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DC zwischen rechts und links

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Aus den großen Zeitungstiteln, die der nach dem Rücktritt Segnis entstandenen Regierungskrise gewidmet werden, darf nicht auf das Interesse des Publikums geschlossen werden; nach einigen erfolglosen Versuchen, etwas von den verwickelten Vorgängen hinter den Kulissen der Parteisekretariate zu verstehen, wendet es sich resigniert anderen Problemen zu. Für das Publikum ist die Krise unverständlich. Mit der Regierung Segni schien alles bestens zu laufen: es gab eine gesicherte Mehrheit im Parlament, das traurige Phänomen der Heckenschützen, die der Regierung Fanfani den Garaus gemacht hatten, war völlig verschwunden; die soziale und wirtschaftliche Entwicklung war noch nie so gut vorangekommen wie im letzten Jahr, die Außenhandelsbilanz hat sich verbessert, das Defizit konnte um mehr als 30 Prozent abgebaut werden; die Arbeitslosenzahl ist um ein Fünftel gesunken; endlich war mit dem „Grünen Plan“ auch für die Landwirtschaft etwas getan worden; im Ausland hat sich Italien einige günstige Aufträge sichern können, zum Beispiel den Bau einer Erdölleitung in Indien. Die Regierung Segni war seit ihrer Bildung vor einem Jahr, am 23. Februar 1959, nicht um einen Millimeter von dem damals vorgelegten und von den Parteien der Mehrheit angenommenen Programm abgewichen.

Nun aber erfährt das Publikum, daß die Lage unerträglich geworden sei und eine Änderung der Dinge dringend geboten. Die „serenitas“ der Regierung Segni, die heitere Windstille auf den parlamentarischen Wassern hat jene Männer, die berufen sind, die Tiefen der öffentlichen Meinung auszuloten, nicht darüber hinwegtäuschen können, daß dort unten Bewegungen im Gange sind, trübe Strudel sich bilden und Strömungen. So fruchtbar die Tätigkeit der Regierung Segni nach außen hin schien, so ließ sie doch weiteste Kreise unbefriedigt, weil die Grundprobleme ungelöst blieben. In ihrer Wirkung ähnelte die Allianz mit der Rechten jenen Beruhigungspillen, die die Amerikaner „tran-quilizers“ nennen und deren Gefährlichkeit ge-': rade darin besteht, weil sie über gewisse objektive Situationen hinwegtäuschen, ohne die Situation selbst im mindesten zu ändern.

Die Erhöhung des Lebensstandards und die zunehmende Verbürgerlichung des norditalienischen Arbeiters mag der kommunistischen Partei im Norden Einbußen verursachen, unter den beamteten Intellektuellen der Verwaltungszentren und dem sich langsam aus dem dumpfen Dasein erhebenden Unterproletariat des Südens ist sie im Fortschritt. Im ganzen liegen keine Anzeichen der Schwächung der Kommunisten seit der rasch überwundenen ungarischen Krise vor. Der Parteiapparat ist eine klaglos funktionierende Maschine, an der der Transformismus Togliattis immer wieder zweckdienliche Modernisierungen vornimmt. Die internationale Entspannungspolitik hat sich schließlich nicht als Störung erwiesen, sondern ölt eher das Getriebe.

Dennoch würden die Kommunisten keine Gefahr für die demokratische Gemeinschaft darstellen, wenn die traditionelle Regierungspartei, die christlichdemokratische, nicht dauernd durch das Problem der parlamentarischen Mehrheit gequält würde. Sie muß nämlich damit rechnen, daß die Anziehungskraft nicht der kommunistischen, sondern der anderen Linksparteien, besonders der Sozialisten Nennis, unter der Wählerschaft wachse. Wahlen, die in den Gemeinden, stehen vor der Tür. Aber über den zufälligen Anlaß hinaus muß es die christliche Demokratie als ihre Aufgabe betrachten, den Sozialismus für das demokratische Lager zu gewinnen und ihn nicht für alle Zukunft am Arm der Kommunisten zu lassen. Die Aufgabe geht vielleicht über die Kräfte und die Möglichkeiten der Democrazia Cristiana hinaus, aber nur die Kurzsichtigkeit kann bestreiten, daß sie legitim ist.

