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Das sowjetische Zentralasien

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Die Genfer Asienkonferenz kann mit ihren Hintergründen nur verstanden werden, wenn man weiß, daß die Sowjetunion selbst einer der größten asiatischen Staaten ist. Territorial gesehen, sogar der größte, denn Sibirien allein macht etwa ein Drittel des asiatischen Kontinents aus. Dazu kommen noch Zentralasien mit über 3,9 Millionen Quadratkilometer und Transkaukasien. Trotzdem würde das ein schiefes Bild geben, wenn man die Machtverhältnisse in Asien nur vom territorialen Gesichtswinkel aus betrachtet. Denn Sibirien hat, man weiß es nicht genau, zwischen 20 und 30 Millionen Einwohner, So- wjetisch-Zentralasien rund 20 Millionen und die drei transkaukasischen Republiken nicht ganz 10 Millionen. Ganz Sowjetisch-Asien zählt also zwischen 50 und 60 Millionen Einwohner, nur ein Bruchteil der Bevölkerung Chinas, mit seiner halben Milliarde Menschen. Und doch wird die Sowjetunion immer mehr zu einer eigentlich asiatischen Macht. Denn das Wachstum der Bevölkerung der asiatischen Teile der Sowjetunion geht be-

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Die Genfer Asienkonferenz kann mit ihren Hintergründen nur verstanden werden, wenn man weiß, daß die Sowjetunion selbst einer der größten asiatischen Staaten ist. Territorial gesehen, sogar der größte, denn Sibirien allein macht etwa ein Drittel des asiatischen Kontinents aus. Dazu kommen noch Zentralasien mit über 3,9 Millionen Quadratkilometer und Transkaukasien. Trotzdem würde das ein schiefes Bild geben, wenn man die Machtverhältnisse in Asien nur vom territorialen Gesichtswinkel aus betrachtet. Denn Sibirien hat, man weiß es nicht genau, zwischen 20 und 30 Millionen Einwohner, So- wjetisch-Zentralasien rund 20 Millionen und die drei transkaukasischen Republiken nicht ganz 10 Millionen. Ganz Sowjetisch-Asien zählt also zwischen 50 und 60 Millionen Einwohner, nur ein Bruchteil der Bevölkerung Chinas, mit seiner halben Milliarde Menschen. Und doch wird die Sowjetunion immer mehr zu einer eigentlich asiatischen Macht. Denn das Wachstum der Bevölkerung der asiatischen Teile der Sowjetunion geht be-

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Stämme Sibiriens und die eingewanderten Chinesen, Koreaner und Mongolen. Sibirien ist also heute der einzige Teil Asiens, der beinahe ganz eine „weiße“ Bevölkerung hat. Vom Asiaten aus gesehen ist also Sibirien gar kein asiatisches Land, es ist ein Teil Rußlands, damit für ihn ein Teil Europas. Was in Sibirien geschieht, hat auf Asien noch nie einen wesentlichen Einfluß ausgeübt. Sibirien ist für die Sowjetunion das wirtschaftliche Zukunftsland. Es ist schon heute das Gebiet, in dem man eine Schwerindustrie aufbauen kann, die vor den Atom- und Wasserstoffbomben des potentiellen Gegners so ziemlich sicher ist. Sibirien und seine Eisenbahnmagistrale bringt die Macht der Sowjetunion an den Stillen Ozean, macht die Sowjetunion — allerdings ganz am Rande — zu einer Pazifikmacht. Doch strategisch sind die russischen Häfen am Stillen Ozean eher für den amerikanischen Kontinent als für Asien eine Bedrohung.

Eine größere Bedeutung für die Machtstellung des Kremls in Asien hat Transkaukasien. Doch von den drei transkaukasi-

deutend rascher vor sich als der europäischen. Durch die Urbarmachung von Steppen, durch die Ausrodung des Urwaldes, vor allem aber dank der Industrialisierung Sibiriens und Zentralasiens ergießt sich ein ständiger Strom von Einwanderern aus dem europäischen in den asiatischen T il der Sowjetunion. 1913 betrug die Bevölkerung Sibiriens nicht ganz 9 Millionen Menschen, heute etwa das Dreifache. Die ganze Bevölkerung des asiatischen Teiles Rußlands machte 1913 etwas mehr als ein Zehntel der Gesamtbevölkerung des Reiches aus, heute aber mehr als ein Viertel.

