebige Hilfe des Auslands, bevor sie sich m allen Gebietes ihres Bereichs durchgesetzt hatten. Daran sind die ungeheuren Schwierigkeiten zu ermessen, die zu überwältigen sind, um die dreimal zahlreichere Bevölkerung Chinas zu erfassen, wie es die kommunistische Doktrin vorschreibt; eine Bevölkerung überdies, die nicht wie jene des früheren Zarenreiches in der Schule eines strengen Zentralismus aufgewachsen ist und die keine Loyalität so hoch wertet wie die gegenüber der Familie.

Man darf hoffen, daß Mao Tse-tung sich all dessen bewußt ist, was er aufs Spiel setzen würde, wenn er den Furien des Krieges freien Lauf ließe. Darin mag heute noch die beste Aussicht dafür liegen, daß es im letzten Augenblick gelingen wird, die unvorstellbaren Schrecken eines neuen Weltbrandes zu bannen.

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