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Digital In Arbeit

Dem Wohle aller dienen

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Der Österreichische Gewerkschaftsbund vertritt in erster Linie die Interessen seiner Mitglieder. Er nützt damit auch allen jenen Arbeitern und Angestellten, die noch nicht seine Mitglieder sind. In letzter Konsequenz nützt aber seine verantwortliche Politik der Gesamtheit. Der ÖGB dient damit dem Wohle aller.

Diese in der Öffentlichkeit nicht immer hinreichend erkannte und gewürdigte Haltung entspringt nicht einer idealistisch-verschwommenen Philanthropie, sondern einer völlig nüchternen und sachlichen Erwägung. Die enge soziale und wirtschaftliche Verflechtung innerhalb eines Staatswesens und auch darüber hinaus bewirkt, daß nur bei einem allgemeinen Wohlstand und Frieden der Wohlstand des einzelnen oder einer Gruppe gewährleistet ist. Der atavistische Kampf jedes gegen jeden nützt keinem, sonderii zerstört die Grundlagen des gemeinsamen Aufstieges.

Wenn es für solche Erwägungen noch des Beweises bedarf, so geben die Erfahrungen der Vergangenheit derartige Beweise genug. So war es beispielsweise ein verhängnisvoller Fehler, daß man einst annahm, man könne gegen die Arbeiterschaft regieren. Es hat sich dann nur allzu deutlich gezeigt, daß man die Arbeiter und Angestellten nicht sozial benachteiligen und politisch bevormunden kann, sondern daß dies unvermeidlich schwerste Rückwirkungen auf das gesamte Staatswesen haben muß.

Auch die Arbeiter- und Angestelltenschaft hat an Erfahrungen gewonnen und aus der Vergangenheit nützliche Lehren gezogen. Mit großen Worten müssen nicht immer auch große Taten verbunden sein, auf die Taten aber kommt es an. Und wenn man soziale Gerechtigkeit auf seine Fahnen schreibt, dann muß man auch den anderen Gerechtigkeit widerfahren lassen. Jegliche Errungenschaft ist nur gesichert, wenn Demokratie und Freiheit gesichert sind, diese kann es aber immer nur für alle geben und nicht für einzelne oder eine Gruppe.

Eine solche Erkenntnis ist ein Zeichen politischer Reife, keineswegs aber eine Abkehr von zielbewußter gewerkschaftlicher Interessenvertretung. Im Gegenteil, die Übereinstimmung der unmittelbaren Lebensinteressen mit dem Gesamtinteresse macht die gewerkschaftliche Tätigkeit noch aussichtsreicher und damit fruchtbarer.

Der Österreichische Gewerkschaftsbund war und ist sich also seiner großen Verantwortungbewußt. Zu meinem Bedauern muß ich sagen, daß andere Kreise und Kräfte in unserem Land eine ähnliche Einstellung oft vermissen lassen. Wir haben immer und immer wieder auch bei den anderen einen guten Willen und eine aufrichtige Verhandlungsbereitschaft vorausgesetzt, so wie wir sie selbst stets besessen haben. Wir wurden darin zuweilen enttäuscht.

Dennoch will ich hier keine Anklagen erheben, sondern lieber zur Vernunft mahnen. Denn was für die Arbeiter und Angestellten gilt, daß nämlich ein einseitiger Egoismus ihnen auf die Dauer nicht nützen kann, das gilt in gleichem Maße auch für die andere Seite. Der in den vergangenen Monaten manchmal festzustellende Gruppenegoismus auf der Gegenseite, der geradezu unverhohlene „Klassenkampf von oben" und die manchmal versuchte offene Herausforderung der Gewerkschaften können nur zu einer schädlichen Radikalisierung und damit zum Ende des sozialen Friedens führen.

Es wäre verhängnisvoll, sich darauf zu verlassen, daß bei Konjunktur und Vollbeschäftigung jede Radikalisierung zwangsläufig abgeschwächt wird. Das ist ein Trugschluß. In Wahrheit sammelt sich dann der Unmut und findet bei erster Gelegenheit ein Ventil, spätestens bei einem möglicherweise eintretenden wirtschaftlichen Rückschlag. Dann wäre es auch für Mahnungen zur Verantwortlichkeit zu spät.

Ich bin mir dessen bewußt, daß es in allen Kreisen der österreichischen Bevölkerung, also auch in der Unternehmerschaft, genug Menschen gibt, die ebenso denken und die jede politische Herausforderung mißbilligen. Deshalb sei auch niemand pauschal der Verantwortungslosigkeit bezichtigt, wohl aber sei mit allem Nachdruck darauf hingewiesen, daß staatspolitisches Verantwortungsbewußtsein nicht eine einseitige Angelegenheit sein kann.

Ohne soziale Gerechtigkeit kann es keinen sozialen Frieden geben und ohne sozialen Frieden kann es auch keine geordnete Wirtschaft und damit auf die Dauer keinen Wohlstand geben. Auch wir in Österreich werden die Auswirkungen der europäischen Wirtschaftsintegration stärker zu spüren bekommen. Das wird nicht nur Vorteile, sondern auch große Probleme mit sich bringen. Diese Probleme werden sich nur einvernehmlich, in loyaler Zusammenarbeit aller positiven Kräfte lösen lassen.

Die Gewerkschaften treten mit vollem Recht für den sozialen Ausgleich ein, und sie werden ich von ihren Aufgaben nicht abbringen lassen und auch nicht von ihrer bisherigen Politik der Verantwortlichkeit gegenüber der Gesamtheit. Die Gewerkschaften betreiben dabei auch keine Geheimpolitik, sondern sie sagen und begründen genau, was sie anstreben. Ihre konkreten Zielsetzungen wurden bereits 1955 in einem einstimmig beschlossenen Aktionsprogramm festgelegt. Die Verwirklichung dieses Programms soll den arbeitenden Menschen zunächst Sicherheit bringen, nämlich die Sicherheit der Existenz.

Die Gewerkschaften treten daher für eine Wirtschaftspolitik ein, welche die Vollbeschäftigung, also die Sicherheit des Arbeitsplatzes, gewährleistet. Aber auch die Sicherheit vor den Folgen unverschuldeter Not im Falle der Arbeitslosigkeit, Krankheit, Invalidität oder Arbeitsunfähigkeit im Alter gehört zu unseren Zielen. Schließlich ist es, wie ich hier angedeutet habe, ein allgemeines Anliegen, durch die Stärkung der Demokratie zum inneren und äußeren Frieden beizutragen.

Frieden und Fortschritt kann es nur geben, wo auch Gerechtigkeit herrscht. Deshalb treten die Gewerkschaften für die soziale Gerechtigkeit, insbesondere für die Gerechtigkeit hinsichtlich der Entlohnung und der Mitbestimmung in Wirtschaft und Betrieb ein. Die Ausnützung einseitiger Machtfülle führt erfahrungsgemäß immer zu Ungerechtigkeit. Die Gewerkschaften haben der Macht der wirtschaftlich Stärkeren die Macht der Organisation gegenübergestellt und erst damit jenes Gleichgewicht geschaffen, welches allein die Gerechtigkeit verbürgen kann.

Wir stehen bald am Beginn eines neuen Jahres. Da sollte man neue Kraft und Zuversicht schöpfen können. In dem Bewußtsein, daß die weitaus überwiegende Mehrheit der Bevölkerung unseres Landes eine gesunde und gedeihliche Weiterentwicklung wünscht, fassen auch wir Gewerkschafter neuen Mut. In einer friedlosen und zerrissenen Welt soll Österreich ein Beispiel schöpferischer Tatkraft geben können

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