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Das Kräftespiel in der Tschechoslowakei

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Mit Spannung hat die Welt das Ergebnis der Wahl in die neue tschechoslowakische Nationalversammlung am Abend des 26. Mai erwartet. In den elf Jahren seit den letzten allgemeinen Wahlen ist eine Sturzflut über die Republik gegangen. Parteien, die 1935 noch groß waren, sind ganz verschwunden. Außer allen deutschen und ungarischen Parteien, bei den Slowaken die Hlinka-Partei, bei den Tschechen alle Rechtsfraktionen, sogar die größte tschechische, die Agrarpartei mit ihrem Konnex, der Gewerbepartei, die Kramarsch-Partei, die Faschisten Gajdas und die Liga Stribfnys. Im ganzen traten diesmal nur acht Parteien — vier tschechische und vier slowakische — in den Wahlkampf, in Wirklichkeit aber nur vier, da die vier slowaklichen Parteien nichts anderes- waren als die slowakischen Abbilder ihrer gesinnungsmäßigen Verwandten der historischen Länder. Unter diesen vier Parteien befand sich nicht eine Rechtspartei. Im Gegenteil, dieses Wort wurde geflissentlich vermieden, die betonte Antithese war nur: marxistisch oder nichtmarxistisch. Vor dem Wahlkampf einigten sich noch alle Parteien, gleichgütig wie der Wahlausgang sei, wieder zusammen eine Koalitionsregierung zu bilden und das sogenannte „Kaschauer Regierungsprogramm“ einzuhalten. So war der Propaganda der einzelnen Parteien kein großer Spielraum gewährt, etwa mit Ausnahme jener der katholischen Volkspartei, die sich ausdrücklich als nichtsozialistische bezeichnete und sich gegen eine restlose Verstaatlichung aller Güter und für die Bekenntnisschule einsetzte. Die große Unbekannte in allen Wahlberechnungen aren die Stimmen der ehemaligen Agrarier. Wem würden sie ihre Stimmen geben?

In der Wahl konnte die kommunistische Partei 40 Prozent aller Stimmen in den historischen Ländern auf sich vereinigen. Allerdings nur in den historischen Ländern, in der Slowakei geriet sie stark ins Hintertreffen. Ihr gehörten vornehmlich die westlichen Gebiete der Republik, wenn sie auch fast überall in den historischen Ländern an erster Stelle steht. So im ehemaligen Sudetcnland, in den Industrieorten Pilsen und Ostrau. Auch Prag, früher eine Domäne der Benesch-Partei, der Volkssozialisten, konnte sie erobern und ebenso Mähren, ehemals die nie wankende Stütze der katholischen Volkspartei. Aber schon in Ostmähren, in der sogenannten mährischen Slowakei, im Wahlkreis der Bata-Stadt Zun, wurde sie von der Volkspartei überflügelt und in der Slowakei selbst gelang es der Demokratischen Partei — einer nichtmarxistischen Partei, welche die katholischen Kreise und die Protestanten um den jungen Hodza in sich schließt — 60 Prozent aller Stimmen auf sich zu vereinigen.

Das Wahlergebnis als Ganzes betrachtet, bietet ungefähr das gleiche Bild wie in Österreich: nichtmarxistische und marxistische Parteien halten sich die Waage. Im bisherigen — ernannten — Parlament standen 151 nichtmarxistische Mandate 149 marxistischen gegenüber. Nun hat sich eine Verschiebung zugunsten der letzteren von 153 gegen 147 eingestellt.

Es scheint bei diesen Wahlen keinen ausgesprochenen Sieger und keinen großen Unterlegenen zu geben. Und doch gibt es beides. Die Sozialdemokratie, welche einen Großteil ihrer Stimmen an die kommunistische Partei abgeben mußte, ist der große, schmerzvoll Unterlegene dieses Kampfes. Und der große Sieger ist nicht die kommunistische Partei, sondern die slowakische Demokratische Partei, die sich eine Schlüsselstellung von außerordentlicher Bedeutung erobern konnte. Denn zu jedem Verfassungsgesetz ist eine Dreifünftelmajorität notwendig. Diese Mehrheit muß nicht nur eine solche der tschechoslowakischen Mandate sein, sondern auch eine Dreifünftelmajorität aller slowa-k.ischen Mandate, also eine doppelte Verfassungsicherung für die Slowakei, die jetzt jedes Verfassungsgesetz von der Zustimmung der demokratischen Partei, von der letzten Entscheidung der nichtmarxistischen Kräfte abhängig macht.

Es äußert sich hier die Macht einer verfassungsrechtlichen Bestimmung dualistischen Charakters, die schon deshalb interessant ist, weil sie eine vollständige Neuheit in der verfassungsrechtlichen Ordnung eines europäischen Staates darstellt. In dem seinerzeitigen Verhältnis zwischen Ungarn und Kroatien bestand eine solche Sicherung für Kroatien nur in dem Rechte des kroatischen Banus, verfassungswidrigen Akten seitens des Oberstaates die Durchführung zu verweigern.

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