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Das Volk und der Volksvertreter

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Am 9. Oktober ging es um den Bestand der österreichischen Heimat und um ihrer Menschen Freiheit und Würde. Darum mußten alle Sonderwünsche schweigen, mußte alle Einzelkritik verstummen. Aber schon in die Gespanntheit des Wahltages hinein sind ernst mahnende Worte, Erinnerungen an unverzichtbare Forderungen gesprochen worden: „Das große Dann“ „Furche" vom 8. Oktober, „Versprechen werden zu halten sein“ „Off. Wort" vom 8. Oktober. Sie beziehen sich in der Hauptsache auf die programmatische Lösung dringend gewordener politischer Anliegen.

Es ist aber so, daß das Menschliche in uns nach dem Menschlichen dessen fragt, von dem wir das Eintreten für die uns wichtigen Belange erwarten. Das soll nicht heißen, daß wir in engherziger Zeichnung die Persönlichkeit des Volksvertreters in eine Schablone zwingen wollen — aber es soll mi allem Nachdruck bedeuten, daß wir unser Vertrauen nur dort schenken und bewahren können, wo die Grundsatzhaltung im politischen und im privaten Leben übereinstimmt und beides zugleich der christlichen Persönlichkeitsforderung — im weitesten Sinne verstanden — nicht widerspricht. Wir sind uns dessen bewußt, daß wir keine christliche Volksvertretung haben, wenn auch — wir freuen uns, das zu wissen — der neuen Volksvertretung eine Reihe vorbildlicher Katholiken angehört. Aber es genügt nicht, daß wir einigen Mandatsträgern unsere rückhaltlose Zustimmung zu geben vermögen, es geht schließlich darpm, ob die christliche Bevölkerung als geschlossene Einheit der politischen Richtung, der sie ihre Stimmen gegeben hat, auch weiterhin ihre Gefolgschaft erhalten kann. Dafür ist wieder das Menschliche der Einzelpersönlichkeiten entscheidend.

Wir verlangen, daß sich der Mandatsträger dessen bewußt bleibt, daß er ein „Beauftragter“ ist, beauftragt durch das Vertrauen seiner Wähler, und daß er sich deshalb um ihre gerechten und vertretbaren Anliegen bemühe. Wir erhoffen, daß die von uns Gewählten mit Ernst und Treue auch in den Fragen der Politik die Grundforderungen des christlichen Sittengesetzes zur Geltung bringen. An die Aufrichtigkeit solcher Bemühungen werden wir dann glauben, wenn das Verhalten des Gewählten in öffentlichen und privaten Angelegenheiten sich deutlich nach den Leitlinien dieses Gesetzes abzeichnet. Das heißt im einzelnen: er wird nur dann für den inneren Frieden, für den gerechten Ausgleich der in einer Großgemeinschaft unvermeidlichen Interessengegensätze erfolgreich tätig sein können, wenn er die Weisungen der großen Sozialenzykliken nicht nur im Munde führt, sondern sie auch für seine ganz private Einstellung zu Wirtschaft und Arbeit als verbindlich ansieht und danach handelt. Menschen, die sich asozial verhalten, können nie glaubwürdige Fürsprecher der christlichen Sozialforderung sein.

Dazu gehört noch ein anderes: es ist “ aus der natürlichen Struktur der Bevölkerung — unvermeidlich, daß ein Volksvertreter sich in erster Linie der Gruppe verbunden fühlt, die ihn kandidiert hat. Er wird also zunächst Wirtschaftsmann oder Arbeiter- oder Bauern- oder Beamtenvertreter ein. Aber er darf darüber nie vergessen, daß er, von allen gewählt, das Wohl aller, die Ausregelung des gesellschaftlichen Organismus als Ganzes im Auge zu behalten hat, daß er nicht einem einseitigen Gruppenegoismus verfallen darf. Diese wahrhaft solidarische Haltung gibt ihm auch die oft unpopuläre Aufgabe, überspitzte Forderungen seiner Gruppe auf ein vernünftiges Maß zurückzuführen, er muß nicht nur Sprachrohr, sondern auch Mahner und Wehner sein können. — Daran krankt die Demokratie unserer Tage noch häufig genug, daß ihre Träger oft nach dem kleineren, aber augenfälligeren Naherfolg haschen, der ihnen zwar den Dank ihrer engeren Kreise einträgt, aber Unzufriedenheit in den Reihen der anderen erzeugt, weil das allgemeine Wohl außer acht gelassen worden ist. Freilich, um in der Vielheit der sich widersprechenden Wünsche, berechtigter und egoistischer Interessen, auf der rechten Linie zu bleiben, muß der Gewählte ebenso über ein ausreichendes Wissen wie über ein klar durchdachtes, vertretbares Konzept verfügen. Das ist nicht identisch mit Bildung im landläufigen Sinn, es bedeutet aber Klugheit, Einsicht in die Zusammenhänge, Weitblick und ein reines, gütiges Wollen, das immer wieder dem Menschen gilt. Das alte österreichische Parlament besaß Männer, die leicht des akademischen Grades entbehren konnten, weil sie ~ etwa wie Jodok Fink oder Franz Spalowsky — Weisheit und tiefe Menschenliebe besaßen. Der Volksvertreter von heute muß in sich die Eignung zu ganzer und bester Leistung tragen.

