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Das Tandem funktioniert

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„Das Tandein funktioniert“ steht über der Karikatur einer italienischen Zeitung. Sie zeigt die christlichdemokratischen Politiker Amintore Fanfani und Aldo Moro auf einem Tandem, eifrig radelnd. Einmal sitzt Fanfani vorn und Moro tritt hinten kräftig auf die Pedale, dann umgekehrt. Tatsächlich würde es schwerfallen, zwischen der Politik des einstigen Ministerpräsidenten und dem mit der Regierungsbildung beauftragten Sekretär der Democrazia Cristiana einen sachlichen Unterschied festzustellen. Moro hat nicht weniger als Fanfani die Politik der linken Mitte, die „Linksöffnung“ zu den Nenni-Sozialisten, vertreten, und ebenso wie Fanfani ist Moro davon überzeugt, daß nur mutige Sozialreformen die Demokratie in Italien retten können. Der Unterschied zwischen beiden liegt im Temperament und im Charakter. Fanfani versäumt selten eine Gelegenheit, seinen Widerpart vor den Kopf zu stoßen. Wo er spröde ist und überall aneckt, ist Moro schmiegsam, der geborene Vermittler, der personifizierte Besänftiger. Heute ist Moro berufen, die christlichdemokratischen Wählermassen mit der Linksöffnung zu versöhnen, die bei den Wahlen am 28./29. April einen unzweifelhaften Rückschlag erlitten hat, die aber fortgesetzt werden muß, weil es keine Alternative für sie gibt. Moro ist die schwierige Aufgabe gestellt, bei den Parteien der parlamentarischen Mehrheit, die alle ein Maximum von Forderungen für sich durchsetzen wollen, das gemeinsame Minimum herauszufinden und geduldig darauf hinzuarbeiten, daß sie sich damit begnügen.

Die Tandem-Karikatur wirkt amüsant und plausibel, aber sie überzeugt nicht alle, die sich mit den innenpolitischen Dingen eingehender zu befassen haben. Sie behaupten, daß Moro den Mißerfolg und damit den Sturz Fanfanis kommen gesehen hat und schon vor den Wahlen sich auf die Nachfolge vorbereitete. Es ist richtig, daß unter den Wahlkandidaten auffällig wenig Fanfanianer waren; die Anhänger des verabschiedeten- Ä4|istejt-präsidenten im Parteivors*an<k undMm den Parlamentsfraktionen sind deutlich reduziert. Aber wer möchte behaupten, daß dies auf das Spiel Moros zurückzuführen ist? Wie immer, Fanfani und seine Gruppe haben Moro akzeptiert, so daß der Parteisekretär mit der Zustimmung der ganzen Partei als Unterhändler vor die in Aussicht genommenen Verbündeten hintreten kann. Die schwierigsten von diesen, die Linkssozialisten Nennis, haben zunächst Fanfani als Gesprächspartner gewünscht. Aber dann erkannten sie, daß nur Moro im Namen der DC sprechen konnte, und so haben sie auch ihn akzeptiert.

Ideologische Faimess

Aldo Moro ist Süditaliener. Er stammt aus einer kleinen Landgemeinde Apuliens, der Provinz Lecce. Das heißt, als Südländer entstammt er jener Zone Italiens, die dem Staat die meisten Advokaten, Beamten und Karabinieri schenkt. Als echter Sohn des Südens folgt er einer strengen formalen Logik, zugleich aber drückt er sich in schwierigen, komplizierten, verwickelten Gedankengängen aus, so daß ihm der Vorwurf gemacht wird, er sei in seinen Reden absichtlich verschwommen, unverständlich und doppelt. Es ist richtig, daß Moros Rhetorik abstrakt und verschlungen ist, aber mit ihr und mit der Länge seiner Reden versöhnt die unverkennbare

ideologische Fairneß, die man vergeblich in Fanfanis Reden suchen würde, die Lauterkeit seiner Absichten und die vollkommene politische Anständigkeit. Auch Moro ist ein großer Freund der Jurisprudenz. Der heute Sechsundvier-

zigjährige war musterhafter Student und lehrte bereits mit Vierundzwanzig Strafrecht an der Universität Bari. Politische Gegner haben ihm eine faschistische Vergangenheit nachgesagt, aber außer der Teilnahme an kulturpolitischen Wettbewerben des Faschismus als „Littoriale“ und einigen Schriften über die faschistische Staatslehre ist nichts zutage gefördert worden, eben nur soviel wie notwendig war, um zu jenen Zeiten unterrichten zu dürfen. Als Aktivist der katholischen Universitätsjugend fand er jedenfalls rasch Anschluß an die Christlichen Demokraten, er war an der AasarbeitungJ. der neuen Verfassung Italiens beteiligt und begann als Uriterstaatssekretär für Äußeres im fünften Kabinett De Gasperis seine politische Karriere. Moro ist Justizminister und dann Unterrichtsminister gewesen, zuletzt unter Fanfani. Seine Ministertätigkeit hat in den Annalen der Geschichte keine besonderen Spuren zurückgelassen. Die Korrespondenten der Auslandspresse erinnern sich an eine Pressekonferenz über die Schulreform, und es machte einen peinlichen Eindruck, daß der Minister nach jedem halben Satz einen Zustimmung suchenden Blick auf den Regierungschef Fanfani richtete und den Satz erst beendete, wenn dieser beruhigend die Augenlider senkte. Damals schien es den Journalisten, daß Moro in einem Abhängigkeitsverhältnis zu Fanfani stehe. Heute kennen sie ihn besser und wissen, daß es Moros Art ist, für alle seine Behauptungen Bestätigungen, Kontrollen und Superkontrollen zu suchen. Seine Reden fordern niemals zum Widerspruch heraus. Tatsächlich ist dieser in der Rede schon vorweggenommen und auch die Widerlegung des Widerspruchs. Vielleicht war es gerade diese Eigenschaft, die seine Wahl zum Fraktionsführer dei christlichdemokratischen Abgeordneten im Jahre 1953 bestimmte, in einer für die Partei schwierigen Zeit, da sich das Unwesen der „Heckenschützen“ bis zur Unerträglichkeit auszudehner drohte.

Augenblick noch nicht. In diesem Augenblick sind die Programmverhandlungen mit den Verbündeten noch im vollen Gange. Die geringsten Schwierigkeiten werden von Seiten der Sozialdemokraten gemacht. Saragat, der sich

immer mehr als berufener Vermittler zwischen der katholischen Partei und den marxistischen Sozialisten betrachtet, steht auf dem vernünftigen Standpunkt, daß den Interessen der Bevölkerung mehr mit Schulen, Krankenhäusern und Wohnungen gedient ist als mit den dogmatischen Forderungen, wie sie die heiligen Schriften des Marxis-

mus aufstellen, Nationalisierungen, Planwirtschaft oder wie etwa die Einführung der Regionen mit ihren Landtagen, kleinen Parlamenten und einigen tausend „ehrenwerten Abgeordneten“ mehr zu bezahlen. Aber gerade diese dogmatischen Forderungen liegen den Linkssozialisten am meisten am Herzen. Nicht etwa nur der kommunistenfreundlichen Opposition in der Nenni-Partei, die nichts lieber sähe, als wenn die Programmverhandlungen an

den Regionen scheitern sollten, auch unter Nennis autonomistischer Richtung sind neue Unschlüssigkeiten aufgetaucht.

Der Zwiespalt in der Nenni-Partei rührt von den letzten Zielsetzungen her. Wenn am Fetisch der „Einheit der Arbeiterklasse“ festgehalten und an die marxistische Revolution geglaubt

wird, dann empfiehlt sich die Linksöffnung der Christlichdemokraten in die Binsen zu werfen und sich wieder mit den Kommunisten in der Opposition zu vereinigen. Die kommunistischen Wahlerfolge haben die Erreichung dieses Zieles nicht mehr utopisch erscheinen lassen wie vorher. Wenn die Sozialistische Partei Italien* aber eine Entwicklung in deT Demokratie und Freiheit anstrebt, dann darf sie die Zusammenarbeit mit der DC nicht unmöglich machen.

Die Zunahme der kommunistischen Wählerstimmen hat sich auf eine solche Entwicklung negativ ausgewirkt, weil sie Nennis Position eher geschwächt hat. Lombardi, die Nummer 2 in der Partei und „Autonomist“, hat vor den Wahlen zwar die Herstellung der regionalen Ordnung gefordert, zugleich aber die Garantie dafür angeboten, daß in den Regionen keine neuen Machtzentren des Kommunismus entstehen, indem die Sozialisten in ihnen eine Mehrheit bilden. Im Gegenteil, die Verhältnisse im Parlament sollten sich auch dort widerspiegeln. Heute spricht Lombardi anders. Er will c'ie Regionen sofort, von einer Garantie ist keine Rede mehr. Wird sich Nenni gegenüber solchen „Mitarbeitern“ durchsetzen können?

Trotz diesen Widrigkeiten hat Moro nicht einen Augenblick seine gewohnte Ruhe verloren, und kein Anzeichen von Nervosität ist an ihm bemerkbar gewesen. Es ist im übrigen klar, daß Verhandlungspartner mit einem Maximum an Forderungen die Gespräche beginnen. Moro hofft bis zum Minimum zu gelangen. Sollte es nicht der Fall sein, nun „das Tandem funktioniert“: dann wird eben wieder Fanfani vorn sitzen, und er wird hinter ihm in die Pedale treten.

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