Dekonstruktion und Israelhass

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Die US-amerikanische Starphilosophin, Gender-Theoretikerin und Literaturwissenschaftlerin Judith Butler, vor kurzem in Wien zu Gast, fordert in ihrem letzten Buch die Abschaffung Israels. - Eine Gegenrede.

Es war stets ein Rätsel, warum eine Frau wie Judith Butler, die die Elogen der US-amerikanisch-palästinensischen Genderforscherin Lila Abu-Lughod auf die Burka gutheißt, als Vordenkerin des Feminismus gelten kann. Abu-Lughod schreibe der Vollverschleierung von Frauen, so Butler, "wichtige kulturelle Bedeutungen“ zu. In ihrer Essaysammlung "Gefährdetes Leben“ bringt Butler Abu-Lughods Verdikt gegen die "Dezimierung islamischer Kultur“ und eine "Ausbreitung von US-amerikanischen kulturellen Annahmen, wie Sexualität und Handlungsfähigkeit zu organisieren und darzustellen seien“ gegen die Bilder entschleierter afghanischer Mädchen und Frauen in Anschlag. Die Verschleierung der Frau könne, so fasst Butler einen Vortrag Abu-Lughods zustimmend zusammen, auch als "eine Übung in Bescheidenheit und Stolz“ verstanden werden und diene "als Schleier […], hinter dem und durch den die weibliche Handlungsfähigkeit wirken kann“. Kritik am islamischen Tugendterror diskreditiert Butler als "kulturimperialistische Ausbeutung des Feminismus“.

Absage an universelle Freiheit

Jener Teil des Anhangs der Queer-Theoretikerin, der den Feminismus noch einigermaßen ernst nimmt, musste vor solchen Aussagen, die eine Absage an eine universelle Vorstellung von Freiheit darstellen, stets die Augen verschließen. Ähnlich verhielt man sich, als Butler 2012 den Adorno-Preis der Stadt Frankfurt/M. verliehen bekam. Im Zuge der durch die Preisverleihung ausgelösten Diskussionen über ihre israelfeindlichen Aussagen versuchten das Preiskomitee und viele Fans der Gender-Philosophin, Butler mit der Behauptung in Schutz zu nehmen, sie würde sich lediglich gegen den fortgesetzten Siedlungsbau aussprechen und konkretes Regierungshandeln in Israel kritisieren. Das war zwar angesichts der Verlautbarungen der Starphilosophin auch damals schon kaum haltbar, mit der Veröffentlichung von Butlers Buch "Am Scheideweg. Judentum und die Kritik am Zionismus“, das in der Ankündigung zu einem Vortrag von Butler an der Wiener Universität letzte Woche als eine ihrer wichtigsten Publikationen beworben wurde, dürfte diese Verteidigungsstrategie in der Zukunft aber kaum mehr durchzuhalten sein.

Das Buch (2012/13) be-ginnt mit der Lieblingslüge aller sich als Opfer rachsüchtiger Verfolgung gerierenden Antizionisten, die ohne ihre Phantasie, jegliche Kritik am Vorgehen des israelischen Staates werde von der als allmächtig halluzinierten Internationale der Israel-Verteidiger reflexhaft als antisemitisch gebrandmarkt, nicht mehr auskommen. Butler verkündet die banale Tatsache, dass es schon immer auch jüdische Kritiker des Zionismus gegeben hat, als bahnbrechende Neuigkeit, deren Thematisierung einem ausgesprochen mutigen Tabubruch gleichkomme. Sie will die endgültige Aufgabe des "politischen Zionismus“ und streitet für eine klare Absage an jede Form "jüdischer Souveränität“. Sie fordert die Abschaffung des israelischen Rückkehrgesetzes, das allen Juden die Einwanderung nach Israel garantiert, und die Verwirklichung des "Rückkehrrechts“ der Palästinenser, womit das Ende Israels als jüdischer Staat besiegelt wäre. Ihre leidenschaftlich betriebene Desavouierung der Legitimität Israels versucht sie durch ihre bereits seit Jahren proklamierte, von vielen ihrer deutschsprachigen Fans verharmloste Unterstützung des "Boycott/Divestment/Sanctions-Movements“ voranzubringen, von dem sich mittlerweile selbst prominente radikale Israelkritiker wie Noam Chomsky und Norman Finkelstein distanziert haben. Butler geht es um die "Befreiung“ ganz "Palästinas“, weshalb sie sich auch explizit gegen linke Spielarten des Zionismus ausspricht.

