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Das weiße Halbjahr

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Mit einem hörbaren Seufzer der Erleichterung wird der eine oder andere Abgeordnete oder Senator am Morgen des 11. November das Kalenderblatt vom Vortag abreißen. Denn vom

11. November ab fehlt dem Präsidenten der Republik, Giovanni Gronchi, eine seiner bisherigen Vollmachten, vielleicht die wichtigste von allen: das Parlament auflösen und Neuwahlen ansetzen zu können. Voh diesem Tag an beginnt näriilich’’Jdas letzte halbe Jahr seiner Amtszeit, und die Verfassung nimmt ihm in diesen letzten sechs Monaten die Möglichkeit, die Parlamentsauflösung etwa als Druckmittel gegen die Parlamentarier zu mißbrauchen, um dadurch die Wiederwahl zu erzwingen. Denn Italien gehört zu den Ländern, wo das Staatsoberhaupt nicht vom Volk, sondern von den beiden zu gemeinsamer Sitzung zusammengetretenen Parlamentszweigen gewählt wird.

Riß quer durch die Katholiken

Die Senatoren und Abgeordneten haben also ein Semester lang ihr Mandat als gesicherten und unanfechtbaren Besitz. Daher ihre Erleichterung über die glückliche Erreichung des Stichtages. Denn die innerpolitische Krise schwelt dahin. Fanfani hält sich nur mit einem halsbrecherischen Balanceakt auf dem Regierungsseil, die Divergenzen in der „Regierung der Konvergenz” von Christlichdemokraten, unterstützt von den rechtsstehenden Liberalen und den linksstehenden Sozialdemokraten und Republikanern, könnten nicht größer sein. Das Thema der Krise ist immer das gleiche: Republikaner und Sozialdemokraten drängen zum Bündnis mit den Linkssozialisten Nennis, und die Liberalen wachen argwöhnisch darüber, daß dies nicht geschehe. Die Bruchlinie der Meinungen geht aber auch mitten durch die Democrazia Cristiaria (DC), sie trennt den Parteisekretär Aldo Moro von dem Regierungschef Amintore Fanfani, sie läuft durch die katholischen Wählermassen, durch die Katholische Aktion, bei genauerem Hinsehen sogar durch den Klerus, und ihre letzte Verzweigung erreicht das Staatsoberhaupt.

Parteisekretär Moro hat den ihn bedrängenden Republikanern und Sozialdemokraten versprochen, daß der Kongreß der Partei „endgültig” über die Allianz mit den Linkssozialisten entscheiden werde, und sie gebeten, bis dahin Geduld zu haben und nicht aus der Reihe zu brechen. In dem offiziellen Wochenblatt der DC, „La Discussione”, fleht er die Republikaner an, „die Konvergenz zumindest bis zur letzten Jännerwoche aufrechtzuerhalten, wenn die Entscheidungen des christlichdemokratischen Kongresses eine neue Seite im Buch der Politik aufschlagen werden”. Das klingt wie ein Versprechen der „Öffnung nach links”. Aber wird Moro es halten können? Der Entschluß, sich mit einer eindeutig marxistisch ausgerichteten und in ihrem äußersten linken Flügel eindeutig kommunistenfreundlichen Partei zu verbünden, ist für die DC als katholische Massenpartei, die weitgehend die Unterstützung des Klerus und der höchsten kirchlichen Stellen genießt, zweifellos der schwerwiegende, der von ihr zu verlangen ist. Nur die zwingende Notwendigkeit der widrigen parlamentarischen Situation, die En,ge der demokratischen Basis und die Gefahr des Kommunismus können erklären, daß sie sich überhaupt die Frage vorlegt nicht gerade Giovanni Gronchi auf dem Präsidentenstuhl säße. Weder De Nicola noch der eben verstorbene Luigi Einaudi haben jene Polemiken, Kritiken, Verdächtigungen, jenes Mißtrauen und auch jene Verleumdungen gegen sich wachgerufen wie „der katholische Aktivist auf dem Präsi- dentenstuhl”. Es hängt dies damit zusammen,-daß die ersteren ihr Amt ohne jede politische Ambition bekleideten, während sie Gronchi in .höchstem Maße hat, aber auch mit den merkwürdigen Wandlungen, die der gegenwärtige Präsident während der letzten sieben Jahre durchgemacht hat. Erinnern wir uns, daß Gronchi im Frühling 1955, entgegen dem Willen der Christlichdemokratischen Partei, der er angehörte, auch mit kommunistischen und linkssozialistischen Stimmen gewählt wurde, weil er auf dieser Seite als „progressiver Katholik” galt; daß er mit seiner ersten Proklamation an das Parlament einen sozial ausgerichteten Aktivismus zu entfalten versprach, von dem dann später, von einigen Reden abgesehen, nichts zu sehen war, nichts gesehen werden konnte, weil die italienische Verfassung derstützte Regierung des Fernando Tam- broni aufzwang.

Das unwirksame Ultimatum

Die Vorgänge der letzten Wochen haben gezeigt, daß Giovanni Gronchi noch nicht am Ende jener „Wandlungen” angelangt ist, die ihm seine zahlreichen Gegner zuschreiben. Es hat wie eine Bombe eingeschlagen, daß Parteisekretär Moro knapp vor Torschluß, vor Beginn des „weißen Halbjahrs” also, den Republikanern plötzlich die ultimative Frage vorlegte, ob sie die Regierung nun bis Ende Jänner unterstützen wollten oder nicht. Es war klar, daß Moro den unbekannten Fährnissen des kommenden Semesters ausweichen und lieber die sofortige Regierungskrise wollte. Aber Ministerpräsident Fanfani sagte zu Journalisten sanft, er wisse nichts von einem Ultimatum, er sei bei den letzten Sitzungen der Parteiführung nicht anwesend gewesen und sei gegen eine Regierungskrise ohne vorausgegangene Debatte im Parlament. Moros Ultimatum fiel damit ins Leere, denn für den von Fanfani angedeuteten Weg fehlte die Zeit; es verschwand aus den Schlagzeilen der Zeitungen.

Sollte sich Fanfani zu solchen Äußerungen berechtigt geglaubt haben, ohne aus seinen mehrmaligen Gesprächen mit Gronchi die Überzeugung, die Gewißheit vielleicht, gewonnen zu haben, daß von dieser Seite aus keine die Absichten Moros begünstigende Initiative zu erwarten sei? Es ist nicht anzunehmen. Die berufsmäßigen politischen Beobachter meinen vteltti htv-jdäß Grotfičhi im Begriff” sei’,’1 den Li®kan seine Hand zu biete , writ 1 seinen-Entschlüssen die „Öffnung nach links” zu begünstigen. Wenn dies wirklich der Fall sein sollte, dann darf man freilich mit Spannung darauf warten, was das „Semestre bianco” den Italienern bringen wird. Die neuerliche Schwenkung Gronchis wird im allgemeinen damit erklärt, daß er erkannt habe, die Christlichdemokraten seien außerstande, sich auf einen einzigen Kandidaten für die Präsidentenstelle zu einigen, so daß auch der nächste Präsident wieder nur mit den Linksstimmen in den Quirinal- palast gelangen kann.

Fanfani bereitet etwas vor

Für den christlichdemokratischen Parteikongreß, der vom 27. bis

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