6758156-1968_04_07.jpg
Digital In Arbeit

Dem Volke näherkommen

Werbung
Werbung
Werbung

Die christdemokratische Partei ist katholisch und sozial. Daher scheitern zum Beispiel alle Versuche, ein Scheidungsgesetz durchzusetzen, aber es gibt — nur in Chile! — Ansätze zu einer staatlich begünstigten Geburtenkontrolle. Die Methode, mit der die auf dem Lande feudalistische und in der Stadt frühkapitalistische typische Struktur eines „Entwicklungslandes“ überwunden werden soll, ist aber innerhalb der christdemokratischen Partei strittig.

Dabei geht es besonders um das Schlagwort „antikapitalistisch“. Frei sucht einen Mittelweg zwischen „Kapitalismus“ und Marxismus. Die von ihm ins Leben gerufene Bewegung „Promooiön Populär“ („Volks- Förderung“) besteht in der Praxis in einer Art Selbsthilfe von Gemeinden oder noch kleineren Gruppen, die Wege oder Schulen bauen, zuweilen auch Kleinindustrien genossenschaftlich aufziehen. Frei hat diese Bewegung mit großer Propaganda begonnen, vor allem, um „dem Volk naheziukommen“ und hierbei durch die Beeinflussung der lokalen Zellen den Kommunisten erfolgreich entgegengearbeitet. Aber die „Promociön Populär“ ergänzt die wirtschaftspolitische Tendenz, ohne sie zu ersetzen.

20 Prozent Inflation

Der linke Flügel der Partei unter Führung des Senators Rafael Gumuzlo strebt eine Wirtschaftsstruktur an, die der heutigen jugoslawischen ähnlich ist. Frei will nicht gegen, sondern mit dem ausländischen Kapital Chile aus seiner Rückständigkeit erlösen. Seine Partnerschaft mit den nordamerikanischen Kupfergesellschaften, durch die die wirtschaftliche Situation Chiles grundlegend gebessert werden soll, ist ein Beweis dieser Gesinnung. Der augenblickliche Konflikt deutet in die gleiche Richtung. Frei will nicht die Inflation nur auf Kosten der Masse bremsen. Die Preissteigerung des Jahres 1967 'an 20 Prozent soll in der Anpassung der Löhne für das laufende Jahr zu 15 Prozent in bar ausgeglichen werden; 5 Prozent sollen aber in einen Zwangssparfond geleitet werden, an den die Arbeitgeber den gleichen Betrag zu leisten haben. Damit schöpft die Regierung einen Teil des aufgeblähten Geld umlaufes ab und schafft sich gleichzeitig Mittel für öffentliche Arbeiten, besonders den intensiven Wohnungsbau. Der linke Flügel der Partei ist mit diesem Plan nicht einverstanden, weil er jede Belastung der Masse vermeiden will. Frei hat in einer 15stündigen Sitzung des Parteiausschusses (mit 278 gegen 202 Stimmen) gesiegt; aber die Gefolgschaft zu seiner „Ordnungspolitik“ war nicht unbeschränkt: Mit 239 gegen 235 Stimmen lehnte die Partei es ab, das auf ein Jahr vorgesehene Streikverbot zu billigen.

Obwohl der überstimmte Parteivorstand mit Gumuzio an der Spitze vorzeitig die Tagung verließ, deutet — mindestens im Augenblick — noch nichts auf die Bildung einer neuen eigenen Splitterpartei durch ihn. Dagegen ist die Sozialistische

Partei durch den Austritt des Senators Raul Ampuero gespalten; er hat den „Partido Socialista Populär“ („Sozialistische Volkspartei“) gegründet. Nicht nur dadurch sind die Aktien des früheren Präsidentschaftskandidaten Pr. Salvador Allende, des traditionellen Gegen spielers von Frei und berühmten Freundes von Fidel Castro, auf Null gesunken. Seine Macht beruhte auf dem Bündnis mit den Kommunisten in der „FRAP“ („Volksfront“).

Gefährliche Wahlsensatioo

Die chilenischen Kommunisten haben — wie die venezolanischen — im Gegensatz zu den Sozialisten die Revolutionspropaganda aus Havanna abgelehnt und — nach der Moskauer Koexistenzparole — das Bündnis mit „fortschrittlichen bürgerlichen Kräften“ gesucht. Das fällt ihnen um so leichter, als die sogenannten „Radikalen“ (Liberalen), die scharf antiklerikal und damit gegen Frei eingestellt sind, zur Zeit von einer linksorientierten Gruppe beherrscht werden. So ist ein prominenter Vertreter der „radikalen“ Partei, Alberto Baltra, Präsident des chilenisch-sowjetischen Kulturinstitutes. Bei den kürzlichen Nachwahlen um einen Senatssitz in Südchile errang er durch die öffentliche Unterstützung der Kommunistischen Partei mit 58.369 Stimmen (22 mehr als sein christlich-demokratischer Gegner) einen vielbeachteten Sieg. Obwohl beide Gruppen des Sozialismus Wahlenthaltung proklamiert hatten, haben offenbar auch zahlreiche Anhänger dieser Partei für Baltra gestimmt. Außerdem ergab sich ein starkes Anwachsen der Rechten („Nationale Partei“).

Dieses Wahlergebnis erregt deshalb solches Aufsehen, weil sich aus ihm die Möglichkeit ergibt, daß eine aus Radikalen und Kommunisten umgebildete „Volksfront“ die Christdemokraten bei den Präsident-

schaftswahlen im Jahre 1970 verdrängen könnte; eine Gruppierung, die übrigens im Jahre 1946 den chilenischen Präsidenten Gonzalez Videla an die Macht brachte, der seine kommunistischen Parteigänger kurz nach den Wahlen ausbootete und verbot

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung