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Das Spiel um Stabilität

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Wann mündet das ununterbrochene Reden vom Frieden am Runden Tisch -zuletzt in Paris - endlich in eine kollektive europäische Sicherheitsstruktur?

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Wann mündet das ununterbrochene Reden vom Frieden am Runden Tisch -zuletzt in Paris - endlich in eine kollektive europäische Sicherheitsstruktur?

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Ja, mach nur einen Plan, sei nur ein großes Licht, und mach noch einen zweiten Plan, gehn tun sie beide nicht. Bert Brechts zynischernüchternde Beschreibung der Unzulänglichkeit menschlichen Strebens könnte Überschrift sein im gegenwärtigen europäischen diplo matischen Planspiel um Sicherheit, Zusammenarbeit, Frieden und Stabilität. Zwei läge Europa im Klartext im Pariser Unesco-Gebäude: Frankreichs Premier Edouard Balladur probierte vergangenen Donnerstag und Freitag eine neue Bunde im edlen Wettstreit um vermehrte Sicherheit auf dem Alten Kontinent. Das Spiel hat einen neuen Namen bekommen; „Stabilitätspakt” nennen es die Franzosen.

Sicherheit, das müssen wir zur Kenntnis, nicht jedoch hinnehmen, gibt's in Europa nach dem Kalten Krieg nur abgestuft. Die NATO ist nicht bereit, ihre Sechzehner-Exklusivität aufzugeben; in der Entwicklung in Richtung eines europäischen Sicherheitsgaranten tut sie sich schwer. Das Spiel „Partnerschaft für den Frieden” verlangt von mittlerweile 19 mittel- und osteuropäischen Staaten, Rußland wird sich möglicherweise dazugesellen, wie Verteidigungsminister Pawel Gratschow vor einer Woche in Brüssel darlegte, Vorleistungen, ohne echte Sicherheitsgarantien zu gewährleisten. Die Westeuropäische Union (WEU) ist verbal und funktionell eine lahme

Ente, auch hier hat eine Heranführung der Osteuropäer eher nur hinhaltenden Charakter.

Der Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (KSZE) traut man nicht mehr viel zu, obwohl sich - nach der scheintoten Phase unmittelbar nach Ausbruch der Kämpfe in Ex-Jugoslawien -derzeit gewisse Aktivitäten, mit Vorliebe im Kaukasus (Armenien/Aser-beidschan), nicht gänzlich übersehen lassen. Vor allem Rußland will die KSZE reanimieren; und nicht nur das, nach der Auferstehung soll der KSZE-Körper neu gestählt und sogar der NATO übergeordnet werden. Das wird unisono von den NATO-Mitgliedstaaten abgelehnt. Russische Mitbestimmung will niemand. Mitbestimmung über das gemeinsame Schicksal müßte jedoch im veränderten Europa an erster Stelle stehen. Wobei die KSZE aber gleichzeitig zeigt, daß Mitbestimmung nicht alles ist. Ohne eine gemeinsame schlagkräftige Organisation, die Beschlüsse durchsetzen kann, bleibt Sicherheit ein schönes Wunschziel.

Die EU als Moderator?

Die französische Idee von einem „Stabilitätspakt” - 40 europäische Außenminister haben an den Beratungen dazu teilgenommen — ist eigentlich nichts anderes als der erneute Versuch, die KSZE-Ideen noch einmal bekenntnishaft einzuforden - ohne entsprechende Möglichkeit, Zuwiderhandeln zu sanktionieren. Selbstverständlich haben sich in Paris alle Teilnehmer zum Frieden bekannt, man darf sogar annehmen, daß in etwa einem Jahr der Stabilitätspakt unterzeichnet werden wird, in dem man sich dieser Gesinnung gegenseitig versichert.

Aber der Grundgedanke, daß beim Aufbau gutnachbarschaftlicher Beziehungen der Osteuropäer die

EU selbst die Bolle eines Moderators und Vermittlers übernehmen sollte, wird den Beformstaaten so lange Unbehagen bereiten, solange sie nicht selbst in der EU sind: und vor 2000 spielt sich diesbezüglich nichts ab.

Wie es tatsächlich um die Friedenssituation in Europa steht, zeigen nicht nur die Ängste der Mittelosteuropäer vor Entwicklungen in Bußland oder russische Befürchtungen, von Europa abgehängt zu werden, oder Sorgen der Minderheiten, in neuen Nationalstaaten unterzugehen, sondern demonstriert auch die Lage in Westeuropa selbst. Auf der Pariser Zusammenkunft wurde beispielsweise Slowenien, das ebenso wie neun andere mittelosteuropäische Staaten stark in die EU drängt, auf Initiative Italiens von den Boundtable-Gesprächen augeschlos-sen. Wahrlich ein gutes Omen für den „Stabilitätspakt”!

Der Krieg auf dem Balkan wurde überhaupt ausgeklammert. Und der griechische EU-Minister, Pangalos, der die Pariser Konferenz als derzeitiger EU-Vorsitzender präsidierte, konnte - obwohl Griechenland derzeit in heftigen Auseinandersetzungen mit Mazedonien steht und deswegen sogar von Brüssel „gemaßregelt” wird - ungeniert die Mittelosteuropäer ermahnen, doch gutnach-barschaftlich zusammen- und so auf ein neues Europa hinzuarbeiten.

Ob „Partnerschaft für den Frieden”, „Pakt für europäische Stabilität”, KSZE oder WEU: der transi-torische Charakter all dieser Initiativen beziehungsweise Organisationen verhindert ein wirkliches Sicherheitssystem, in dem die Europäer aktiv und solidarisch zur gemeinsamen Sicherheit beitragen und auch bereit sind, nach allgemein anerkannten Begeln gegen Friedensstörer vorzugehen. Für die Bewußtseinsbildung sind sie allerdings nicht nur gut, sondern geradezu unersetzlich.

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