Am 24. Februar, bei schon eröffneter Krise, schrieb das offizielle Wochenblatt der christlichdemokratischen Partei, „La Discussione“, wörtlich: „Man möge die DC nicht anklagen, weil sie — obwohl der Schwierigkeiten bewußt, die sich der Ausweitung der demokratischen Basis entgegenstellen fr das- Spiel der .Kommunisten nicht mitmachen will, indem sje systematisch die Entwicklung des Sozialismus zur Autonomie (von den Kommunisten) hin entmutigt, eine Evolution, die früher oder später schicksalhaft eintreten muß.“

Es ist wahrscheinlich, daß auch in dieser gegenwärtigen politischen Krise das Problem der Wiedergewinnung des Sozialismus nicht gelöst wird und die „Öffnung nach links“ sich noch als undurchführbar erweist. Aber man wird der Lösung um einen weiteren Schritt näher gekommen sein. Und dies sowohl in bezug auf die christlichdemokratische wie auf die linkssozialistische Partei. Von Parteikongreß zu Parteikongreß, von Regierungskrise zu Regierungskrise vergrößern sich die Distanzen zwischen Nenni und Togliatti und verringern sich die zwischen den Sozialisten und dem demokratischen Zentrum. Versuche, den langsamen Entwicklungsprozeß gewaltsam zu beschleunigen, wie zum Beispiel in der berühmt gewordenen Begegnung von Saragat und Nenni in Pralognan, haben regelmäßig zu Rückschlägen geführt. Die von Nenni heute gestellten Bedingungen für eine Zusammenarbeit mit der DC sind „beinahe schon akzeptabel“. Beinahe, aber noch nicht völlig. Doch auch die Democrazia Cristiana macht einen Entwicklungsprozeß durch. Noch Fänfani stürzte über den bloßen Verdacht, er könnte Verbindungen mit den Linkssozialisten suchen. Moro darf bereits offen sagen, daß dieses Problem zumindest theoretisch auf dem Tapet ist.

Wenn in dem Rücktritt Segnis und in der jetzigen Krise ein Sinn zu suchen ist, dann karm es nur dieser sein: eine weitere Etappe der Demokratisierung der Linkssozialisten hinter sich zu bringen. Die Krise hat ihren Sinn bereits erfüllt, wenn es diesmal auch nur zu einer Regierung der linken Mitte, mit Republikanern und Sozialdemokraten, eventuell bei Stimmenthaltung der Linkssozialisten, kommen sollte. Sie hätte ihren Sinn in das Gegenteil verkehrt, wenn die Krise in eine neuerliche Verbündung mit den Parteien der extremen Rechten ausmünden sollte. Niemand verkennt die enormen programmatischen und ideologischen Schwierigkeiten, welche sich der christlichen Demokratie auf einem solchen Weg entgegenstellen. Es ist durchaus verständlich, ja sogar berechtigt, wenn Gruppen, die ihre Interessen gefährdet glauben, sich der Entwicklung entgegenstellen, wie etwa die Confindustria, der Industriellenverband Italiens, der über der prinzipiellen Einstellung gegenüber der ihm sehr genehmen Regierung Segni zum erstenmal in Konflikt mit den Liberalen kam, mit der Partei also, die er bisher unterstützt und in der er seinen besten Ausdruck gefunden hat. Vergeblich haben der Präsident der Confindustria, De Micheli, und einflußreiche Wirtschaftsleute, wie der Fiat-Chef Valletta, den Führer der Liberalen Malagodi von seinem Entschluß zurückzuhalten versucht, mit Segni zu brechen.

Die weltanschauliche Kluft zwischen den Christlichdemokraten und den Sozialisten läßt auch manche kirchliche Kreise von jedem Bündnis abraten, während andere durchaus für einen Brückenschlag sind, damit die Sozialisten über die Kluft kommen können. Denn es wäre sehr schlecht um die Kraft des katholischen Glaubens bestellt, meinen sie, wenn man eine Wanderung in umgekehrter Richtung befürchten wollte. Schließlich werden unsere katholischen Missionäre auch in das Land der Heiden geschickt und nicht in die Wallfahrtsorte, wo sie weitgehend überflüssig wären. Welche von den beiden Meinungen die „offizielle“ ist und ob und inwieweit ein Druck kirchlicher Stellen gegen die Linkswendung der Democrazia Cristiana besteht, entzieht sich unserer Kenntnis. Vielleicht gibt es überhaupt keine „offizielle“ Meinung in dieser spezifisch politischen Frage. Freunde und Feinde der katholischen Kirche unterliegen häufig dem gleichen Irrtum, den Vatikan wegen seiner äußerlichen Merkmale eines souveränen Staates mit der Regierung eines solchen im üblichen Sinne gleichsetzen zu wollen. Doch gibt es keine vatikanische Regierung in dem Sinne, daß etwa das Kardinalskollegium in regelmäßigen Abständen zusammentritt, um eine bestimmte Haltung oder Richtung in gewissen Fragen, und gar in politischen, festzulegen. Solche Vorstellungen würden eine Degradierung der hervorragend spirituellen Aufgaben und Herrschaft des Heiligen Stuhles bedeuten. Und mögen auch die Kardinäle die gleiche Stimme ihres wachen katholischen Gewissens vernehmen, in manchen Dingen können die Meinungen dennoch verschieden sein, wie es auch die Erfahrung immer wieder beweist.

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