Und trotzdem darf man das nicht überschätzen. Denn eben nicht die eingeborene asiatische Bevölkerung vermehrt sich im russischen Asien so schnell, sondern die russische und überhaupt slawische Einwanderung macht den Bevölkerungszuwachs aus. Schon 1913 waren von den 9 Millionen Einwohnern Sibiriens 8 Millionen Slawen und nur eine Million betrugen die eingeborenen sehen Republiken sind zwei, die georgische und armenische, christlicher Kultur, also ganz verschieden von den asiatischen Völkern jenseits der Grenze. Nur die aserbeidschanischen Türken haben Glaubens- und Rassegenossen jenseits der Grenze in Persien. Tatsächlich haben schon immer die Ereignisse in Baku den stärksten Widerhall in Persien gefunden. Doch Transkaukasien, im Rücken das hohe Kaukasusgebirge, liegt gewissermaßen im Vorfelde Rußlands, in einem Winkel Asiens, strategisch sehr verwundbar gerade von Persien und der Türkei her.

So ist d a s s o w j e t i s c h e Zentralasien die eigentliche Machtbasis der Sowjetunion in Asien. Und das in jeder Beziehung. Tatsächlich hat die Sowjetregierung dieses Zentralasien über den geographischen Begriff hinaus ausgeweitet. Ursprünglich galt als Russisch-Zentralasien nur das Gebiet des Generalgouvernements Turkestan. Durch die Schaffung der Sowjetrepublik Kasachstan geht aber jetzt politisch der Begriff Zentralasien viel weiter. Denn Kasachstan umfaßt nicht nur Gebiete des ehemaligen Gouvernements Turkestan und reicht hier beinahe bis an die Tore Taschkents, sondern auf weite Gebiete, die früher zu Westsibirien gerechnet wurden und ragt selbst noch ein Stück in das europäische Rußland hinein, da diese Sowjetrepublik beinahe an das Wolgadelta grenzt. Die Sowjetrepublik Kasachstan gilt jedoch als eine der fünf zentralasiatischen Republiken, nämlich Kasachstan, Kirgisien, Usbekistan, Turk- menien und Tadschikistan. Insgesamt sind das 3,908.100 Quadratkilometer. Den größten Anteil daran hat Kasachstan mit seinen 2,7 Millionen Quadratkilometern. Offiziell ist jede der fünf Bundesrepubliken „selbständig“, verkehrt also direkt mit der Zentralregierung in Moskau. Für jede Republik gibt es auch eine eigene kommunistische Partei mit einem eigenen Präsidium, Zentralkomitee und Sekretariat. Natürlich sind diese kommunistischen Parteien Teile der kommunistischen Partei der Sowjetunion. In Wirklichkeit ist jedoch dieses ganze zentralasiatische Gebiet beinahe in jeder Beziehung straff zusammengefaßt. Die Hauptstadt Usbekistans, T aschkent, mit seinen etwa 600.000 Einwohnern, ist gleichzeitig auch die Hauptstadt des sowjetischen Zentralasiens. Dort gibt M vor allem ein mittelasiatisches Parteisekretariat, das direkt Moskau untersteht und das alles in Zentralasien regelt. Offiziell zusam- mengefaßt ist vor allem das Militärische. Alle zentralasiatischen Republiken bilden die mittelasiatische Militärregion mit dem Kommando in Taschkent. Die Truppen stammen vorwiegend aus dem Inneren des europäischen Rußlands. In Taschkent gibt es auch Zentralstellen für die Polizei und den Grenzschutz. Vor allem aber wirtschaftliche Planungs- und Verwaltungszentren für das gesamte mittelasiatische Gebiet.

Die strategische Bedeutung dieser fünf Sowjetrepubliken ist sehr groß. Kein Teil der Sowjetunion grenzt an so viele Staaten. Denn das sowjetische zentralasiatische Gebiet hat nicht nur eine lange Grenze mit China, und zwar mit Singkiang, sondern grenzt auch an Afghanistan und Persien. Die Grenze

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