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"Große Waffenproduzenten wie die USA verweigern noch immer ihre Unterschrift unter den Vertrag zum Verbot von Antipersonenminen.

Auch mehr als zwei Jahrzehnte nach Kriegsende schlummern in Bosnien-Herzegowina immer noch über 100.000 Minen entlang der früheren Frontlinien in dem ehemaligen Bürgerkriegsland.

Wie gefährlich der Job ist, zeigt die Statistik. Seit Ende des Krieges und dem Beginn der Räumungsaktion haben 50 Minenräumer in Bosnien ihr Leben gelassen, knapp 120 wurden schwer verletzt."

Unbarmherzig brennt die Mittagssonne auf den ausgetrockneten Acker herab, als sich Goran Stanusic an seine mühevolle Arbeit macht. Umgeben von dichtem Gestrüpp und unzähligen Kriegsruinen, die noch immer schmerzvoll an die militärischen Auseinandersetzungen in Bosnien-Herzegowina erinnern, liegt ein landwirtschaftliches Grundstück, das seit Jahrzehnten nicht mehr bestellt wurde. Gemeinsam mit Kollegen vom bosnischen Mine Action Center (BH MAC) macht sich der 35-jährige Stanusic daran, die Erde von den Altlasten des Krieges zu befreien.

Behutsam klappt er sein Visier ins Gesicht, öffnet die Sonde seines Metalldetektors und tastet sich über den Erdboden. Die Tätigkeit ist ermüdend, vor allem auch deshalb, weil die Minenräumer alleine arbeiten müssen und nur in Rufweite zueinander stehen. Alle 30 Minuten kann der Mann eine Pause machen, immer dann, wenn fünf Quadratmeter des Bodens sondiert wurden und kein verdächtiger metallischer Gegenstand entdeckt wurde.

Auch mehr als zwei Jahrzehnte nach Kriegsende schlummern in Bosnien-Herzegowina immer noch über 100.000 Minen entlang der früheren Frontlinien in dem ehemaligen Bürgerkriegsland.

Wie real die daraus resultierende Gefahr ist, wird an der Geschichte von Razija Aljić deutlich. Als 1992 der Krieg kam, wurde die einstige Heimat zur Frontlinie. Familie Aljić flüchtete. Nachdem sie wiederkam, war ihr Haus von einem Minengürtel umgeben. "Nedzad war der Erste." Mit beinahe apathischer Stimme beginnt die Chronologie einer Familientragödie. Ihr Sohn war damals 19 und starb 1996 im angrenzenden Waldgebiet, als er beim Holzsammeln auf eine Mine getreten war. Nicht einmal zwei Jahre später gibt es wieder eine Explosion. Diesmal stirbt Razijas Mann. Ihre ruhige und gelassene Ausstrahlung trotz der tragischen Schicksale wirkt gespenstisch. "Vor vier Jahren war das Geräusch der Explosion dann so laut, dass ich es bis in die Küche gehört habe." Yusuf, ihr zweitältester Sohn, ist auf der Stelle tot.

Fallende Termine

Seit Kriegsende waren mehr als 1.700 Personen in Landminenunfälle verwickelt. Knapp 600 von ihnen starben, der Rest wurde zum Teil schwer verletzt, in den meisten Fällen mussten eine oder mehrere Gliedmaßen amputiert werden. Für die Räumung der verbliebenen Minen benötigt das krisengebeutelte Land jährlich etwa 40 Millionen Euro, sagt Saˇsa Obradovi´c vom BH MAC. Weniger als ein Viertel der Summe kann das Land selbst aufbringen, erklärt er: "Das geplante Ziel, in Bosnien bis 2009 alle Minen zu räumen, mussten wir bereits um ein Jahrzehnt verschieben." Auch dieser Termin kann nicht gehalten werden.