In materieller Beziehung hat die christliche Bevölkerung noch ein anderes Verlangen an das Persönliche ihrer politischen Vertrauensträger. Notzeiten, namentlich wenn sie mit einer öffentlichen Verneinung sittlicher Normen verbunden sind, stellen auch immer Perioden seelischen Niederganges dar. Wie tief der Zerfall von Treu und Glauben sich in die Meinung vieler hineingefressen hat, wie ungescheut sich gesetzlose Selbstsucht auszuleben sucht, davon geben öffentlich aufgezeigte Korrup- tions- und andere kriminelle Affären ein genugsam überzeugendes Bild. Von unseren Volksvertretern verlangen wir, daß sie mit allem Nachdruck, den ihnen ihr Mandat gibt, für die sittliche Erneuerung des öffentlichen Lebens wirken. Die erste Voraussetzung ist, daß sie selbst reine Hände haben und bewahren. Mit Betonung sei daran erinnert: ein Mandat ist niemals dazu da, seinen Träger zu bereichern. Ein Mandat ist eine Vertrauensbürde, und wer sie auf sich nimmt, muß dies uneigennützigen, selbstlosen Willens tun. Ehrliche Liebe zu Volk und Heimat muß den Volksvertreter in der Ausübung seines Mandats’ entscheidend bestimmen, mehr noch, ihn befähigen, die eigenen Interessen hintanzuhalten und an ich selbst zuletzt zu denken. Wir kennen solche Persönlichkeiten auch im heutigen öffentlichen Leben und ihnen gilt unsere restlos vertrauende und verehrende Liebe. Die frühere österreichische Gesetzgebung kannte ein Unvereinbarkeitsgesetz, demzufolge die Stellung des Abgeordneten die Teilhaberschaft an geschäftlichen Bindungen ausschloß, welche die Unabhängigkeit seines Urteils in Frage stellte. Das Wiederaufleben dieses Gesetzes ist zu wünschen, und mehr noch als das geschrie-’ bene Wort die Anerkennung des in ihm ausgedrückten Grundsatzes durch die persönliche Haltung der von uns gewählten Volksboten. Den redlichen Menschen widert nichts so an als der Schwerverdiener in der Würde des Volksvertreters.

Wir Katholiken haben auch eine Reihe von Kulturforderungen aufgestellt, deren Einlösung wir erwarten. Wir wissen, daß in den Sadibeziehungen mancher dieser Fragen Lösungen von heut auf morgen nicht gefunden werden können, daß ebensowohl Schwierigkeiten de politischen Kräfteverhältnisses wie der praktischen Durchführung überwunden werden müssen.

Aber wir werden nur dann an das ernst und ehrliche Bemühen unserer Volksvertreter in diesen für uns wesentlichen Forderungen glauben, wenn sie selbst da Beispiel eines sauberen christlichen Lebens geben.

Wir vertrauen keinem, der sich zwar Christ nennt, aber nicht als Christ lebt. Wir sind weit davon entfernt, uns von einer verantwortungslosen Gerüchtemacherei beeinflussen zu lassen. Wer ein Volksmann ein will, darf kein Doppelleben führen, das Wort und Tat auseinanderreißt. Diejenigen, die haben wollen, daß wir aufrechten Christen zu ihnen tehen, die müssen sein, „als hätten die Tauben sie gelesen". Ihr Persönlichkeitsbild, ihr Ehrenschild muß blank sein — nicht nur dem Wortsinn des geschriebenen Gesetzes nach. Wer das nicht verstehen will, dem wird das Vertrauen der katholischen Bevölkerung versagt werden, deutlicher als es zuvor geschehen ist. Mag man uns unduldsam, allzu streng schelten. In dieser Forderung nach Wahrheit und Sauberkeit wollen wir keine Nachsichten kennen.

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