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Demokratie und Wahlrecht (ii )

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Die Ablehnung des sozialistischen Vorschlages muß aus den grundsätzlichen Erwägungen verstanden werden, die bereits in der Nummer 44 von 1963 dargelegt wurden, und darf nicht als eine Abneigung gegenüber einer Wahlrechtsreform überhaupt angesehen werden. Die Notwendigkeit einer solchen Reform sei bejaht, sie müßte aber auf eine Verlebendigung der Demokratie, das heißt auf eine Demokratisierung des Wahlrechtes gerichtet sein. Aus diesem Grund wäre

• erstens, ebenso wie eine Verringerung der Wahlkreise abzulehnen ist, eine Vermehrung der Kreise zu begrüßen. Ein echter Kontakt zwischen Wählern und Mandataren könnte dadurch eingeleitet werden.

• Zweitens müßte bei Beibehaltung des Systems der lose gebundenen Liste mehr als bisher von den Möglichkeiten des Reihens und Streichens Gebrauch gemacht werden. Österreich ist durch die Nationalratswahlordnung vom 18. Mai 1949 zu diesem System übergegangen. Die diesbezüglichen Bestimmungen scheinen auch in der Nationalratswahlordnung 1959 und 1962 unverändert auf.

• Drittens müßte aus dem Umstand, daß das demokratische Prinzip keinen Staatsbürger ausschließt, aus eben diesen Erwägungen weiter die Bürgerzahl Grundlage für die Mandatsverteilung sein; eine Ersetzung durch die Zahl der Wahlberechtigten wäre als undemokratisch und mit i dem Artikel 26, Absatz 2, Bun- desyerfassungsgesetz 1920, in Wider- sprüch stehend, abzulehnen.

Zurück zum Mehrheitswahlrecht?

Es mehren sich aber auch in unserem Land Stimmen, welche eine weitgehende Reform des Wahlrechtes im Auge haben. Sie stellen das Extrem zu den sozialistischen Forderungen dar, denn sie wollen das Verhältniswahlrecht durch das Mehrheitswahlrecht ersetzen. Es muß dazu bemerkt werden, daß dies nur über eine Verfassungsänderung möglich ist. Bei der Mehrheitswahl ist der Kandidat gewählt, der in einem Wahlkreis eine Mehrheit der Stimmen auf sich vereinigt. Die auf die unterlegenen Bewerber abgegebenen Stimmen sind verloren, da sie keinerlei Berücksichtigung finden. Das Mehrheitswahlsystem ist also ein Personenwahlsystem, das den Vorteil birgt, daß es auf die Person und nicht auf die Parteiliste ankommt. Der Wähler bestimmt darnach seinen Kandidaten und nicht der Parteisekretär, der das Wahlresultat, das heißt die gewählte Liste auszuwerten hat. Mit diesem System ist aber auch ein Nachteil verbunden: Das Mehrheitswahl system begünstigt erfahrungsgemäß wenige große Parteien, da kleinere und schwächere Gruppen selten odet nie in einem Wahlkreis eine Mehrheit erringen. Es begünstigt — man denke nur an England, wo dieses Verfahren seit Jahrzehnten mit Erfolg angewandt wird — die Herausbildung zweier großer Parteien. Eine Partei wird oft so begünstigt, daß sie mit großer Wahrscheinlichkeit über die Mehrheit im Parlament verfügt und die Regierung bilden kann, während die andere als starke Minderheit die Rolle einer tatkräf tigen Opposition, das heißt einer Kritikerin der Regierung, zu übernehmen . imstande ist.

Außerdem bleiben beim Mehrheitswahlsystem zum Unterschied vom Verhältniswahlsystem die Stimmen all jener, die nicht auf die siegreiche Kandidatur gerichtet waren, unberücksichtigt.

Kompromißlösungen

Zwischen diesen beiden Extremvorschlägen bieten sich aber Kompromißlösungen an, die auf die Persönlichkeit des Abgeordneten abgestellt sind und trotzdem das Parlament zu einem Spiegelbild des gesamten Wählerwillens werden lassen.

So wäre es denkbar, bei Vermehrung der Wahlkreise die Vertretung eines jeden Wahlkreises einem Abgeordneten zu übertragen, wobei diese Einzel Vertreter der Wahlkreise in direkter Wahl nach dem Mehrheitswahlsystem zu ermitteln wären. Die nach der Ermittlung der Direktmandate in den einzelnen Wahlkreisen den wahlwerbenden Parteien verbleibenden Reststimmen könnten nach den Grundsätzen des Verhält- niswahlredhtes den wahlwerbenden Parteien bei der Zuteilung der Abgeordnetensitze zugute kommen. Auf diese Weise könnten, unter Voranstellung der Person des Abgeordneten, die Nachteile des Mehrheits- waihlreohtes vermieden werden und eine der Idee der ermittelbaren Demokratie entsprechende weitgehende Repräsentation der politischen Gruppierungen ermöglicht werden.

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