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„Demokratie ist die Ideologie des Satans”

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Die Angst vor dem Islam geht um. Ein Politologe warnt vor einem „Kampf der Weltkulturen”. Er wird im Westen stattfinden.

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Die Angst vor dem Islam geht um. Ein Politologe warnt vor einem „Kampf der Weltkulturen”. Er wird im Westen stattfinden.

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Den Kalten Krieg haben wir gewonnen. Nach einer siebzigjährigen Verirrung kommen wir nun zur eigentlichen Konfliktachse der letzten 1300 Jahre zurück: „Das ist die große Auseinandersetzung mit dem Islam.”

So erinnerte bei seiner Abschiedsrede im Jahr 1988 der damalige NATO Generalsekretär John Galvin an das neue alte Bedrohungsszenario Islam. Solange der Kommunismus die Bürger im „goldenen Westen” in Spannung hielt, wurden selbst tiefgreifende Krisen in der Welt des Islams nur als fernes Donnergrollen von dort empfunden, wo „tief hinten in der Türkei die Völker aufeinan-derschlagen”. Seit dem Ende der kommunistischen Bedrohung steigt die Aufmerksamkeit gegenüber der Religion Muhammads stetig. Die Affäre um den Schriftsteller Salman Rushdie, der zweite Golfkrieg und die damit einhergehenden Demonstrationen selbstbewußter Moslems machten es auch in Europa bewußt: Der Islam spielt eine Rolle. Und das nicht nur in jenen Regionen, die wegen des Benzinpreises wichtig sind. Weltweit ist der Islam die Religion mit den weitaus größten Zuwachsraten.

In Afrika kommen auf jedes neu getaufte Kind sieben junge Erdenbürger, die Richtung Mekka zu beten lernen. Etwa eine Milliarde Erdenbürger beten zu Allah, fast 20 Prozent der Weltbevölkerung. Tendenz stark steigend. 46 Staaten der Welt nennen sich islamisch. Darunter sind märchenhaft reiche Sultanate wie Brunei und Armenhäuser wie Somalia. Feudale Monarchien wie Saudiarabien begründen ihre Legitimität ebenso mit dem Auftrag des Propheten Muhammad wie das Regime des gottesfürchtigen Revolutionsromantikers Gadaffi. In ihren Ländern vergolden Moslems Toiletten oder verhungern zu Zehntausenden. Liberale Literaturnobelpreisträger schreiben Leitartikel und ehebrecherische Frauen werden gesteinigt. Radikale und Gemäßigte bekämpfen sich, Staaten besetzen Nachbarländer und verbinden sich von Mauretanien bis Indonesien in nur scheinbarer Eintracht gegen den „zionistischen” Erbfeind Israel in ihrer Mitte.

Von einer Einheit ist der Islam weiter denn je entfernt. Das offizielle Forum der islamischen Welt, die „Konferenz der islamischen Staaten” ist ein blutleeres Gebilde und repräsentiert nichts als die Summe ihrer Potentaten und Diktatoren. Nur in wenigen Ländern, in Saudiarabien, Sudan und im Iran sind Regime an der Macht, die dem in Europa gängigen Begriff „fundamentalistisch” gerecht werden. Die bei weitem überwiegende Mehrzahl der Staaten geht gegen fundamentalistische Gruppen und Parteien in ihrem Land radikal vor. Realpolitik und wirtschaftliche Sachzwänge binden die Mehrzahl der islamischen Staaten eng an den Westen. Und gerade dort organisieren sich die Islamisten. Im August 1994 verabschiedete eine Konferenz mit Tausenden Teilnehmern in London mit unerschütterlicher Gewißheit die Resolution von der unwiderruflich anzustrebenden Weltherrschaft des Islams.