Es mangelt dem Land nicht an professionellem Personal oder technischem Equipment, sondern an den finanziellen Voraussetzungen und dem politischen Willen. Entmint wurde vor allem im urbanen Raum. Danach kam es systematisch zum Stillstand im Land. Die entlegenen Gebiete Bosniens und seine ärmliche Bevölkerung blieben bisher auf der Strecke. Die meisten Minenfelder sind zwar markiert, Unfälle gibt es jedoch immer wieder.

Streng nach Plan arbeiten

In Visoko arbeiten sich der Minenräumer Goran Stanusic und sein Team mühevoll voran. Plötzlich signalisiert der Detektor mit einem unruhigen Geräusch, dass etwas Metallisches in der Erde gefunden wurde. Stanusic schwenkt das Gerät mehrmals über den Boden, legt es dann behutsam hinter sich und greift zu einer Stange, an deren Ende ein langer Metallnagel steckt. Langsam lockert er die Erde und sucht nach einem harten Widerstand, immer wieder führt er das Werkzeug in den Boden und versucht, eine mögliche Mine zu lokalisieren.

Die Anspannung ist Goran ins Gesicht geschrieben, unter der schweren Schutzausrüstung und dem Visier sammeln sich Schweißtropfen, sein Herz schlägt automatisch schneller. Stanusic ist ein Profi, er hat schon unzählige Minen gefunden und entschärft. "In so einer Situation ist es wichtig, einem strikten Protokoll zu folgen", sagt er später. "Nur nicht hastig reagieren oder gar etwas übersehen. Das macht die Arbeit auch so anstrengend. Man muss immer konzentriert sein." Die Erde in Visoko macht es dem Minenräumer nicht einfacher. Immer wieder spielen die Detektoren scheinbar verrückt, zeigen Gefahr an, obwohl keine da ist. "Die Erde ist sehr metallhaltig und spielt uns oft einen Streich." Doch das eigentliche Problem ist, dass der Boden mit Metallschrott und alten Patronenhülsen kontaminiert ist. Da diese ebenfalls metallisch sind, kann Stanusic nicht eindeutig erkennen, was in der Erde vergraben liegt. Als Nächstes nimmt er eine kleine Schaufel in die Hand. Nachdem mit der Metallstange kein Widerstand lokalisiert werden konnte, muss er jetzt die Erde langsam auf die Seite schaufeln. Am Ende wird klar, dass ihn ein Schrapnell in der Erde getäuscht hat.

Wie gefährlich der Job ist, zeigt die Statistik. Seit Ende des Krieges und dem Beginn der Räumungsaktion haben 50 Minenräumer in Bosnien ihr Leben gelassen, knapp 120 wurden schwer verletzt. Trotz aller Risiken machen Goran und seine Kollegen den Job gerne. Die Bezahlung ist für bosnische Verhältnisse überdurchschnittlich gut. "Am Ende hat man auch noch das Gefühl, etwas sehr Sinnvolles getan zu haben", sagt der 35-Jährige. Ist ein Stück Land komplett geräumt, werden die gelben Sicherheitsbänder abgenommen. Der Grundbesitzer erhält im Anschluss daran eine Zertifizierung, die ihm bescheinigt, dass das Gebiet zu 99,6 Prozent entmint ist. Eine hundertprozentige Sicherheit gibt es nie.

Abfallende Waldgebiete stellen eine weitere Gefahr dar, denn durch Regenfälle können Minen "wandern" und plötzlich dort auftauchen, wo vorher keine waren. So intensiv das BH MAC auch an der Entminung des Landes arbeitet, in manchen Teilen Bosniens müssen manchmal trotzdem neue Warnschilder aufgestellt werden. Dies geschieht dann, wenn es unerwarteterweise wieder einen Unfall gegeben hat. Ob diese jedoch in Zukunft alle Bewohner der Umgebung davor abhalten werden, in den Wald zu gehen, ist fraglich. Denn für die arme Landbevölkerung in Bosnien ist nur eines sicher: Der nächste Winter kommt bestimmt.

"Abfallende Waldgebiete um Visoko stellen Gefahrenzonen dar, denn durch Regenfälle können Minen hangabwärts 'wandern'."

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