Faktenresistente Gesinnungsethik

Würde es mit rechten Dingen zugehen, bliebe für all jene Butler-Fans, die noch bei der Verleihung des Adorno-Preises meinten, der Autorin gehe es nur um die israelische Präsenz in der Westbank, nicht viel Spielraum. Die Professorin für Rhetorik und Komparatistik betont: "Festzuhalten ist, […] dass der Binationalismus in meiner eigenen Argumentation nicht in eine Zweistaatenlösung mündet, sondern in einen einzigen Staat.“

Butler abstrahiert nicht nur vom gegenwärtigen Antisemitismus, sondern von der gesamten Vorgeschichte der israelischen Staatsgründung. Die Vertreibungen von Palästinensern 1948 sind für sie kein Resultat eines bereits jahrzehntelang währenden Konflikts, der maßgeblich durch den arabischen Antisemitismus befeuert wurde, und keine Konsequenz aus dem von arabisch-palästinensischer Seite provozierten Krieg, sondern im Wesen des Zionismus begründet. Die Vertreibungen von Hunderttausenden Juden aus den arabischen Ländern finden bei ihr keine Erwähnung. Von der Geschichte des arabischen Antisemitismus und den aktuellen Bedrohungen Israels durch das iranische Regime ist bei ihr ebenso wenig die Rede wie vom Judenhass der Hamas oder der Hisbollah, die Butler einmal als "fortschrittlich“ charakterisiert und als "Teil der globalen Linken“ bezeichnet hat. Über 100 Jahre Nahostkonflikt stülpt sie ihre faktenresistente universalistische Gesinnungsethik, in der djihadistische Mörderbanden problemlos als Verbündete im Kampf gegen Israel Platz finden.

Butlers zentrales Argument ist die Mobilisierung eines abstrakten und geschichtslosen Universalismus gegen den Partikularismus des Zionismus. Sie verkennt nicht nur das in den unterschiedlichen Ausprägungen des Judentums stets präsente Spannungsverhältnis von Partikularismus und Universalismus, sondern ignoriert die seit Jahrzehnten in den diversen zionistischen Strömungen existierende Diskussion über Separatismus und Kosmopolitismus, über universalen Anspruch und notwendigerweise partikulare Praxis. Butler und ihre Fans wollen nichts davon wissen, dass der Partikularismus des Zionismus ein aufgezwungener, kein frei gewählter ist. Wer sich an ihm stößt, sollte etwas gegen seine Ursache unternehmen: den Antisemitismus. Den jedoch befördert Butler allein schon dadurch, dass sie sich für ihre Kritik ausgerechnet den jüdischen Staat herausgreift. Was an Israel kritisiert wird - seine Staatsgewalt, sein Nationalismus, die Absicherung eines Territoriums - wünscht Butler sich ihrem post-nationalen Konzept zum Trotz für die palästinensischen Brüder und Schwestern. Über den Inhalt von deren politischen Projekten und Nationalismus verliert sie kein Wort und stellt sie außerhalb jeder Kritik. In ihrer Parteinahme für die Sache "Palästinas“ entpuppt sich die politische Theorie der post-souveränen Denkerin des Antinationalismus als Kumpanei mit der Barbarisierung.

* Der Autor ist Lehrbeauftragter an der Universität Wien

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