Im Westen mehren sich jetzt die Stimmen, die vor einem „Kampf der Weltkulturen warnen”. Der angesehene Harvard Politologe Samuel Huntington prophezeit für das 21. Jahrhundert den unweigerlichen „Zusammenprall der Zivilisationen”, der westlichen Demokratien und dem Islam. Im Rahmen einer vehement fortschreitenden Globalisierung treten diese beiden Weltanschauungen und Lebensordnungen in einen unausweichlichen Wettbewerb um die nicht nur geistige Vorherrschaft. Die Hoffnung auf die von Huntington nach dem Ende des Kalten Krieges einst prognostizierte „dritte globale Welle der Demokratisierung” gibt der Politologe damit auf.

Seinen Ansichten geben ausgerechnet jene recht, vor denen Huntington warnt. Dem Professor aus dem Abendland stimmen die Islamisten aus dem Morgenland zu: „Der Islam ist die ideologische Bewegung des 21. Jahrhunderts”, wird Hassan Turabi, sudanesische Integrationsfigur des sunnitischen Fundamentalismus, nicht müde zu betonen. Und er läßt dabei kaum einen Zweifel, daß dieses Credo nicht nur für seine Heimat Sudan gilt. Der libanesische Fundamentalistenführer Said Shaa-ban bringt es auf den Punkt: „Unser Marsch hat begonnen, und der Islam wird zu guter Letzt Europa und Amerika erobern. Denn der Islam ist der einzige Weg zur Erlösung, der dieser verzweifelten Welt noch bleibt.”

Widerspruch ernten sowohl Huntington” als auch die fundamentalistischen Strategen vom Göttinger Universitätsprofessor und Islamwissenschaftler Bassam Tibi. Der gebürtige Syrer hält die These von einer bipolaren Welt zwischen dem Islam und dem Westen für zu vereinfachend, und die kühnen Welteroberungspläne der Islamisten für nicht realistisch: „Erst wenn die heute 46 islamischen Länder mit Gewalt in Gottesstaaten umgewandelt sind, kann man sich dem Westen, der Heimat der Kreuzzügler zuwenden und ihn islamisieren.'

Den langen Weg durch die Institutionen der Weltgeschichte wollen die radikalen Moslems jedoch abkürzen. Den moslemischen Gemeinden im Westen haben den Radikalen die Rolle der zweiten Kolonne des streitbaren Islams zugedacht. Die Situation ist günstig: Die in den liberalen Verfassungen verankerte Meinungsfreiheit garantiert den Fundamentalisten einen Agitationsfreiraum, von dem sie in den meisten islamischen Staaten nur träumen können. Ausgrenzung und Ghettoisierung bestimmen vielfach das Leben der Moslems im Westen. Der Traum vom „goldenen Westen” hat sich für die Moslems aus Entwicklungsländern als trügerische Hoffnung erwiesen. In dieses Vakuum stößt die Propaganda der Islamisten bei den Entwurzelten.

Bund zehn Millionen Moslems leben im Westen Europas. Die größten Anteile davon in Frankreich mit drei Millionen, Deutschland mit fast zwei und Großbritannien mit eineinhalb Millionen. Der überwiegende Großteil der Moslems in der Fremde hat mit dem Fundamentalismus nichts am Hut. Doch die Fundamentalisten verstehen es mit einer Politik der kleinen Nadelstiche geschickt, Keile in die Bevölkerung zu treiben.

In fast regelmäßigen Abständen beschäftigt der Kopftuchstreit in Frankreich die Bevölkerung. Moslemische Mädchen tauchen von einem Tag auf den anderen in der Schule mit einem Kopftuch auf, und fordern damit mehr heraus als die Toleranz der Franzosen für ein fremdländisches Kleidungsstück. Der französische Fundamentalismusforscher Gilles Kepel bezeichnet die Kopftücher als „eine Fahne, hinter der man in einen Konflikt mit der Gesellschaft tritt”. Im laizistischen Frankreich gilt das Verbot offener religiöser Manifestationen an den Schulen als Konsequenz der Französischen Revolution. Mit der demonstrativen Zurschaustellung des Kopftuches erheben die Moslems einen Superioritätsanspruch gegenüber der französischen Staatsidee. Die Gesetze der Republik werden negiert oder relativiert, denn es gilt allein: „Der Islam verbietet oder gebietet etwas, in diesem Fall das Tragen des ,Hi-gab'.”

