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Der Eiertanz der Europäischen Union um Beitrittsverhandlungen mit der Türkei.

Das Bild, das die Europäische Union im Vorfeld der Entscheidung über die Aufnahme von Beitrittsverhandlungen mit der Türkei bot, war verheerend. Eigentlich eine Gegen-Empfehlung: Diesem "Debattierclub" (E. Busek im Furche-Interview, S. 9) wollen Sie wirklich beitreten? Gleichviel, der "Debattierclub" ist noch immer das Beste, was Europa je hatte - und deshalb begehrt nach wie vor nicht nur die Türkei Einlass. Das entschuldigt aber nicht das peinliche Schauspiel, das in den letzten Wochen und Monaten in der Causa Türkei gegeben wurde.

Die Diskussion ist völlig entgleist, weil - noch einmal Busek - "die Staats- und Regierungschefs hier Schritt für Schritt hineingerutscht (sind), ohne zu Hause die Wahrheit zu erzählen". Anders gesagt: Man wollte nicht wahrhaben, dass auch in der Politik gilt: Wer A sagt, muss auch B sagen; stattdessen meinte man, wenn man nur oft genug A - die Zusage einer EU-Perspektive für Ankara - wiederhole, könne man sich B - konkrete Verhandlungen - ersparen. Im Prinzip handelt es sich dabei natürlich um einen sehr menschlichen Reflex: Wem zusehends dämmert, dass er leichtfertig zu viel zu früh versprochen hat, tut alles, um die eigentliche Entscheidung möglichst lange vor sich herzuschieben. Irgendwann freilich geht das nicht mehr, und an diesem Punkt ist die EU gegenüber der Türkei angelangt. Nun ist die Stunde, nein, nicht der Wahrheit, sondern des Taktierens und Feilschens, des parteipolitischen Gezerres, innenpolitisch wie international, gekommen - zum Zweck der Schadensbegrenzung.

Jetzt ist politisch vermutlich nicht mehr erreichbar, was ein dem Charakter der Türkei als Brückenkopf, als Scharnier zwischen zwei Kontinenten durchaus angemessener Status gewesen wäre: eine "privilegierte Partnerschaft". Der Begriff ist heute punziert, er gilt als Chiffre für Diskriminierung. Aber das, was er bezeichnet, hätte ein Modell für eine Antwort auf eine essentielle europäische Frage abgeben können: Wie geht Europa damit um, dass es per se nicht abschließend definierbar (lat. finis = die Grenze) ist, weder geographisch noch kulturell, dass jeder Versuch einer Grenzziehung immer willkürlich bleiben muss? Dass aber deswegen die Europäische Union in ihrer konkreten Verfasstheit freilich nicht beliebig ausdehnbar ist? Die Türkei wäre der Paradefall für ein solches Modell gewesen, vom Prinzip her - entsprechende Entwicklungen vorausgesetzt (die freilich derzeit überhaupt nicht erkennbar sind) - natürlich auch Russland. Und dann wäre auch noch eine Übertragung dieses Konzepts auf Israel oder nordafrikanische Länder denkbar gewesen.

Möglich, dass eine solche "privilegierte Partnerschaft" im Falle der Türkei auch einmal in eine Vollmitgliedschaft hätte münden können. Das wäre dann vielleicht so etwas wie der Schlussstein im europäischen Gewölbe gewesen - ein faszinierender Gedanke.

Das alles hätte freilich langer strategischer Vorarbeit bedurft, dazu hätte es europäischer Visionäre gebraucht, dafür wären vor allem Mut und Ehrlichkeit notwendig gewesen. Lauter Dinge, die nicht gegeben waren. Nun schlittert man in Verhandlungen mit einem Land, das von seiner schieren Größe her, politisch, wirtschaftlich, kulturell eine gigantische Herausforderung für die Integrationskraft der Union darstellt - eine Aufgabe, der sie in ihrer momentanen Verfassung wohl nicht gewachsen ist. Und dies zu einem Zeitpunkt, da die letzte Erweiterung vom Mai dieses Jahres alle vorhandenen Energien bündeln müsste, da mit Rumänien und Bulgarien zwei große "Sorgenkinder" vor der Türe warten, da man noch nicht einmal recht weiß, wie man die exjugoslawischen Länder hereinholen soll, von anderen wie der Ukraine oder Albanien gar nicht zu reden.

Es ist so gekommen, weil Kurzsichtigkeit, Opportunismus und Feigheit auch die europäische Politik bestimmen; weil die nationalen Hemden immer noch besser sitzen als der europäische Rock. Deswegen ist jetzt Wolfgang Schüssel die zweifelhafte Ehre eines troubleshooters zugefallen, ausersehen, einen Weg zu finden, der alle, wie man gerne sagt, das Gesicht wahren lässt. Der aber nichts daran ändern kann, dass es sich um ein demütigendes Spiel handelt - für die EU wie für die Türkei.

rudolf.mitloehner@furche.at

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