Die Gegner eines Nachgebens orten hinter dem Auftauchen der Tücher eine Strategie der Provokation, um die Öffentlichkeit in eine Spirale der Eskalation zu treiben. Werden die Schülerinnen vom Unterricht ausgeschlossen, gelten sie als Märtyrerinnen und als Beweis für den „islamfeindlichen” Staat. Wird den Kopftüchern nachgegeben, feiern die Islamisten dies als Etappensieg. Die französische Linke ist bereits gespalten. Wird gegen ein Verbot der Kopftücher demonstriert, findet man sich mit den Fundamentalisten auf der Straße. Wer eine klare Linie des Staates gegen die Kopftücher fordert, findet sich bald in der Nähe des französischen Rechtsextremisten Le Pen.

Deutliche Worte zum Kopftuchstreit fand der streitbare französische Philosoph Andre Glucksman: „Wenn in Algerien Mädchen ermordet werden, nur weil sie unverschlei-ert bleiben wollen, ist der Higab auch in Frankreich ein Instrument des Terrors und der Unterdrückung.”

Auch in Großbritannien fordern die Fundamentalisten unter den vor allem aus Südasien eingewanderten Moslems den Staat heraus. Haßerfüllte Massendemonstrationen gegen ^den Autor Salman Rushdie vor fünf Jahren ließen schon erste Zweifel an den Möglichkeiten einer reibungslosen Integration aufkommen. Daß Gottes Gesetz über das des Staates zu stellen sei, findet Kellim Siddiqui. Der Moslemführer steht einer selbsternannten 155köpfigen Versammlung vor, die sich als „Gegenparlament” versteht.

In Köln wettert der türkische Fundamentalist Cemaleddin Caplan gegen die Demokratie. Seine Formel ist ebenso einfach wie erschreckend: „Da Demokratie im Koran nicht vorgesehen ist, kann sie nur eine Ideologie des Satans sein.” Auf höchstens ein Prozent der zweieinhalb Millionen Moslems in Deutschland schätzt der Bundesverfassungsschutz das derzeitige Potential der radikalen Moslems. Und dennoch schlägt das Bundeskriminalamt Alarm. Terrorgefahr droht in Deutschland vor allem von den Ablegern der algerischen Fundamentalisten, seit diese ihre offiziellen Exilrepräsentanten aus Frankreich abgezogen haben. Einer ihrer prominentesten Führer, Rabah Kebir, lebt unbehelligt in Düsseldorf. In Algerien ist er wegen der Mittäterschaft an einem Bombenanschlag auf den Flughafen Algier angeklagt.

Dank der Repression des Fundamentalismus in den meisten islamischen Ländern scheint* sich der von Huntington angekündigte Konflikt nach Europa selbst zu verlagern. Zumindest dann, wenn nicht ehestens ein für Europa angemessenes Integrationsmodell entwickelt wird. Multikultutrelle Begeisterung ist hier fehl am Platz, ein Bestehen auf unabdingbaren westlichen Werten ist Voraussetzung für ein möglichst friedvolles Nebeneinander: Entpoli-tisierung der Religion und Toleranz. Allerdings einer Toleranz im Sinne der kulturellen Moderne, und nicht des orthodoxen Islams: Einer Duldung von Christen und Juden als „Schutzbefohlene ”.

Religionsfreiheit muß eine Selbstverständlichkeit bleiben, als inividu-elles Recht der Individuen, nicht aber als kollektives Recht von Ein-wanderergruppen, als islamische Einheit aufzutreten. Bassam Tibi fordert in diesem Sinn einen „Euro-Islam” der Individuen anstelle eines „Ghetto-Islams” der Kollektive: „Wenn die in Europa lebenden Moslems die angeführten Grundlagen der europäischen Moderne annehmen, dann können sie eine integrierte, aus Individuen als freie Staatsbürger bestehende Religionsgemeinschaft werden, die als Vorbild für ihre Herkunftsländer dienen könnte”.

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